Drama um den Zerfall einer ganz normalen Familie
Auf den ersten Blick erscheint das ländliche Anwesen, das Rory O’Hara (Jude Law) als neuen Wohnsitz in England für seine Familie angemietet hat, ein Traum zu sein. Das große Haus mit seinem 300 Jahre alten Fußboden könnte britischer nicht sein, das weiträumige Anwesen bietet genug Platz, um Reitpferde unterzubringen, womit Rorys Frau Allison (Carrie Coons) ihrer Passion nachgehen kann. Für den gemeinsamen Sohn Benjamin und Samantha, Allisons Tochter aus einer früheren Beziehung, hat Rory zudem bereits Plätze an guten Schulen besorgt. Rory scheint also alles getan zu haben, um seiner Familie den Umzug aus einem schmucken Vorort von New York schmackhaft zu machen. Dass sich alle an ihrem amerikanischen Wohnort eigentlich ziemlich wohl gefühlt haben, spielt für den gebürtigen Briten, der nun in seiner alten Heimat größere Möglichkeiten in seinem Job als Rohstoffmakler sieht, nur eine untergeordnete Rolle. Dass dies alles nicht so glatt gehen wird, wie Rory sich das vorstellt, zeichnet sich ab, als Allison bereits beim ersten Betreten moniert, das Haus sei doch viel zu groß für eine vierköpfige Familie. „Wir werden es nach und nach mit uns füllen“, hält er seiner Frau entgegen, doch das Gegenteil wird nach und nach offensichtlich: Das Anwesen bleibt ein kalter, unnahbarer Ort, in dessen Zimmerfluchten sich die Familie zusehends entfremdet.
Sean Durkin hat mit The Nest eine höchst originelle Variation des klassischen „Haunted House“-Motivs in Szene gesetzt. Es ereignen sich zwar ein, zwei ein wenig mysteriös anmutende Vorfälle, doch es ist natürlich klar, dass im Gegensatz zu einer Spukgeschichte kein Fluch, böse Geister oder andere Schreckgestalten vom Haus der O’Haras Besitz ergriffen haben, sondern die Bewohner selbst dafür sorgen, dass besagter Ort höchst ungemütlich ist und bleibt. Mit kühler Präzision zeichnet Durkins Inszenierung das Porträt einer dysfunktionalen Familie, deren ohnehin bereits fragiler Zustand durch die neuen Lebensumstände sich gefährlich zuzuspitzen droht. Als hauptverantwortlich dafür erweist sich alsbald die Attitüde von Rory, der sich als lupenreiner Repräsentant jener Ideologie der grenzenlosen Gier entpuppt, die insbesondere seit den achtziger Jahren in der Finanzwelt exzessiv-gefährliche Ausmaße erreichte (abgesehen von der Erwähnung der Präsidentschaft Ronald Reagans gibt es kaum Verweise, dass The Nest in den achtziger Jahren spielt, was die Allgemeingültigkeit des Plots jedoch durchaus unterstreicht). Und so baut der Finanzmakler weiterhin fest an seinen geschäftlichen Luftschlössern, ohne wahrhaben zu wollen, dass sein eigenes Leben materiell wie emotional nur mehr ein Potemkinsches Dorf ist. Als seine Frau, deren Lebensziele schon längst in eine ganz andere Richtung gehen, sich weigert, das Spiel mitzumachen, eröffnen sich naturgemäß Bruchstellen, die nur schwer überbrückbar scheinen. Jude Law und Carrie Coons verstehen es dabei, die Konfliktparteien mit unprätentiöser Intensität zu verkörpern.