ray Filmmagazin » Tragikomödie » Zusammen ist man weniger allein

Un Chateau en Italie

Zusammen ist man weniger allein

| Pamela Jahn |
Humor kann eine Therapie nicht ersetzen, aber Lachen hilft auf jeden Fall, wenn es darum geht, Schmerzen zu lindern oder das Leiden erträglicher zu machen.

Interviews sind ihr kein leichtes Spiel. Vor allem, wenn es um Fragen geht, die ihr Privatleben betreffen, macht Valeria Bruni Tedeschi schnell dicht. Ihre Filme sind dafür umso persönlicher und offener, da ist sie ganz bei sich. Da darf sie sein. Deshalb hat sich die 49-Jährige wie bereits in ihren ersten beiden Regiearbeiten, Il est plus facile pour un chameau… (Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr) und Actrices, auch diesmal gemeinsam mit ihrer Ko-Autorin Noémie Lvovsky eine Rolle auf den Leib geschrieben, die nicht nur stark autobiografisch geprägt ist, sondern ihr zugleich den nötigen Raum verschafft, sich bedingungslos und unerschrocken auf die Gratwanderung zwischen Komik und Tragödie im improvisierten Leben der bourgeoisen Bohème zu begeben.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die 43-jährige Louise (Valeria Bruni Tedeschi), die sich, anders als ihr um einiges jüngerer Liebhaber (Louis Garrel), nichts sehnlicher als ein Kind wünscht, während ihr Bruder Ludovic (Filippo Timi) langsam an Aids stirbt und obendrein das väterliche Vermögen (unter anderem besagtes Schloss in Italien) auf der Kippe steht. Und damit fängt der Schlamassel erst an. Dass es Valeria Bruni Tedeschi dabei weitgehend gelingt, Distanz zu wahren, ohne ihre Figur zu verraten, sei es durch ironische Brechung oder durch das Zelebrieren von grotesken Widersprüchlichkeiten, ist der Regisseurin wie der Schauspielerin hoch anzurechnen. Und manchmal gibt der Blick auf das eigene Leben dabei einen bemerkenswert sensiblen Einblick in die kleinen und großen Wahrheiten und Ungerechtigkeiten der Menschheit. Was nicht heißen soll, dass Un château en Italie ein durchwegs gelungener Film ist. Es ist ein Film mit Ecken und Kanten, eine intime Bestandsaufnahme und eine Bejahung des Lebens, wie es ist: absurd-komisch und bitter zugleich.
Eine kleine Bemerkung vorweg. Aber ihr Film hat mich ein wenig an Viscontis Vaghe stelle dell’orsa (Sandra, 1966) erinnert.
Das ist interessant, dass Sie das sagen. Meine Mutter hat mir den Film gegeben, als wir am Drehbuch gearbeitet haben, und sie bestand darauf, dass ich ihn mir anschaue, was ich damals nicht getan habe. Und bis heute habe ich den Film nicht gesehen – vielleicht hätte ich besser auf sie hören sollen. Ich war hier vor allem von zwei Filmen beeinflusst: Il giardino dei Finzi Contini (Der Garten der Finzi Contini, 1970) von Vittorio de Sica und ganz besonders von Marco Bellocchios Salto nel vuoto (Der Sprung ins Leere, 1980).

Warum vor allem Marco Bellocchio?
Marco Bellocchio inspiriert mich immer sehr, das war schon bei meinen ersten beiden Filmen der Fall. Für mich ist er einer der wichtigsten Regisseure überhaupt. Und Salto nel vuoto hat mich hier vor allem deshalb inspiriert, weil Bellocchios Film eine Adaption von Anton Tschechows Drama „Die Möwe“ ist. Ich hatte von Anfang an das große Verlangen, einen Film zu machen, der sich auf Tschechow bezieht, genauer gesagt, auf sein Stück „Der Kirschgarten“. Es sollte um eine Familie gehen, in der der Bruder, beziehungsweise der Sohn, schwer krank ist. Außerdem sollte ein Schloss darin vorkommen mit allem Drum und Dran und mit den Erinnerungen, die mit dem Verkauf des Objekts verloren gehen würden, was wiederum gewissermaßen das Ende der Welt widerspiegelt. Und „Der Kirschgarten“ hat noch dazu diese wunderbare Musikalität der Sprache, die Tschechows Texten eingeschrieben ist, sein spielerischer Umgang mit Worten und Klangbildern, das alles hat mich beim Schreiben stets begleitet.

Ihre eigenen Filme sind immer auch sehr stark autobiografisch beeinflusst, und das auf einer sehr emotionalen Ebene. Wie muss man sich diesen Prozess vorstellen, den Sie durchmachen, wenn es darum geht, Ihre eigenen Erfahrungen und Empfindungen filmisch umzusetzen?
Mit geht es in erster Linie um Intimität, beim Regieführen wie beim Drehbuchschreiben. Ich bringe Gefühle zum Ausdruck, die ich sehr gut kenne, manchmal sogar zu gut, und in diesem Sinne sind meine Filme autobiografisch. Aber andererseits bin ich auch nicht die Einzige, die das tut. Auch ein Schauspieler erzählt dem Publikum über die Figur, die er oder sie spielt, über die eigenen Empfindungen, es kommt dabei lediglich auf die Art der Rolle an, inwieweit das Ganze dann tatsächlich autobiografisch verankert ist oder nicht. Mit Definitionen wie „Auto-Fiktion“ oder ähnlichem kann ich deshalb wenig anfangen, außerdem versteckt sich darin eine Art Voyeurismus, den ich stark ablehne. Die Grundlage für meine Filme ist das Leben, mit allen Höhen und Tiefen. Nehmen Sie zum Beispiel Belloccios I pugni in tasca (Mit der Faust in der Tasche, 1965), da können Sie auch ohne Ende darüber spekulieren, inwieweit die Familie, die er im Film beschreibt, an seiner eigenen orientiert ist. Und auch wenn er in Salto nel vuoto Tschechow adaptiert, ist das zugleich autobiografisch, obwohl es sich dabei eigentlich um ein historisches Werk handelt, das auf Tschechows Dialogen beruht. Tatsächlich liegen dem Ganzen aber auch hier seine eigenen Erfahrungen zugrunde, die er mehr oder weniger bewusst emotional verarbeitet – wir alle tun das.

Wie haben Sie die Rolle der Louise für sich erarbeitet?
Bei Louise ist das eine Frage des Überlebenskampfes. Vor allem jetzt, wo ihr Bruder stirbt, empfindet sie das starke Gefühl, überleben zu müssen, und ein Kind zu haben, bedeutet einen Ausweg für sie, um nicht hoffnungslos der Trauer und Einsamkeit zu verfallen, die der Tod eines geliebten Menschen mit sich bringt. Andererseits wäre ein Kind ein realer Liebesbeweis und eine Bestätigung dafür, dass Liebe in ihrem Alter so leidenschaftlich sein kann wie in der Jugend, wenn man sich nur darauf einlässt.

Es sind im Film vor allem die Männer, die entweder verschwinden oder fehlen …
Stimmt. Entweder sie rennen weg, oder sie sterben. Oder sie sind bereits tot. In dieser Hinsicht ist es auch ein Film über Frauen, die nach Männern suchen.

Schreiben Sie eigentlich für sich selbst, in der Gewissheit, dass Sie die Hauptrolle selbst übernehmen werden?
Ja, ich denke beim Schreiben schon, dass ich die Rolle vielleicht übernehmen werde, aber im Grunde trifft das auf alle Figuren zu, nicht nur auf Louise. Wenn ich schreibe, führt ganz eindeutig die Schauspielerin in mir Regie, das heißt, ich spiele in dem Moment eigentlich jede einzelne Rolle ein bisschen für mich selbst durch.

Abgesehen von dem offensichtlichen Altersunterschied: Was macht die Liebe zwischen Louise und Nathan so attraktiv für die zwei?
Sie sind ein so ungleiches wie unkonventionelles Paar. Der
Altersunterschied ist die eine Sache, aber dazu kommt, dass sie aus unterschiedlichen Gesellschaftskreisen stammen, dass sie andere Ängste haben und andere Macken. Sie will unbedingt ein Kind, obwohl sie weiß, dass sie eigentlich zu alt dafür ist. Er plagt sich mit Selbstzweifeln, was seinen Job angeht, dabei hat er jede Menge Aufträge und ist erfolgreich. Und Gegensätze ziehen einander bekanntlich an. Aber die besondere Kraft, die ihre Beziehung trägt, ist eigentlich universeller: Es geht um zwei Menschen, die alleine früher oder später höchstwahrscheinlich untergehen würden, die aneinander festhalten, um den Kopf über Wasser zu halten, und irgendwie schaffen sie es.

In allen Ihren Filmen fällt auf, dass Sie schweren Themen mit einem sehr feinen Gefühl für Ironie und Humor begegnen. Ist Humor eine Art Therapie, um weiterzumachen, um mit den Tragödien, die das Leben schreibt, besser fertigzuwerden?
Humor kann eine Therapie in dem Sinne nicht ersetzen, aber Lachen hilft auf jeden Fall, wenn es darum geht, Schmerzen zu lindern oder das Leiden erträglicher zu machen. So wie es mir hilft, Filme zu machen, die ernste Themen mit einer gewissen Leichtigkeit, einem sanften Humor, behandeln. Zum Beispiel geht es mir viel besser, wenn ich eine Szene zwischen meiner Mutter und mir auf diese Weise im Film verarbeite, als wenn ich sie für mich behalten hätte.

Dann sind Ihre Filme am Ende vielleicht doch persönlicher, als Sie sich selbst eingestehen wollen?
Ich bin in eine Künstlerfamilie hineingeboren worden und ich fühle mich sehr privilegiert und glücklich, was das betrifft. Und natürlich hatte das auch einen großen Einfluss auf meine eigene Arbeit und Karriere. Aber wie viel von mir nun tatsächlich in dem Film oder in meinen früheren Filmen steckt, kann ich nicht eindeutig bestimmen. Das ist ein bisschen wie Kuchen backen: Man mischt das Mehl mit den Eiern und allen anderen Zutaten zusammen und gibt das Ganze in den Ofen. Wenn der Kuchen dann fertig ist, fragen Sie mich, wo jetzt das Mehl ist. Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, aber ich habe den Kuchen gebacken, und ich hoffe, dass er gelungen ist.