Tricky Women, das engagierte Frauen-Animationsfilmfestival, geht mit einer breiten Palette an stilistisch wie inhaltlich eindrücklichen Arbeiten in die vierte Runde.
Trickfilm und Politik
Mehrere Filme in den Tricky-Women-Programmen beschäftigen sich mit Krieg, Emigration und Globalisierung.
Wien ist anders, zumindest was das Geschehen auf dem Trickfilmsektor betrifft. Wien hat kein internationales Animationsfilmfestival im herkömmlichen Sinne, dafür aber eines, das sich seit 2001 im Zweijahresrhythmus dezidiert und ausschließlich der Trickfilmkunst von Frauen widmet – eine europaweit nach wie vor einmalige Unternehmung, die immer bunter werdende Blüten treibt. Nicht nur, dass sich Tricky Women in den letzten Jahren einen fixen Platz in der heimischen Festivallandschaft erspielt hat, auch auf dem weltweiten Animations-Parkett ist die Wiener Institution keine Unbekannte mehr – Präsentationseinladungen nach Zagreb, Rehovot oder New York zeugen davon.
Zwar sind die finanziellen Mittel für ein kleines Festival wie Tricky Women denkbar beschränkt, aber die spürbare Leidenschaft und Faszination der Veranstalterinnen rund um Waltraud Grausgruber und Birgitt Wagner für den Trickfilm haben dazu geführt, auch heuer wieder mit einer gewachsenen Programmstruktur aufwarten zu können. Neben dem internationalen Wettbewerb, in dem schillernde Puppenanimationen ebenso wie computergefertigte Arbeiten um den mit beachtlichen 3.650 Euro dotierten Tricky-Women-Preis der Stadt Wien rittern, zeichnet sich das Festival einmal mehr durch zahlreiche Spezialprogramme aus (neu ist das Vernetzungstreffen Connecting Animation, zu dem Branchenangehörige aus dem In- und Ausland geladen sind). Ein Fokus liegt auf der österreichischen Trickfilmproduktion – gewissermaßen eine Pflicht, hat der heimische Animationsfilm doch mit einer schmalen Öffentlichkeit innerhalb von Österreichs Grenzen zu kämpfen. Darüber hinaus hat sich der Länderschwerpunkt dieses Mal nach Osten und Norden verlagert, zum einen in Länder mit langer Trickfilmtradition wie Russ-land und die Ukraine, zum anderen nach Skandinavien, in eine Region, für die beide Festivalinitiatorinnen besonderess Interesse zeigen. „Wir wollten sehen, inwieweit sich Themen wie Gleichberechtigung in Animationsfilmen wieder finden, die aus ausgeprägten Wohlfahrtsstaaten kommen“, sagt Waltraud Grausgruber. Und tatsächlich erfahren sozialpolitische Themen in Filmen wie Radicalized (Klara Swantesson) eine nachdrückliche Behandlung. Überhaupt weist die Filmauswahl eine starke Tendenz zum Politischen auf. Zentrale Topoi wie Krieg, Emigration oder Globalisierung werden in Filmen wie God on our Side (Pfeffer/Kranot) oder Tetescha Us (Stefanie Wuschitz) auf höchst zugängliche wie komplexe Weise reflektiert. Birgitt Wagner: „Wir haben nicht explizit danach gesucht, aber die Fülle an politischen Arbeiten ist beeindruckend.“ Die beste Voraussetzung also für ein lebendiges und nachhaltiges Festivalerlebnis. Lukas Maurer
Wolliges Metaversum
Die in England lebende tschechische Animationsfilmerin Vera Neubauer spart seit mehr als dreißig Jahren nicht mit provokativen Feminismen. In ihrem innovativen, reichen und komplexen Œuvre verbindet sie Surrealismus mit märchenartigen Geschichten zu bösen Attacken gegen gutbürgerliche Geschlechterzuschreibungen.
Betrachte man Animation als die subversivste Form des Filmemachens und berücksichtige man, dass die meisten Trickfilmerinnen ohnehin gegen den Mainstream agieren, dann seien Vera Neubauers Filme der terroristische Arm dieser Kunstform, die Roten Brigaden des Animationsfilms sozusagen. Diese Einschätzung ist einem Kompendium des British Film Institute entnommen, dem das Bedauern darüber folgt, dass das herausfordernde, experimentelle und für die feministische Filmtheorie wie geschaffene Werk Neubauers noch nicht entsprechend gewürdigt worden sei. Das war 1992.
Inzwischen hat die 1948 in Prag geborene Wahlengländerin weiter in der Trickkiste gekramt und ist längst eine internationale Größe für sich. In der Tricky-Women-Retrospektive werden fünf aus der langen Liste ihrer Animationen gezeigt. Dazu kommt noch ihr neuestes Opus, The Last Circus, das im Wettbewerb zu sehen ist. Zwar bastelt Neubauer bereits seit den frühen Siebzigern an ihrem Œuvre, das Tricky-Women-Programm setzt aber mit Animation for Live Action (1978) ein. Der Einstieg ist fulminant. In der für Neubauers Werk typischen experimentellen Art verbinden sich hier die titelgebenden Elemente Live-Action und verschiedenste Arten der Animation mit Verfahren der Filmbearbeitung bzw. -montage. Der ironischen, surrealistischen Erzählhandlung ist nicht so leicht zu folgen. Es geht um eine Animationsfilmerin und ihr animiertes Alter Ego, zugleich um Frauenrollen, Autorinnenschaft und um Film als Medium, in dem sich die „Gleichzeitigkeit von Standpunkten“ und die „Unteilbarkeit von Ereignissen“ darstellen lassen.
Sie wolle lieber provozieren als unterhalten, sagte Vera Neubauer in einem Interview. Schon mit der Komplexität ihrer Erzählstrukturen erreiche sie ihr Ziel. Der Überreichtum an gestalterischen Einfällen korreliert mit einer Vielzahl von Bildern, die rasch aufeinanderfolgen und randvoll sind mit Sinn, wie halb vergessene oder wieder erinnerte Träume oder Märchen. Wie es Träumen – und seit Buñuel und Dalí auch ihren filmischen Pendants – eigen ist, sind diese Bilder zugleich verführerisch und abstoßend. Radikaler Feminismus klingt an, wenn weibliche Körperfunktionen wie Menstruation oder Geburt gezeigt werden oder mit Exkrementen verschmierte Babygenitalien. Weil diese Darstellungen aber alle entweder gezeichnet oder mit Strickpuppen, Wollfäden und Textilien animiert sind, haben sie trotz des provokanten Inhalts auch immer etwas verwirrend Niedliches. Rote Wollfäden als Menstruationsblut? Zum Knuddeln! Andrea Winklbauer
Diesseits von Hollywood, jenseits von Bollywood
USA, Frankreich, Indien. Drei Länder, drei Kunsthochschulen. Tricky Women zeigt institutionell geprägte Animationsfilme im Vergleich.
Maria Lassnig unternahm hier ihre ersten Schritte als Trickfilmkünstlerin. Die Rede ist von der New Yorker School of Visual Arts, einer der profiliertesten Ausbildungsstätten für Trickfilm in den USA. Nicht wenige Studenten verlassen nach ihrem Abschluss die Schule in Richtung Großstudios wie Pixar, Industrial Light & Magic oder DreamWorks. Eine Berufsentscheidung, die in Anbetracht der Diplomfilme, die bei Tricky Women zu sehen sind, nur konsequent erscheint. Es sind Arbeiten, die in ihrem zumeist computeranimierten Look einen sichtbaren Hang zur industriellen Fertigung aufweisen. Ihren ästhetischen Einfallsreichtum und ihre Lust am Erzählen schmälert das aber nicht. Wings von Pai Hsin Kuo beispielsweise, eine wunderschöne Kontemplation über Aufbruch, Ausbruch und Erfüllung, zeigt sich ganz beiläufig und bedächtig medienreflexiv: Ein Papiervogel, digital gebastelt, scheut keine Mühe, seiner Umgebung zu entfliegen, bis er sich zum Schluss in einem naturerhabenen Landschaftsgemälde verewigt wieder findet. Und in dem überaus vergnüglichen dog movie Life Sucks von Jiyun Kim erklärt eine genussfreudige, nach allen Regeln des amerikanischen character design entworfene Bulldogge einem flennenden Baby nichts Geringeres als den Sinn des Lebens.
In scharfem Kontrast dazu stehen die Filme, die in der Animationsklasse der Pariser Kunsthochschule Ensad sowie auf dem National Institute of Design in der westindischen Stadt Ahmedabad entstanden sind. Hier dominiert klassischer Zeichentrick, verpackt in symbolistische bis didaktische Geschichten, und im Falle von Ensad sichtlich genährt von der abendländischen Kunsthistorie. So erinnert etwa das defätistische, federgezeichnete Marionettenspiedler-Drama Sinistra Dextra (Marion Arbona) in seiner manischen Strichführung unverkennbar an das düstere Werk Alfred Kubins. Der leichthändige Minimalismus wiederum, der der Bistro-Komödie S´il vous plait! (Emilie Sandoval) ihren unwiderstehlichen Charme verleiht, wirkt wie eine große Verbeugung vor den lebenslustigen Alltagsporträts Karikaturisten Sempé. Auf der Inhaltsebene sind es vor allem die indischen Beiträge, die mit einer Reihe an persönlichen, teils autobiografischen Erzählungen auffallen. Insbesondere die politisch gefärbte true story Mukand and Riaz (Nina Sabnani) sticht dabei heraus, präsentiert sie sich doch im (reichlich verzierten) Gewand einer animierten Dokumentation – und folgt damit einem Trend, der auch in den übrigen Programmen von Tricky Women 07 klar zu erkennen ist. Lukas Maurer
Aus dem Nähkästchen
Highlights aus den Tricky-Women-Programmen: Es sind diesmal mehr düstere Entwürfe zu sehen, aber auch einiges, das kritisch und obendrein noch ziemlich lustig ist.
Ein Mädchen sucht auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs nach ihrem verschollenen Liebsten. Musikalisch ausgedrückt wäre der Plot von The Maiden & the Soldier (Katarina Lilqvist, FIN 1995, Nordic Focus) eine Mischung aus Totentanz und Hochzeitsmarsch. Und es wird tatsächlich musiziert: Ein skurriles Trio aus Soldatenskeletten spielt und singt wilde Musik. Weil die drei keine Gesichter mehr haben, hält ihnen das Mädchen das Foto ihres Liebsten vor die leeren Nasenlöcher. Zum Beweis ihrer Identität zückt jeder von ihnen sein eigenes Foto. Der grausige Einfall drückt mindestens so viel über den Krieg aus wie die berühmten ersten zwanzig Minuten aus Saving Private Ryan.
Vom Krieg handelt auch God On Our Side (Uri Kranot, Michal Pfeffer, ISR/NL 2005, Wettbewerb). Der düstere Film collagiert aquarellierte Schablonen zu Impressionen aus dem Alltag in Israel: Ein Stacheldraht und eine Mauer mit Wachturm. Ein Schild, das sagt: „No Entry“. Israelische Soldaten. Ein Selbstmordattentäter in einem Bus. Menschen, die sich an einem Checkpoint anstellen, eine Schwangere, die dort zusammenbricht und ein totes Kind zur Welt bringt: God On Our Side zeigt etwas pathetische, aber sehr eingängige Bilder des Todes, die übrigens von Picassos Guernica inspiriert sind.
In einer comichafteren und weniger polemischen Form thematisiert Tetescha Us / Sie übergeht Grenzen (Ö 2006, Wettbewerb) von Stefanie Wuschitz die Situation von Frauen in Flüchtlingslagern im Libanon. Gezeichnete Rückgriffe auf Medien und Darstellungsmodi von aktuellem Geschehen wie Fernsehen oder Statistiken sehen schick aus und kommen dank Wuschitz’ Gespür für Entertainment gar nicht pädagogisch rüber.
Politisch in einem anderen Sinn ist der Puppentrickfilm Superhero’s Son (Kaisa Penttilä, FIN 2005, Wettbewerb). Weil die Mama als getarnter Superhero zu wenig Zeit für ihren
eigenen Sohn hat, lässt der sich etwas einfallen, um sie als Heldin aus dem Verkehr zu ziehen. Die Satire zielt sehr böse auf gängige Geschlechterklischees.
Knöpfe und Stecknadeln sind die Protagonisten der Material-animation Caution, The Doors Are Opening! Or: Mind The Gap! (Anastasia Zhuravleva, RUS 2005, Wettbewerb). Reißverschlüsse sind U-Bahnzüge, Maßbänder sind Bahnsteigekanten und Schnittmusterbögen, Garnspulen und Scheren bilden das modernistische Design eines U-Bahnhofs. Vielleicht ein wenig inspiriert von den berühmten Moskauer Metro-Stationen, hat die russische Filmemacherin eine völlig plausible, lebendige Welt erschaffen, und das (fast) nur aus dem Inhalt eines Nähkästchens.
Im Puppentrickfilm Kater (Tine Kluth, D 2005, Wettbewerb) schließlich verliebt sich der Titelheld in die falsche Mietze: Sie ist schon vergeben, und Katers Konkurrent vertreibt ihn ziemlich brutal. Wie gut, dass eine Katze neun Leben hat, sonst gäbe es zum Schluss kein Happy End. Der bis ins kleinste Detail passend zur Atmosphäre der Herzschmerz-Katzenjammer-Geschichte ausgestattete und erzählte Film ist das Highlight der Highlights des Festivals. Andrea Winklbauer