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The Visit

Filmkritik

The Visit – (M. Night Shyamalan)

| Marietta Steinhart |
M. Night Shyamalan liefert seinen besten Film seit Jahren.

Wenn die Gebrüder Grimm einen Found-Footage-Horrorfilm gedreht hätten, dann wäre das vielleicht The Visit gewesen, denn M. Night Shyamalans Geschichte erscheint wie eine zeitgemäße Interpretation von Hänsel und Gretel.

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Im Leben dreht sich vieles um die eigene Erwartungshaltung, und nach einer Reihe von Shyamalan-Filmen, die man besser verdrängt – Lady in the Water, um nur einen zu nennen – kann es eigentlich nur besser werden, denkt man. Tatsächlich ist The Visit ein so unterhaltsames kleines Märchen, dass man fast vergisst, wie böse es ist. Die Prämisse ist trügerisch schlicht. Zwei Kinder verbringen eine Woche im Landhaus ihrer Großeltern „Nana“ und „Pop Pop“, doch sind sie einander noch nie begegnet. Die 15-jährige Becca will aus dem Besuch einen Dokumentarfilm für ihre Mutter drehen. Ihr kleiner Bruder Tyler hilft bei den Dreharbeiten, häufig auch als Comic Relief. Zunächst ist Nana eine Oma wie im Bilderbuch mit grauem Haardutt und Keksen, die aus dem Backofen kommen. Pop Pop ist ein lakonischer Bauer, der die Kinder ermutigt, um halb zehn ins Bett zu gehen.

Doch allmählich verhalten sich die Großeltern äußerst exzentrisch, und seltsame Zwischenfälle beginnen sich zu häufen. Pop Pop schiebt sich ein Gewehr in den Mund. Nana kratzt nachts splitternackt an den Wänden und „stopft“ Becca tagsüber in besagten Ofen – um ihn zu reinigen. Es ist nur schwer zu ignorieren, dass irgendetwas nicht stimmt. Es gibt einen Keller, der nicht betreten werden darf, eine strenge Sperrstunde, eine grimmige Schaukelstuhl-Szene, bizarre Geräusche in der Nacht, ja es gibt so viele Klischees. Es mutet lächerlich an, aber anstatt den Fehler zu machen, eine existenzielle Perle wie The Sixth Sense wiederholen zu wollen, spielt Shyamalan humorvoll mit der Form eines abgedroschenen Subgenres. Schreie des Entsetzens lösen sich in Gelächter auf, und der Filmemacher nutzt die Liebelei zwischen Spannung und Katharsis zu seinem Vorteil.

Wenn die Wendung kommt – und man kann sich darauf verlassen, dass sie kommt – läuft ein Schauder über den Rücken. Die französische Kamerafrau Maryse Alberti kreiert sehr gelungen die Illusion, der Film sei von zwei Kindern gedreht worden, und die natürliche Performance der beiden ist mitunter ein Grund dafür, warum der Film so gut funktioniert. So viel gelacht hat man bei einem Film von Shyamalan nicht seit The Happening, aber diesmal sind wir die Angeschmierten, denn das, was wir sehen, ist mehr, als wir erwartet hatten.