ray Filmmagazin » Streaming » Disney+ » The Savages

Streaming | Disney+

The Savages

| Jakob Dibold |
Zweiter Frühling für solide Nullerjahre-Tragikomik

Surreal wirkende Pensionistinnen-Choreografie und scheinbare Sommer-Idylle kippen in Eskalation zwischen Lenny Savage und dem Pfleger seiner Lebensgefährtin. Weil letztere (dargestellt übrigens von Rosemary Murphy, über 40 Jahre zuvor die gute Seele Maddie Atkinson in To Kill a Mockingbird) kurz darauf auch noch tot über einem Tisch im Nagelstudio zusammenklappt, gibt es rasch keine Alternative mehr: Nicht übermäßig begeistert müssen die voneinander nicht nur räumlich ziemlich distanziert lebenden Geschwister Wendy (Laura Linney) und Jon (Philip Seymour Hoffman) entscheiden, was nun mit ihrem Vater geschehen soll, dessen Demenzerkrankung rasant voranzuschreiten droht.

Ist The Savages bis hierhin beinahe noch zu gleichen Teilen ein beginnendes Familiendrama wie ein subtil in den Bann ziehendes Porträt von Sun City, Arizona – einer über 30.000, fast ausschließlich weiße Menschen zählenden „retirement community“, die völlig aus der Welt gefallen scheint – spült uns die Erzählung ab dem Zeitpunkt, als für den alten Mr. Savage ein Platz in einem Pflegeheim gefunden ist, in die regnerische Trübnis Buffalos. Das gemeinsame Umsorgen des aus dem Leben Gehenden, der seinen Kindern im Grunde alles andere als ein guter Vater war, verlangt den beiden mehr oder weniger überfordert fest im Leben Stehenden einiges ab, sodass der Niedergang des Alten neben den Streits, den Differenzen, den Problemen von Schwester und Bruder bald eher nur noch aufflackert – etwa, wenn er zum Schutz vor einem im Auto geführten Disput kurzerhand traurig seine Hörhilfe deaktiviert.

Tamara Jenkins’ beachtlicher Kritik-Erfolg von 2007 (Oscar-Nominierungen für ihr eigenes Drehbuch und für Laura Linney) ist nicht schlecht gealtert: Nicht nur sind Probleme der Themenfelder Pflegeheim und Care-Arbeit überhaupt, denen sie sich mit Bedacht widmet, nach wie vor brandaktuell, auch Fingerzeige auf „white privilege“ und tief sitzende bürgerliche Rassismen werden oft maßgeblich ungeschickter gesetzt. Linneys und Hoffmans Darbietungen treffen das ja stets besondere Verhältnis zwischen Geschwistern, die ungeachtet ihrer Lebenserfahrung auch immer irgendwie Kinder bleiben, punktgenau. Dass kein Meilenstein des Kinos gelingt, ist wohl am deutlichsten der Tatsache geschuldet, dass die an zwei Stunden kratzende Laufzeit einerseits zu lang für doch wenige elektrisierende Momente, andererseits zu kurz dafür bemessen ist, die Spirale aus sterbendem Vater und zueinander findenden erwachsenen Kindern in all ihrer Unnachgiebigkeit und Zähigkeit in den Bann ziehend zu vermitteln.

Was mit The Savages nun also ins Sortiment von Disney+ findet – nachdem Disney 2019 den damaligen Verleih Fox Searchlights Pictures übernahm –, ist aber jedenfalls eines: Ein tragikomischer, gehaltvoller Film über Perspektiven der Würde.