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The Witch

Die Hexenjagd ist eröffnet

| Marietta Steinhart |
„The Witch“ ist ein Meisterwerk der Atmosphäre, in der mit dem Teufel einen Pakt einzugehen nur allzu plausibel erscheint.

Wir befinden uns im Neuengland des siebzehnten Jahrhunderts, etwa zehn Jahre nachdem die Pilgerväter mit der Mayflower an der Küste Nordamerikas eingetroffen sind und ein paar Jahrzehnte vor den berüchtigten Hexenprozessen von Salem. William (Ralph Ineson), ein relativer Neuankömmling aus England, wird vor den Rat seiner grimmigen Mitbürger gebracht und „hochmütiger Arroganz“ beschuldigt. Die Einzelheiten des Konflikts bleiben vage, aber – nach amerikanischer Tradition – ist die Wurzel des Übels eine Frage der Religion. Er verweigert, sich dem Willen des Gerichts zu beugen, und ist überzeugt davon, dass er ein wahrer Christ sei. Er habe nur „das wahre Evangelium Gottes“ gepredigt, krächzt er mit rauer Stimme. Das Urteil ist hart. William und seine Ehefrau (Kate Dickie) werden samt ihren fünf Kindern aus der puritanischen Kolonie ausgestoßen und auf ein Gehöft am Rande der Wildnis verbannt – mit Blick auf einen unwirtlichen Wald, über dem genauso gut geschrieben stehen könnte: „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“ Die Wälder sind ein beängstigend dunkles Gewirr, das der Vater seinen Kindern untersagt zu betreten. Das Böse hause dort. Das Einzige, was fast noch schrecklicher ist als die Hilflosigkeit der Familie gegenüber dem Ominösen, das in diesem Wald lauert, ist ihr fundamentalistischer Gottesbegriff. Erzogen von ihrem autoritären Vater und ihrer stoischen bis hysterischen Mutter, schweben die vier älteren Kinder in ständiger Angst vor Verdammnis.

Die älteste Tochter, Thomasin (Anya Taylor-Joy), ist eine junge Frau, die, während sie schläft, dem schuldbewusst-faszinierten Blick ihres sexuell neugierigen Bruders Caleb (Harvey Scrimshaw) ausgesetzt ist und sich bei Tage mit den rotzfrechen Zwillingen Mercy und Jonas (Ellie Grainger und Lucas Dawson) herumschlagen muss. Eines Nachmittages beim Guckguck-Spiel mit dem Neugeborenen Sam, bedeckt Thomasin dreimal ihre Augen, und jedes Mal, wenn sie ihre Augen wieder öffnet, lacht er. Beim vierten Mal ist er verschwunden.

Von diesem Moment an findet sich das Mädchen in einer Situation wieder, die von Tag zu Tag unerträglicher wird. Die Matriarchin schluchzt immerfort im Haus und betet für die Seele des vermissten Säuglings, während der Patriarch den Verlust der Macht über seine Frauen, Gott und die Welt durch obsessives Holzfällen zu kompensieren versucht. Die Felder liegen brach, Jagdausflüge gehen schief, und die Tiere auf dem Bauernhof verhalten sich seltsam. Die Schuld fällt, wie sollte es auch anders sein, auf die leuchtende, menstruierende, blonde Schönheit mit dem rosafarbenen Teint. Thomasins Zwillingsgeschwister sind davon überzeugt, dass sie mit dem Teufel tanze, obwohl sie diejenigen sind, die mit dem schwarzen Hausbock zu reden scheinen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Familie dem Wahnsinn verfällt.

Ist Thomasin die Hexe aus dem Titel? Nun, an einer Stelle sagt sie, dass sie es sei, aber je weniger man weiß, desto besser. Ist sie ein unschuldiges Mädchen oder tatsächlich eine von Satans Mägden? Autor und Regisseur Robert Eggers stapelt die Geschichte für beide Theorien. Wir bekommen kurze Einblicke in eine böswillige Kraft in diesen Wäldern, die sich in Kindesblut badet, so viel sei verraten, aber wir sind uns der Realität dessen, was wir sehen, nie ganz sicher. Das macht The Witch zu einem Film, der wie ein ambivalenter Albtraum wirkt. Wie schon der englische Untertitel A New-England Folktale verrät, handelt es sich um eine „neuenglische Volkssage“, was nahelegt, dass hier phantastische Elemente im Spiel sind. Wir erinnern uns an die finsteren Geschichten der Gebrüder Grimm.

Als ehemaliger Bühnen- und Kostümbildner hat Robert Eggers mit akribischer Liebe zum Detail einen schönen, eleganten und schaurigen Film geschaffen. Sein Spielfilmdebüt ist ein kleines Meisterwerk der Atmosphäre, in der mit dem Teufel einen Pakt einzugehen nur allzu plausibel erscheint. Eggers und sein Kameramann Jarin Blaschke haben ihre naturalistisch anmutenden Bilder jeglicher satten Farbtöne beraubt und gleichsam alles in eine düstere Wolkendecke getaucht. Wenn Farbe zum Einsatz kommt, dann in weiblicher, fleischiger und blutrünstiger Form. Die Chöre, Streicher und Leierkasten tragen das Ihre zur unheilvollen Stimmung bei. Visuell nimmt The Witch Bezug auf die berühmten „schwarzen Gemälde“ des spanischen Künstlers Francesco de Goya und die Holzschnitte der Apokalypse von Renaissance-Maler Albrecht Dürer. Der Film zitiert sogar eines seiner bekanntesten Motive, den Feldhasen, ein heidnisches Fruchtbarkeitssymbol und nur eine von vielen Topoi, die der Regisseur hier geschickt nutzt. Ein fauler Apfel, ein toter Vogel in einem Ei, ein schwarzer Bock. Das sind recht banale Bilder des Bösen, die aber auch fast vier Jahrhunderte später nichts von ihrer Resonanz verloren haben.

Die Sprache („thou“ und „thy“ gibt es zuhauf) wurde zum Teil direkt aus realen Tagebucheinträgen und historischen Gerichtsakten übernommen und schwelgt in einer antiquierten Poesie („Did ye make an unholy bond with that goat? Speak if this be pretence!“), die von den Schauspielern wahrhaftig verinnerlicht wurde. Was Eggers seinen jungen Darstellern abverlangt, ist wirklich anspruchsvoll. Anya Taylor-Joy ist das Herzstück des Films, und sie leistet erstaunliche Arbeit, aber auch Harvey Scrimshaw gibt eine bemerkenswerte Leistung als vom Teufel besessener Sohn.

Das Ergebnis mutet an wie eine Kreuzung zwischen der fiebrigen Hysterie von Arthur Millers Bühnenstück „The Crucible“ (1953) und der strengen Schwere von Stanley Kubricks The Shining (1980), einem Film, den Eggers als Inspirationsquelle genannt hat, wie auch Ingmar Bergmans Schreie und Flüstern (1972) und den schwedisch-dänischen Stummfilm Häxan (1922) von Benjamin Christensen.

The Witch könnte als Vorgeschichte zu den Hexenprozessen von Salem im Jahr 1692 gut funktionieren, als Ereignis, das eine Gruppe von jungen Mädchen dazu angestachelt haben könnte, mit dem Finger auf ihre Freunde und Nachbarn zu zeigen. Die Hexenverfolgungen bildeten die Grundlage für das Drama von Arthur Miller, zuletzt verfilmt im Jahr 1996 mit Daniel Day-Lewis und Winona Ryder in den Hauptrollen. Zusätzlich schafft Robert Eggers’ Film eine verwandte Atmosphäre von theologischem Fanatismus wie Rosemary’s Baby, The Exorcist oder The Omen und erzählt vom Verlust der kindlichen Unschuld. Hexenverfolgungen wurden oft als Ausdruck der Angst vor weiblicher Sexualität und Autonomie interpretiert, Hexerei war immer schon ein ergiebiges Thema.

Eggers’ Film fühlt sich an wie etwas authentisch Altes, aber sein Debüt ist unverkennbar ein Produkt unserer Zeit. The Witch ist nicht bloß eine allegorische Erzählung über religiöse Hysterie, sondern eine feministische Phantasie von der Emanzipation der Frau. Robert Eggers macht aus einer müden Horror-Trope ein beeindruckendes Stück Genre-Revisionismus und geht an einen Ort, an den sich wohl die wenigsten wagen. Nur wenige Horrorfilme haben jemals so tief in die Dunkelheit gestarrt, und noch weniger haben eine solche Ekstase dort gefunden.