Zur Perspektive in „Space Dogs“ von Elsa Kremser und Levin Peter, einem dokumentarischen Highlight der Diagonale.
Sie ist nicht alt geworden, da oben im Weltraum auf ihrer Umlaufbahn um die Erde; als Todesursachen vermutet werden Überhitzung und Stress. Und wer wäre auch nicht gestresst, in einer Raumkapsel festgeschnallt und ohne jeden Hauch einer Ahnung vom Woher und Wohin, geschweige denn des Warum.
Während über ihr Geburtsdatum nur gemutmaßt werden kann – aufgrund ihres körperlichen Allgemeinzustandes geht man von 1954 aus –, kennt man ihren Todestag genau: 3. November 1957; an jenem Tag wurde sie um halb drei Uhr früh an Bord von Sputnik II ins All geschossen, sieben Stunden später übermittelte ihr Raumanzug endgültig keine Lebenszeichen mehr. Ihr kleiner Satellit aber blieb noch weitere fünf Monate in der Umlaufbahn und umrundete die Erde 2570 Mal, bevor er beim Wiedereintritt in die Atmosphäre am 14. April 1958 über dem Karibischen Meer verglühte.
Der russischen Bevölkerung wurde der frühe Tod der Hündin Laika verschwiegen; ihre Rückkehr war ja ohnehin nicht geplant gewesen, man hatte sie dort oben eigentlich gnadenhalber nach einer Weile vergiften wollen. Aber naja, es kam dann anders. Nur ließ sich eben mit der Vorstellung eines im Weltraum ewig im Kreis herum rasenden Hundekadavers auch nicht wirklich Staat machen. Oder mit der toter Augen, die sich blicklos auf die Erde richten.
Die Weltraumhündin Laika, ungefragte Pionierin, Heldin wider Willen – sie ist die graue Eminenz im Hintergrund dieser Filmerzählung, die mythische Urahnin der Vierbeiner, von denen Space Dogs unter anderem handelt. Laika stammte aus Moskau, zumindest wurde sie dort eingefangen und – wie so viele andere mit und nach ihr – ins Kosmodrom Baikonur verbracht. Ein schlichter Straßenköter also, keinem zugehörig und daher auch von niemandem vermisst. Ein Lebewesen, das man – also der Mensch – sich schnappen kann, um willkürlich mit demselben zu verfahren. So wie der Straßenköter sich eine Hauskatze schnappen und ihr quasi im Vorübergehen das Genick brechen kann. Aber was dann?
Die Erzählerstimme stellt den Zusammenhang her zwischen Laika und den Hunden, die in Rudeln durch die Straßen des heutigen Moskau ziehen. Mehr oder minder lose Zusammenrottungen, aus denen Elsa Kremser und Levin Peter zwei Rüden herausheben: der eine schon etwas älter, mal mehr, mal weniger stark lahmend, schnell übel gestimmt, im Zweifelsfall fletscht er die Zähne und schnappt, dann kracht es hörbar auf der Tonspur; der jüngere hat Schlappohren (aufgrund derer er Laika sogar ein bißchen ähnlich sieht), Fellhosen an den Hinterläufen, einen hochbeinigen, federnden Gang und vertreibt sich die Zeit auch mal mit dem Auslösen von Autoalarmen und dem Zerbeißen von Luftballons. Was Hunde halt so machen.
Es habe eine Weile gedauert, so Kremser und Peter über die Dreharbeiten, bis sich ein Hunderudel ihnen gegenüber friedlich und kooperativ genug zeigte, um es mit der Kamera verfolgen zu können. Einer Kamera, die es Yunus Roy Imer mittels eines speziellen Stabilisierungssystems erlaubte, in Augenhöhe der Hunde zu drehen, sozusagen aus der Hüfte zu schießen. Manchmal ist diese Kamera so nah dran, dass der Eindruck entsteht, sie sei ein weiterer Hund und man selbst würde durch dessen Augen sehen und also irgendwie dazugehören. Anthropomorphisierende Anwandlungen aller Art werden einem jedoch zügig ausgetrieben; Hunde zerbeißen eben nicht nur Luftballons, und mit Moskowiter Straßenkötern ist mitunter nicht gut Kirschen essen.
Also findet man sich wieder zurückgeworfen auf die Perspektive des sich im Kinosessel räkelnden Publikums, das sieht, wie das Hundetier bei strömendem Regen kein trockenes Plätzchen findet. Und das beobachtet, wie mit Hilfe einer höchst kunstvoll geführten Kamera der Überlebenskampf einer ihm wesensmäßig fremden Kreatur dokumentiert wird. In einer menschengemachten Welt wohlgemerkt. Aus dieser Distanz holt einen dann wiederum die Stimme aus dem Off heraus, die das zwischenmontierte Archivmaterial erläutert, welches das Schicksal von Laikas Artgenossen im russischen Raumfahrtprogramm der späten fünfziger Jahre beleuchtet (denn sie war nicht die Letzte, die den Boden unter den Pfoten verlor).
Die Stimme aus dem Off – die auf der Ebene der Produktion dem angesehenen russischen Schauspieler Alexey Serebryakov gehört – ist eigentlich eine Stimme von oben, genauer: aus dem Weltraum. Es ist eine tiefe Stimme mit einem vertrauenerweckenden Timbre, der man wohlig lauscht und die mit ihren Sätzen scheinbar Sinn stiftet im zunehmend unübersichtlicher werdenden Bedeutungsfeld, das sich zwischen Hund und Wissenschaft, All und Erde aufspannt. Gerne glaubte man, dass diese Stimme die Stimme eines Märchenonkels ist, doch ist sie wohl eher die Stimme eines gelassenen Gottes, dem alle Kreaturen gleichermaßen am Herzen liegen.
Gelassen? Gleichermaßen?
Fällt einem da nicht vielleicht auf, dass der Mensch in der hier gezeigten Welt der Hunde als Mad Scientist erscheint, wahlweise auf den Straßen als unberechenbare Bedrohung, ja sogar noch im entlegendsten Rückzugsraum als mörderische Gefahr? Der Blick der Kreatur, den Space Dogs so wundersam nachvollzieht, ist weder begriffslos noch schließt er das Treiben der Menschen aus. Es bleibt ihm nur unverständlich – und verzichtbar. Dem gnädigen Gott an seiner Seite erscheint es ohnehin vorübergehend.