Mit „Dumb Money“ schreibt Regisseur Craig Gillespie seinen Werkkatalog nicht überraschend, dennoch hochwertig fort. Im Zentrum der Verfilmung einer hohe Wellen schlagenden Börsen-Affäre überzeugt Paul Dano.
Unerwartete Baseball-Profis, unglaubliche Seenotrettung, unrühmlicher Eiskunstlaufskandal – von US-amerikanischen (Anti-)Heldengeschichten scheint der mit neunzehn nach New York ausgewanderte, gebürtige Australier Craig Gillespie wie magisch angezogen. Nun hat der Regisseur, der sich mit der dramatisch-unterhaltsamen filmischen Darstellung von außergewöhnlichen, tatsächlich stattgefundenen Ereignissen ebenso einen Namen gemacht hat wie mit düster angehauchtem schrägem Humor, dieser Linie einen weiteren Abschnitt hinzugefügt: die völlig unwahrscheinliche, wahre Geschichte einer erfolgreichen Auflehnung von Privatpersonen versus eigentlich unbesiegbare Big Player der Wall Street, die das Geschäft an der New Yorker Börse durchaus nachhaltig verändern sollte.
Der Topos von Nobodys, die ganz oben mitspielen wollen, prägt bereits Million Dollar Arm (2014): Gillespie inszeniert dort die Entdeckung der ersten beiden Inder, die Profispieler in der Major League Baseball wurden, nachdem sie einen vom Sportfunktionär J. B. Bernstein eigens zu diesem Zweck auf die Beine gestellten TV-Wettbewerb gewinnen konnten. Auf Leben und Tod geht es hingegen in The Finest Hours (2016), als ein Küstenwache-Kommando um Chris Pine den Offizier Casey Affleck und möglichst alle seiner verbleibenden Crew-Mitglieder des in stürmischem Gewässer in zwei Stücke gebrochenen Öltankers SS Pendleton erretten muss. Auf gefrorenem Wasser zeigt indes Tonya Harding, ebenfalls eine Art Outcast, was sie kann – und Gillespie landete mit I, Tonya (2017) seinen bis dahin größten Hit, nicht zu wenigen Teilen der famosen Margot Robbie zu verdanken.
Stars and Stocks
Mit Ryan Gosling (im schrägen Lars and the Real Girl, 2007), Emma Stone (Cruella, 2021) und eben Robbie hat Craig Gillespie mit drei der gefragtesten A-List-Stars von heute gearbeitet. In seinem neuen Film, der erst vor ein paar Wochen beim Toronto International Film Festival Weltpremiere feierte, übernimmt nun mit Paul Dano ein Schauspieler, der im Vergleich relativ „wenig“ im Rampenlicht steht, jedoch wieder einmal beweist, dass er ein ganz hervorragender Charakterdarsteller ist. Wie schon Margot Robbies Tonya Harding einen so unbeirrbaren Habitus von „Jetzt-erst-recht“ ausstrahlt, wohnt ein solche Neigung Dumb Money im Gesamten inne, diesmal sogar mit einer Beleidigung als Filmtitel, die gegen jene gewandt ist, die im Laufe des Films, der realen Affäre, reüssieren werden: Im saloppen Fachjargon bezeichnet „dumb money“ eine naive Fehleinschätzung beim Handel mit Aktien sowie implizit die Personen, Laien, die derart handeln – und verlieren. Zugegeben mag zwar Keith Gill nicht ganz als dieser Gruppe zugehörig gelten, ist er doch seit Jahren beim Versicherungsriesen MassMutual als Broker beschäftigt und betreibt den Handel mit Aktien nicht unwissend als Hobby. Viele jener, die Gill ab dem Herbst des Jahrs 2019 auf seinem YouTube-Channel und auf Reddit für Aktien des Videospiel-Handelsunternehmens GameStop begeistern kann, fallen aber genau in diese abwertend zugeschriebene Kategorie. Als seine beiden Netz-Alter-Egos „Roaring Kitty“ und „deepfuckingvalue“ berichtet Gill seiner rasch anwachsenden Follower-Schar davon, dass er großes Potenzial in der schwächelnden Firma sieht – und er selbst eine beeindruckende Anzahl von 50.000 Shares, auch Stocks genannt, erworben hat. Entscheidendes Detail bei der Sache: Mächtige Hedgefonds sind gerade drauf und dran, GameStop zu „shorten“ – sie streben also, stark vereinfacht gesagt, danach, daran zu verdienen, dass die Firma weiterhin an Wert verliert und schließlich pleitegeht. Üblicherweise geht diese erschreckend gängige Praxis auf. Ungeachtet dessen findet die Idee von Keith Gill in der Web-Community so immensen Anklang, dass die GameStop-Aktie tatsächlich kontinuierlich emporsteigt und allmählich ein Problem für jene generiert, die auf ihr Scheitern wetten. Wie sehr er mit seiner Einschätzung, dass mit vereinten Kräften erreicht werden kann, den von vermögenden Akteuren gewollten Niedergang der Firma ins Gegenteil umzukehren, in Schwarze treffen sollte, dürfte sich „Roaring Kitty“ höchstpersönlich kaum ausgemalt haben. Was folgt, ist die historische Begebenheit eines „Short Squeeze“, bei dem es letzten Endes die Hedgefonds sind, die unfassbare Geldsummen an Verlust einzufahren drohen. Eine Entwicklung, die an einem gewissen Zeitpunkt sogar den US-Kongress auf den Plan ruft. Und das, obwohl Gill die Aktie ja einfach nur gut gefällt, wie er lapidar meint – ein Ausspruch, der bald Meme-Status erhält.
Stars and Stripes
In vielerlei Hinsicht ist die Leinwandversion dieser markterschütternden Causa äußerst nah an den Fakten gehalten. Natürlich wird trotzdem fleißig hinzugedichtet, etwa um die Teilnehmenden an diesem David-und-Goliath-Kampf als einerseits heterogene, andererseits in ihrer Leidenschaft geeinte Masse zu zeichnen, die dem Impuls nachgibt, endlich an einem spürbaren Schlag gegen das Establishment zu partizipieren: Da ist Marcus, ein ziemlich prekär lebender Verkäufer in einer kleinen GameStop-Filiale; da ist Jenny, die Krankenschwester, die ihre Schulden endlich abbezahlen will; da sind die beiden College-Studentinnen Harmony und Riri, die eine Generation junger Leute verkörpern, die von Studiendarlehen geplagt einigermaßen pessimistisch, gleichzeitig von umso größerem Moralbewusstsein und gesellschaftlichem Gerechtigkeitssinn angetrieben sind. Der Perspektivenwechsel zwischen dem Mastermind und seinem „Gefolge“ (ein wenn, dann lediglich am Rande thematisiertes Verhältnis) funktioniert flüssig und verleiht dem Film eine kurzweilige Struktur. Es weht eine Ahnung von American Dream; die Erfüllung finanzieller Träume scheint nah, für Leute, die bloß noch minimal daran geglaubt haben. Durchgehend finden in Dumb Money gute Portionen des für Gillespie typischen Humors Platz, mit am deutlichsten in der Figur von Keith Gills nichtsnutzigem, rotzfrechem Bruder Kevin, der, von Pete Davidson gespielt, erst grober Klotz am Bein, irgendwann aber – natürlich – als wichtige Stütze für Keith fungiert. Die Sequenzen mit Kevin, wie gleichsam jene, in denen Keiths Ehefrau ihrem Partner mal unterstützend zur Seite steht, mal ihn nicht länger auszuhalten droht, sind jedoch klar die schwächsten des Films; in beiden Fällen handelt es sich um nichts als Exempel hundertfach abgenutzter Hollywood-Logik. Zum Glück ist Dumb Money hingegen in seiner Dramatisierung von allen voran Melvin-Capital-Gründer Gabe Plotkin – Seth Rogen gibt den unverschämt reichen Manager, der ins existenzielle Schwitzen kommt, ohne Übertreibung exzellent – und den restlichen Börsen-Granden in dessen Umfeld satirisch zielsicher, angemessen schadenfroh und absurd-komisch. Am besten dabei: Wirklichkeitsnähe ist hier nachweisbar, so ganz am Ende offengelegt, wenn die Inszenierung auf Ausschnitte der real so geschehenen Kongress-Anhörung zurückgreift und im Abspann die echten Menschen hinter den Charakteren präsentiert. Selten lohnte es sich mehr, nach der letzten Einstellung nicht gleich zur Saaltür zu eilen.
KATZEN UND MASKEN
Zusätzlich der fabelhaften Leistung von Paul Dano, dem es gelingt, einen Otto Normalverbraucher mit Suburb-Häuschen, der erst mit Katzen-T-Shirts und rotem Bandana im Livestream vor Exceltabellen sitzend so richtig aufblüht, im besten Sinne unauffällig – sympathisch, nicht frei von Fehlern, menschlich, just deshalb in den Bann ziehend – zu verkörpern, sich nicht unnötig größer als die Erzählung machen zu wollen, ist schlussendlich zudem die gekonnte Manier zu erwähnen, in der Craig Gillespie und Team den essenziellen zweiten Handlungsraum, das Internet, in die Gestaltung des Films integrieren. Die Kommunikationsebenen, die während der Pandemie unverhofften Aufschwung erlebten, ereignen sich harmonisch, das Found Footage aus dem Netz agiert als gleichwertige Nebenrolle. Überhaupt erscheinen der Alltag mit Covid-19 und die damit verbundenen radikalen Veränderungen bezüglich sozialer Interaktion angenehm natürlich in die Story eingebunden.
Ob die soziale Isolation eine Menge dazu beigetragen hat, dass so viele Individuen beschlossen, wegen der Empfehlung eines einzelnen Sonderlings in GameStop-Anteile zu investieren? Der Film verfolgt nicht die Intention, darauf eine Antwort zu geben, doch die Verlagerung des Soziallebens in Online-Räume sowie die seuchenbedingt erhöhten Sorgen (nicht exklusiv) finanzieller Natur dürften wohl mindestens Mitgründe dafür sein. Die Menschen waren und sind wütend – und diesmal sollte sich herausstellen: Die berüchtigten „Die da oben“ sind verwundbar. Auch um dieses allegorische Potenzial weiß Dumb Money, erfreulicherweise ohne es auszuquetschen.