Das Tromsø International Film Festival ist das größte in Norwegen. Bei makelloser Organisation vor wunderschöner, tiefwinterlicher Kulisse kein Wunder.
Tromsø, das „Paris des Nordens“ ist eine Überraschung in vielerlei Hinsicht. Das dachten sich wohl auch schon vor hundert, zweihundert Jahren die Besucher aus dem Süden, die dieser hoch im Norden Norwegens, weit hinter dem Polarkreis gelegenen Stadt ihren Spitznamen gegeben haben: Die Anekdote erzählt, dass sie die Stadt für erstaunlich kultiviert befunden hätten – und das ist definitiv nicht von der Hand zu weisen. Tromsø ist mit seinen über 70.000 Einwohnern das kulturelle Zentrum in Nordnorwegen– mit Museen, Theatern, Kinos und Kulturveranstaltungen aller Art. Hier findet auch das größte Filmfestival des ganzen Landes statt: Das Tromsø International Film Festival, kurz TIFF.
Festival in der Polarnacht
Jedes Jahr im Jänner, kurz bevor die Polarnacht endet, versammeln sich die Film-Enthusiasten in der Stadt. Dieses Jahr fand das Festival von 12. bis 18. Jänner statt. Mit 58.258 verkauften Tickets konnte es wieder mal den Rekord des Vorjahrs brechen. In dieser Zeit dreht sich in Tromsø alles um das Festival: Spricht man mit Einheimischen, gewinnt man den Eindruck, als wäre fast jeder irgendwie dabei, als würde fast jeder „TIFFen“ – sei es als freiwillige Helferin, Zuseher oder zumindest als Gast einer der gut besuchten Partys. Dazu kommen die vielen Besucher aus anderen Teilen Norwegens und anderen Ländern.
Lokalbezug gibt es in der Auswahl der Themenschwerpunkte: Von „City:Scope“, einem Schwerpunkt über Urbanisierung mit Blick auf deren Effekte für Tromsø über „Horizon East“, (zeitgenössisches russisches Kino),bis hin zum Klassiker „Films from the North“, der das Highlight für die Locals bereithielt: „Sami Stories“, sieben Kurzfilme, gedreht von jungen Sami-Regisseuren.
Sami Stories
Die Sami sind die Ureinwohner des Hohen Nordens, die als Rentierzüchter durch ihre Gebiete in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland zogen, bis Assimilationspolitik und Staatsgrenzen sie zur Sesshaftigkeit zwangen und drohten, die Eigenheiten, Sprache und Traditionen ihrer Kultur zu vernichten. Heute werden viele ihrer Rechte respektiert, es gibt sogar eine Sami-Universität. Ihr Kampf um Selbstbestimmung ist zwar nicht vorbei, doch viele der Sami des Nordens sind stolz auf ihre Herkunft und zeigen das auch. Viele Besucher der ausverkauftenPremiere kamen in traditioneller Kleidung, was das Screening zu einem besonderen Erlebnis werden ließ.
Die Filme selbst behandelten ganz unterschiedliche Themen – eine wortlose, langsam gefilmte Liebesgeschichte, ein kämpferisch-tänzerisches, interpretatives Drama um die eigenen Widersprüche und Konflikte. Eine kleine Geschichte aus der Vergangenheit und Geschichten über Familie und Verlust. Und O.M.G. (Oh Máigon Girl), der einen schlagartig aus Melancholie und Romantik reißt und in die Gegenwart holt, eine Geschichte darüber, was es heißt, ein Teenager zu sein in dieser endlosen Weite der Finnmark, darüber, etwas zu wagen, loszugehen und dann doch nicht anzukommen.
Filmische Ausflüge nach Russland
„Horizon East“ bot (aus persönlicher Sicht) sowohl den besten, als auch den schlechtesten der gesehenen Filme. Three Years Before The Autumn (Regisseurin Svetlana Bokova), einer der meistgesehenen Filme des Festivals, behandelt die Rolle der Finnmark während des zweiten Weltkriegs und ihre Befreiung durch die Sowjets, verliert sich aber leider nach einem starken Auftakt in einer schier endlosen Aufzählung der Frontlinien, beteiligten Bataillone und marginalen Gebietsgewinne. Es fehlt der rote Faden, der helfen würde, all die Informationsschnipsel zu verbinden.
Der rote Faden in Red Army (Regisseur Gabe Polsky) hingegen ist stringent durchgezogen: Slava Fetisov ist Dreh- und Angelpunkt der Doku über das „stärkste Hockey-Team der Welt“, das den Kalten Krieg aufs Eis brachte. Die sowjetische Nationalmannschaft „Red Army“ – Fetisov war Teamkapitän – galt in den achtziger Jahren als unschlagbar. Man muss Eishockey nicht mögen, um von Polskys geschickter Erzählung in Bann gehalten zu werden. Er schafft es zum einen, die komplexe Figur Fetisov und ihre Widersprüche vorzustellen, zum anderen, ihn und die Bedeutung der „Red Army“ für die Sowjetunion und ihre Darstellung nach außen einzuordnen. Polsky spannt den Bogen bis in die Gegenwart. Ein Film, so rasant wie ein Hockey-Spiel.
Eis, Schnee und Kälte kommen im Filmprogramm immer wieder vor. Auch das ist angesichts der Kulisse, vor der TIFF stattfindet, ziemlich passend. Die Stadt ist umgeben von Meer und schneebedeckten Bergen, die aufgrund der Mitte Jänner noch vorherrschenden Polarnacht in ein leicht surreales Zwielicht getaucht sind – Sonnenaufgangsstimmung, bevor die Nacht wieder die Überhand erhält. Doch was stört die Dunkelheit, wenn man sich im Kino in noch fremderen Welten verlieren kann.