Chronologie eines legendären Drahtseilakts
Im Sommer 1974 machte sich der Hochseilartist Philippe Petit daran, einen Plan umzusetzen, den er seit mehreren Jahren vorbereitet hatte und den man mit Fug und Recht als Irrsinn bezeichnen hätte können. Denn Petit beabsichtigte, ein Stahlseil zwischen den beiden Türmen des neu errichteten New Yorker World Trade Centers zu spannen, um in mehr als 400 Metern Höhe ohne Sicherung über den Straßen von Manhattan zu balancieren. Ein waghalsiges Unterfangen also, das schon aufgrund der ihm offensichtlich innewohnenden Dramatik als filmisches Sujet wie geschaffen scheint und bereits 2008 im Zentrum des Oscar-prämiierten Dokumentarfilms Man on the Wire stand.
Mit der Dramatik darf man es aber in der von Robert Zemeckis in Szene gesetzten Spielfilmvariante nicht allzu wörtlich nehmen, schlägt doch seine Inszenierung einen etwas anderen Ton an. Das beginnt damit, dass Petit (Joseph Gordon-Levitt) als Ich-Erzähler mit auktorialen Kompetenzen ins Bild gerückt wird. Also bleibt es dem Protagonisten vorbehalten, seinen potenziell halsbrecherischen Drahtseilakt als groß angelegten Schelmenstreich zu präsentieren. Breiten Raum nimmt dabei die mittels Guerilla-Taktik durchgeführte Vorbereitung ein. Denn natürlich war Petits Vorhaben in höchsten Maß illegal, also mussten er und seine Helfer einigen Einfallsreichtum entwickeln, um unbemerkt auf das Dach des World Trade Centers zu gelangen und das Stahlseil anzubringen. Zemeckis inszeniert diese akribischen Vorbereitungen samt allen Raffinessen im Stil eines Heist-Movies – Petit bezeichnet das Unternehmen selbst immer wieder als „Coup“–, das unaufhörlich auf den lang erwarteten Höhepunkt zusteuert: Am Morgen des 7. August 1974 wagte Philippe Petit schließlich den ersten Schritt über den Abgrund. Da der Ausgang der Geschichte weithin bekannt sein dürfte, würde man meinen, die echten Spannungselemente in den Beziehungen der Charaktere und den dabei entstehenden Reibungsflächen im Vorfeld des Balanceakts – immerhin setzt Petit dabei nicht weniger als sein Leben aufs Spiel – vorzufinden. Doch hier steht The Walk seine etwas antiquiert anmutende Erzählperspektive im Weg, die sich auf bloßes Rekapitulieren beschränkt, weder etwas über die Motivation des Protagonisten verrät, noch charakterliche Entwicklungen zulässt und Petits Mitstreiter auf willfährige Helfer reduziert. Bei Zemeckis – und damit auch bei Philippe Petit – scheint die ganze Welt, gleich in Forrest Gump, ein einziges Schelmenstück zu sein – man muss halt immer so viel Glück haben wie Forrest und Philippe.