Mit „The Power of the Dog“ kehrt Jane Campion nach zwölf Jahren auf die große Leinwand zurück. Ein Gespräch über die Kraft von Geschichten, Männlichkeit und das große Problem mit Alpha-Typen.
Western oder Psychodrama? Beides. Jane Campion will sich nicht festlegen, so wie sich auch die Figuren in ihrem neuen Kinofilm nur schwer greifen lassen. Und die Betonung liegt hier bewusst auf dem Wort Kino, denn The Power of the Dog ist, obgleich von Netflix produziert, ein Film, der eine große Leinwand verlangt und sie mit jeder Einstellung verdient.
Der Schauplatz ist Montana in den 1920er Jahren: Hier betreiben die beiden ungleichen Brüder Phil Burbank (Benedict Cumberbatch) und George (Jesse Plemons) eine profitable Rinderfarm mit allem Drum und Dran. Das einzige Problem ist, dass sie miteinander nichts anfangen können, weil Phil ein Stinker ist, der George verspottet und auch sonst alles und jeden mit einer einzigen spitzen Bemerkungen zunichte macht, wenn ihm danach ist. George dagegen ist der seriöse, der gediegene Typ, dem das Viehzeug ebenso egal ist wie Phils Sticheleien, solange er entspannt ein Bad nehmen kann oder heiraten, wenn er will. Aber genau damit fängt der Ärger erst richtig an, denn Phil hält herzlich wenig von Georges neuer Frau (Kirsten Dunst) und Peter, deren Sohn aus erster Ehe (Kodi Smit-McPhee), die bald gemeinsam mit ihnen auf der Ranch wohnen.
Campion, deren Film auf dem gleichnamigen Roman von Thomas Savage beruht, entwirft in The Power of the Dog ein verzerrtes Mosaik der Männlichkeiten, mit allem Übel, Unglück und Horror, der dazu gehört. Die Tatsache, dass die 67-jährige Neuseeländerin, die einst als erste Goldene-Palme-Gewinnerin mit The Piano (1993) Filmgeschichte schrieb, hier erstmal keine Frau, sondern gleich einen Tyrannen ins Zentrum des Geschehens rückt, verwundert dabei lediglich im ersten Augenblick. Phil, gespielt mit Verve von Benedict Cumberbatch, ist eine Campion-Figur nach Maß und ein Typ, den man so schnell nicht vergisst.
Ms Campion, Sie haben dem Kino vor einiger Zeit den Rücken gekehrt. Was hat Sie dazu bewogen, jetzt wieder einen Spielfilm für die große Leinwand zu drehen?
Jane Campion: Ich habe mich in das Buch verliebt. Es hat mich einfach nicht mehr losgelassen. Und ich habe es gewiss nicht mit der Intention gelesen, daraus einen Film zu machen. Ich lese sehr viel, zum Vergnügen, und es stand einfach auf meiner Liste. Aber dann wollte ich herausfinden, warum es mich so beschäftigt hat. Mir hat die Geschichte gefallen, und die Themen schwirrten mir auch nach der Lektüre immer weiter im Kopf herum. Ich dachte, dass es ein guter Stoff für einen Spielfilm wäre, weil eine enorme Kraft dahintersteckt. Und das braucht eine gute Geschichte heute. Filme müssen eine klare Stimme, eine besondere Triebkraft haben, um in dem derzeitigen Klima genügend Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Meine Überlegungen waren also nicht ganz unkalkuliert. Aber es war eindeutig zunächst das Buch selbst, das mich begeistert hat. Je mehr ich die einzelnen Schichten der Handlung, der Sprache und der Figuren für mich freilegte, um so größer wurde meine Bewunderung für Thomas Savage.
Sie haben gerade vom derzeitigen Klima gesprochen. Meinen Sie die Filmindustrie im Allgemeinen?
Ja, weil es kein Geheimnis ist, dass es Filme heutzutage schwer haben, finanziert zu werden. Das Kino wird von Marvel und Co regiert. Und das Arthouse-Kino, das ich so liebe und das mir das Leben gerettet hat, muss kämpfen. Deshalb muss man eine ganz spezielle Geschichte wählen, um gesehen und gehört zu werden. Und was soll ich sagen? Wenn man sich erst einmal in einen Stoff verliebt, kann man es nicht ändern. Mir ist es schon einmal so gegangen, bei Bright Star. Kein Mensch interessiert sich heute mehr für die Dichtkunst. Aber wie heißt es so schön: Wo die Liebe hinfällt! Da kann man nichts machen. Ich musste den Film unbedingt drehen.
Bisher standen in Ihren Filmen immer Frauen im Zentrum des Geschehens. #MeToo hat in der Hinsicht scheinbar einen Einfluss auf Sie gehabt. Was hat sich dadurch für Sie geändert?
#MeToo hat mir eine größere Freiheit gegeben. Es war ein großer Moment für mich. Ich bin schon eine ganze Weile im Geschäft und habe von allen Seiten immer sehr stark die Ausgrenzung von Frauen zu spüren bekommen. Ich glaube, #MeToo und auch das Fernsehen haben viel dazu beigetragen, dass es heute besser ist. Ich finde es wunderbar, zu sehen, wie viele Frauen gerade ihre Stimme finden und mit mutigen, kühnen Geschichten aufwarten. Ich hatte zunächst nicht weiter darüber nachgedacht, aber plötzlich fiel es mir auf: Aha, jetzt kann ich mich also auch von einem Stoff begeistern lassen, in dessen Zentrum ein komplizierter Mann steht. Natürlich kann man es oft nicht rational erklären, warum man sich für eine Sache entscheidet und gegen eine andere. Aber wenn ich an The Piano denke, dieses äußerst seltsame Porträt einer Frau, und mir dann The Power of the Dog anschaue, schließt sich für mich ein Kreis.
Mit anderen Worten: In der Vergangenheit konnten oder wollten Sie keine Geschichten über Männer erzählen?
Es hat mich einfach keine Geschichte gepackt, in der ein Mann die Hauptrolle spielt. Aber ich wollte auch keine Filme über Männer drehen, weil es ohnehin zu viele Männer im Geschäft gibt und viel zu wenige weibliche Stimmen. Und ich liebe Frauen – wie leider auch die meisten Männer. Doch es besteht ja schon ein Unterschied darin, ob man selbst als Frau aufwächst, ähnliche Erfahrungen teilt und so weiter. Wobei ich hier auch gar nicht zu weit ausholen will. Für mich geht es weniger um Gender als um Sensibilität.
Der Film thematisiert eine gewisse verinnerlichte Homophobie. War dieser Aspekt im Buch ebenso stark vertreten?
Ich denke, im Film spürt man es ein bisschen deutlicher. Es gab Leute, die haben das Buch gelesen und nicht gemerkt, dass Phil schwul ist. Aber ein genaueres Lesen lässt keine Zweifel aufkommen, dass es sich bei ihm zwar um einen Alpha-Mann und Schwulenhasser handelt, aber auch um einen Liebhaber. Bronco Henry, der Mann, von dem er seine Zunft lernte, war seine erste große Liebe. Und Phils Fähigkeit zu träumen und an dieser Liebe festzuhalten, hat mich fasziniert und tief bewegt.
Angeblich haben Sie Benedict Cumberbatch dazu ermutigt, während der Dreharbeiten weitestgehend in der Rolle zu bleiben. Wie hat sich das auf die Dynamik seines Spiels ausgewirkt?
Mir ist es wichtig, stets die bestmöglichen Bedingungen für Schauspielerinnen und Schauspieler zu schaffen. Und ein Set kann ein sehr geselliger, freundlicher Ort sein. Benedicts Figur ist jedoch so speziell und so fies, da wollte ich verhindern, dass er sich allzu sehr mit der Crew und den anderen Cast-Mitgliedern anfreundet. Um so schwieriger wird es, dann diesen anderen Zustand zu verinnerlichen, den ihm die Rolle abverlangt. Und das war ohnehin nicht einfach für ihn, weil er von Natur aus ein unheimlich herzlicher Mensch ist. Während der Proben habe ich ihn deshalb zunächst dazu gebracht, zu allem nein zu sagen, alles kategorisch abzulehnen und richtig schroff zu sein. Er musste jede Art von Höflichkeit ausklammern, die er normalerweise an den Tag gelegt hätte. Und ich glaube, er war ein bisschen traurig darüber, die Freiheit zu spüren, die hinter dieser ewigen Verneinung und Ablehnung steckt. Denn machen wir uns nichts vor, es liegt auch eine große Freiheit in Phils Grausamkeit. Und ich wusste zwar, dass er am Set nicht unbedingt die ganze Zeit in der Rolle bleiben musste. Aber ich habe trotzdem darauf bestanden. Ich denke, er war erleichtert, dass ich so darauf erpicht war. Das Ergebnis spricht für sich.
Wie würden Sie Ihn als Schauspieler beschreiben? Was ist er für ein Typ?
Benedict ist ein sehr experimentierfreudiger Darsteller, sehr verspielt, wenn man so will. Er liebt es, herausgefordert zu werden, und das habe ich so an ihm geliebt: Die Zusammenarbeit mit einem Menschen, der Mut hat, an Grenzen zu gehen, und trotzdem ein liebenswürdiger Mensch ist.
Wie einige andere Regisseure mittlerweile auch, haben Sie am Set zudem das Benutzen von Handys am Set untersagt.
Ja, stimmt. Und das hat uns richtig zusammengeschweißt. Ich habe mich im Nachhinein ein bisschen geärgert, dass ich die Regel nicht schon bei Top of the Lake eingeführt habe. Aber es ist auch nicht so leicht, eine derartige Forderung durchzusetzen. Man glaubt nicht, wie sehr die Leute von ihren Telefonen abhängig sind. Und doch hilft es am Set ungemein, die Konzentration zu halten.
Sie haben an anderer Stelle gesagt, dass einige der besten Szenen im Film nicht im Buch vorkommen.
Ich habe nicht gesagt, dass die Szenen unbedingt besser sind. Es ist aber so, dass es Stellen im Buch gibt, die brillant sind, weil sie von einer inneren Position heraus, also quasi aus dem Inneren des Kopfes geschrieben sind. Das ließ sich so aber nicht filmen, deshalb mussten wir uns überlegen, wie man es anders machen könnte.
Das stelle ich mir sehr schwierig vor, wenn man das Buch so sehr liebt, wie Sie eingangs beschrieben haben?
Wenn man ein Werk wirklich liebt, das man auf die Leinwand bringen will, dann genügt es nicht, einfach ein treues Abbild zu schaffen. Man sollte sich natürlich weitestgehend am Material orientieren. Aber man muss sich in dem Moment vor allem selbst vertrauen und dem Ganzen eine eigene Vision geben. Eine wahrheitsgetreue Kopie bringt nicht viel. Der Film muss inspiriert sein von der Liebe für das Original und schließlich darüber hinaus gehen.
Nachdem Sie im Film nicht nur eine, sondern gleich mehrere Versionen von Männlichkeit beschreiben, wie schwer war es da, bei den Frauenfiguren die richtige Balance zu finden?
Zunächst muss man dazu sagen, dass wir uns im Film in einer Zeit bewegen, in der einfache Frauen wie Rose in ihrem Handlungsrahmen extrem eingeschränkt waren. Eine Herausforderung bestand also darin, ihre Entwicklung glaubhaft und verständlich darzustellen. Zum Beispiel, warum sie dem Alkohol verfällt, obwohl ihr erster Mann ein Trinker war, der sich am Ende das Leben nahm. Ich will nicht spoilern, aber man muss begreifen, wie gepeinigt sie sich innerlich fühlte, um diesen Schritt zu gehen.
Warum schaffen es Alpha-Männer wie Phil immer wieder, solche Macht auszuüben?
Wissen Sie, ich glaube das wirklich Interessante an Männern wie ihm ist, dass sie im Grunde keiner ausstehen kann, nicht einmal andere Alpha-Typen. Sie machen den Menschen um sie herum und damit auch sich selbst unnötig das Leben schwer. Und sie werden nicht alt, weil sie ihre Energie damit verschwenden, andere Leute zu quälen. Gleichzeitig müssen wir mit ihnen fertig werden. Es gibt sie, und sie haben eine Macht, der wir uns entgegenstellen müssen. Wir hatten in Amerika gerade erst einen Präsidenten, der ein glänzendes Beispiel für die Sorte von Alpha-Männern ist, die – ich würde mal sagen – mit einer idiotischen Macht regieren.
Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, was Sie eingangs über Spielfilme und die Kraft von Geschichten gesagt haben. Ihr Film ist von Netflix produziert und wird nur kurze Zeit im Kino zu sehen sein. Wie geht es Ihnen damit?
Der Plan ist, eine zwei bis dreiwöchige Laufzeit im Kino zu haben, bevor der Film auf Netflix abrufbar ist. Das war mir wichtig, weil es ein Film für die große Leinwand ist. Und ich wünsche mir sehr, dass die Zuschauer die Möglichkeit wahrnehmen. Das ist mein Traum. Dass die Leute auch nach dem offiziellen Netflix-Starttermin weiterhin ins Kino gehen, um den Film in seiner ganzen Größe zu erfahren. Aber die Realität ist hart. Die meisten Filme werden letztendlich auf Streamingdiensten abgerufen. Sie erleben einen flüchtigen Moment auf der großen Leinwand und leben dann online weiter. Das ist nicht ideal, aber es ist immer noch besser als nichts. Ich denke, man muss das so pragmatisch sehen, sonst wird man in der heuten Zeit nicht glücklich.