Wo schlummert Hitchcocks Heimatthriller? Das British Film Institute sucht einen verschollenen, in den Tiroler Bergen gedrehten frühen Film des späteren Meisterregisseurs
Es dürfte wohl nur eingefleischtesten Cineasten bekannt sein, dass der legendäre Alfred Hitchcock in Österreich einen Film gedreht hat. Für seine zweite Regiearbeit wählte der spätere Master of Suspense das Dorf Obergurgl in Tirol als Schauplatz. Die wenigen erhaltenen Setfotos zeigen Sir Alfred mit voller Haarpracht inmitten schneebedeckter Landschaften. Von den Filmrollen selbst hingegen fehlt bis heute jegliche (Schi-)Spur. Bei der Wahl der Location führte ein bisschen auch der Zufall Regie. Ursprünglich war Hitchcock in bayrischen Landen unterwegs, als er in München, so die Legende, an einem Kiosk eine Postkarte eines völlig entlegenen Bergdorfes entdeckte. Hitchcock war sehr angetan, denn bar jeder Zivilisation musste die Ortschaft sein, um die Einsamkeit der ansässigen Bevölkerung zum Ausdruck bringen. Die steilen Hänge der Ötztaler Alpen standen symbolisch wohl auch für die menschlichen Abgründe der handelnden Personen des in Kentucky angesiedelten Melodramas. Analytische Inszenierung psychischer Beeinträchtigungen sollte in späteren Jahren zu einer fixen Zutat eines echten Hitchcocktails werden.
Handlung, Hauptdarsteller und Hintergründe des 1926 entstandenen Stummfilms sind bekannt. Titel des Films war nicht Das Fenster zum Bauernhof, sondern The Mountain Eagle. Das Berg-Werk behandelt eine Vierecks-Geschichte zwischen einem Vater, dessen Sohn, einem geächteten Eremiten und einer hinreißenden, hin- und hergerissenen Lehrerin. Dass diese Konstellation nicht für alle Protagonisten gut ausgehen konnte, versteht sich von selbst.
Als Cutterin war damals auch schon Alma Reville, die Muse des Maestros und spätere Mrs. Hitchcock, mit von der Partie. Sie war es, die dem Regisseur beistand, als er einmal an Vertigo litt. Sie kredenzte ihm seine Lieblingslimonade aus den Zitrusfrüchten, die er eigens in einem prall gefüllten Rucksack angeschleppt hatte. Sie vermittelte, als die für die weibliche Hauptrolle engagierte amerikanische Diva Nita Naldi, die ehemalige Stummfilm-Partnerin Rodolfo Valentinos, sich zu Drehbeginn lautstark beschwerte: Ihre Anreise hatte sechs Stunden bergauf im Pferdewagen gedauert, zudem musste sie für ihre Performance als Mädchen vom Lande ihre langen Fingernägel opfern und statt der Pumps auf Haferlschuhe umsteigen.
Generell standen die für zwei Wochen angesetzten Dreharbeiten unter keinem guten Stern. Der jahreszeitlich sehr früh einsetzende Schneefall bedingte, dass die örtliche Feuerwehr zur Schneeräumung herangezogen werden musste. Auf die weiße Pracht hätte Hitch gerne verzichtet, hatte er doch die Drehorte zuvor nur in Grünlage besichtigt. Diesbezüglich die bekannteste von Hitchcock überlieferte Anekdote zu dem Film: „Nach Tagen der Untätigkeit beschlossen wir, Tauwetter zu produzieren. Ich überzeugte eine Handvoll Männer, mit der Handpumpe der Freiwilligen Feuerwehr den Schnee wegzuwaschen. Eines ums andere befreiten sie die Dächer vom Schnee. Doch eines der Hausdächer gab unter den Wassermassen nach, und die Bewohnerin beschwerte sich zu Recht über ihr geflutetes Heim. Der Bürgermeister meinte, dass ein Schilling Entschädigung für die Frau angemessen wäre. Sie bekam zwei von mir. Gemessen an ihrer Freude, hätte ich für zehn Schilling wohl das ganze Dorf unter Wasser setzen dürfen.“
Das British Film Institute räumt dem Film einen hohen Stellenwert innerhalb der Filmgeschichte ein und hat eine Kampagne zur weltweiten Suche nach einer Kopie ausgerufen. Auch Johannes Köck, der Geschäftsführer von Cine Tirol, hat sich der Auffindung von The Mountain Eagle verschrieben. Er sieht es als Verpflichtung an, der Nachwelt Hitchcocks Heimatthriller vorzuführen. Seine Nachforschungen reichen von Russland, wo die Filmrollen als Nachkriegsbeute gebunkert sein könnten, bis in ein Filmarchiv in Neuseeland, einem beliebten letzten Ruheort rund um die Welt gereister Filmkopien. Sachdienliche Hinweise und der Film im Besonderen werden von ihm zu jeder Tages- und Nachtzeit entgegengenommen.
Hitchcock selbst teilte die Begeisterung offenbar nicht: Als Sir Alfred von François Truffaut auf sein verschollenes Frühwerk angesprochen wurde, äußerte er sich abfällig und befand The Mountain Eagle für vernachlässigbar. Wir werden uns wahrscheinlich kein Lichtbild mehr davon machen können. Genauso wenig wie wir wissen können, wie es gewesen wäre, hätte Hitchcock den ersten James-Bond-Film gedreht, wie Ian Fleming es sich gewünscht hatte. Aber das ist eine andere interessante Geschichte.