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The Story of Fire Saga

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The Story of Fire Saga

| Katharina Börries |
Der Eurovision Song Contest ist eine Institution, die die Geister spaltet. In „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ nimmt Spaßvogel Will Ferrell genau diesen Umstand aufs Korn. Neben eingängigen Pop-Hits, irren Kostümen und dem typischen Ferrell-Humor geht es um den großen Traum zweier Isländer, den ESC zu gewinnen. Und damit singen – oder eher stolpern – sich Ferrell und Rachel McAdams direkt in die Zuschauerherzen. Zumindest derjenigen, die die Musikshow lieben.

Die verschneiten Fjorde Islands sind eine traumhafte Kulisse. Was man dort allerdings nicht unbedingt erwartet, ist Will Ferrell, der inbrünstig keucht. Ebenso überraschend ist dann auch eine spacig geschminkte Rachel McAdams in klobigen Plateauboots. Sie posieren in einem Musikvideo, das man für echt halten könnte. Der Titel „Volcano Man“ ist komplett ESC-tauglich – übertrieben, albern, ein echter Ohrwurm und dabei irgendwie total charmant.

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Doch Lars Erickssong, schon sein Name ist der erste Witz, hat sich etwas noch Größeres überlegt. Seit dem Auftritt von ABBA beim Eurovision Song Contest 1974 wünscht er sich nichts sehnlicher, als einmal den Musikwettbewerb zu gewinnen. Er lebt in der idyllischen Gemeinde Húsavík, wo er gemeinsam mit seiner Kindheitsfreundin Sigrit Ericksdottir an Songideen bastelt. Die Ambitionen sind groß, das Studio klein – so werden die Zuschauer ebenso wie Lars und Sigrit selbst in die Realität zurückgeholt, wenn das Duo im benannten Musikvideo durch schneebedeckte Landschaften tanzt und plötzlich Papa an die Türe klopft, was mit einem harten Schnitt die Träume platzen lässt. Denn die Karriere läuft noch nicht so richtig. Das lässt vor allem Vater Erick Erickssong – gespielt von einem herrlich knurrigen Pierce Brosnan – den Glauben an seinen Sohn verlieren. Der Pophit “Double Trouble” soll es richten. Und vermutlich gibt es keinen Songtitel, der besser zum Chaosduo passen würde.

Lars und Sigrit bewegen sich in den 123 Filmminuten auf einem schmalen Grat zwischen niedlicher Tollpatschigkeit und Infantilität, die stellenweise Fremdschämen hervorruft. Die Idee ist klar: Ein Haufen an Zufällen führt die Protagonisten trotz aller Widrigkeiten auf die große ESC-Bühne. Neben einem Ausflug hinter die Kulissen eines so großen Events inklusive Machtspielchen und Finanzierungsproblemen läuft die Geschichte recht linear ab. Und eigentlich wäre auch alles in Ordnung, wenn die beiden mit post-Mitte-30 nicht wie Teenager agieren würden. Es wäre gar nicht nötig gewesen, sie so weltfremd und dadurch irgendwie zurückgeblieben darzustellen – auch wenn die Besetzung es gekonnt in einen Bereich rettet, in dem man ihnen einfach nicht böse sein kann. Will Ferrell gibt als trotteliger Lars eine ebenso ulkige Figur ab wie seine Bühnenpartnerin Rachel McAdams als sanftmütige Sigrit. Sie sieht über Lars’ verrückte Ideen hinweg, obwohl ihr Gesangstalent seine künstlerischen Ambitionen bei Weitem übersteigt. Insgeheim wünscht sie sich mehr als nur eine musikalische Beziehung.

Die Weise, auf die folkloristische Elemente in die Komödie eingebaut sind, zeigt schon, dass das Gesamtprodukt eher als Hommage denn als Verriss gemeint ist. Natürlich springen zwei riesige Wale tanzend aus dem Wasser, als die Protagonisten am Ufer stehen. Sigrit sucht, angehalten von ihrer Mutter, nach dem Sphärenton. Und wenn Lars seine Wut herausschreit, bricht ein Stück eines Gletschers ab. Es sind kleine Momente, bei denen man zwischenzeitlich nicht sicher ist, ob sie notwendig waren. Auf der anderen Seite gibt es aber auch wiederkehrende Gags, die jedes Mal eine Punktlandung sind. Wenn der aggressive Nachbar nichts vom ESC wissen will, weil er lieber den Gassenhauer “Ja Ja Ding Dong” hört, verfehlt das seine Wirkung nicht. Die Kultur findet bei all dem ihren festen und nicht zu albernen Platz. Ebenso wie der ESC.

Denn ein Netz aus schillernden Klischees fängt Ferrells Komödie inklusive seiner kindischen Seite perfekt auf. Es gibt den sexy Schönling und Favoriten Alexander Lemtov, den Dan Stevens passioniert verkörpert. Sein weibliches Pendant ist Melissanthi Mahut als griechische Teilnehmerin Mita Xenakis, natürlich mit einem wandelbaren Kostüm in petto. Dazu gibt es diverse Bands, die eingefleischte ESC-Fans doch sehr an wirklich existierende Acts erinnern. Mit Masken und einer Portion Hard Rock machen Moon Fang Lordi Konkurrenz, während 21st Century Viking schon im Namen eine Parallele zu The Singing Viking aufzeigen. Man nehme dazu noch kunterbunte Pop-Acts, die alljährlichen Lalala-Romantik-Duos und schon ergibt sich ein klassischen Song Contest-Portfolio! Für die Hauptfiguren hat man aus der Ukraine sogar das abenteuerliche Hamsterrad Maria Yaremchuks 2014er Song „Tick-Tock“ entliehen – wenn auch deutlich chaotischer als beim Originalauftritt. Die wohl deutlichste Hommage an den ESC und seine Teilnehmer ist aber ein Sing-Along, bei dem es vor Cameo-Auftritten nur so wimmelt. Zehn Ehemalige, darunter auch vier Gewinnerinnen, von denen eine Conchita Wurst ist, finden sich für ein Cover-Medley zusammen. Darüber hinaus sehen Zuschauer das ehemalige Disney-Girl Demi Lovato („Camp Rock”) als isländische Top-Kandidatin Katiana oder den Gewinner des Jahres 2017, Salvador Sobral, als Straßenmusiker bei einer Tour durch den Veranstaltungsort Edinburgh.

Wer sich nun fragt, ob die Darsteller, die nicht schon mal beim ESC waren, auch wirklich selbst gesungen haben: fast. Wie bei Bohemian Rhapsody mixte man die Originalstimmen der Schauspieler in manchen Fällen mit denen von Kollegen, die im Gesang etwas versierter sind als sie selbst. So bekommt Rachel McAdams stimmliche Unterstützung von der schwedischen Pop-Künstlerin Molly Sandén. Auch Dan Stevens ist als feuriger Russe nicht auf sich allein gestellt – seinen Gesangspart übernahm der ebenfalls schwedischstämmige Erik Mjönes. Melissanthi Mahut schließlich hat Petra Nielsen im Hintergrund, ebenfalls eine schwedische Sängerin und Schauspielerin.

Von ABBA bis zu den Gesangsstimmen ist der schwedische Anteil sehr groß. Vielleicht ein kleines Dankeschön an die Herkunft von Ferrells Frau Viveca Paulin, durch die er den Eurovision Song Contest 1999 kennenlernte. 2018 besuchte er die Veranstaltung in Portugal und drehte die Musikszenen dann sogar vor Originalpublikum in Tel Aviv 2019. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass Ferrell neben der männlichen Hauptrolle auch an Drehbuch und Produktion beteiligt sein sollte und der Eurovision Film über Netflix gezeigt werden würde. Regisseur David Dobkin wurde kurz darauf als Regisseur an Bord geholt – er hatte mit McAdams und Ferrell 2005 bereits am Film Die Hochzeits-Crasher gearbeitet. Saturday Night Live-Autor Andrew Steele wirkte beim Drehbuch mit.

Es geht um den großen Auftritt – auch wenn die Geschichte dahinter stellenweise sehr platt ausfällt.. Böse Zungen würden sagen, auch das passt zum ESC. Aber bei einer solchen Inszenierung kann man darauf nur erwidern, dass sich schlussendlich alles gut zusammenfügt. Die Super-Bowl-Choreografen Tabitha und Napoleon D’Umo haben ebenso wie das Team aus Komponisten, Songschreibern und Musikproduzenten einen Eurovision Song Contest in Filmform geschaffen, der das abgesagte Event 2020 vertreten kann. Das “Was?” und das “Wow!” liegen bei Fire Saga nah beieinander. Wie sagen die Isländer in ihrer Bar noch so schön: „Es sind Witzfiguren. Aber unsere Witzfiguren!“ Und die bringen neben drei ESC-würdigen Songs letztlich einen Film auf den heimischen Fernseher, der alle verzaubern kann, die nicht abgeneigt sind, die Klischee-Kiste vollends auszupacken.