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Und morgen die ganze Welt

Filmkritik

Und morgen die ganze Welt

| Jörg Schiffauer |
Porträt einer Radikalisierung

Spätestens als Ulrike Meinhof im Namen der Roten Armee Fraktion 1970 den Satz „Und natürlich kann geschossen werden“ formulierte, war klar, dass politischer Aktivismus manchen nicht mehr reichte und Veränderungen auch mittels bewaffneten Kampfes herbeigeführt werden sollten. Dass ausgerechnet eine intellektuelle, engagierte Journalistin wie Meinhof Militanz anstelle Diskurs befürwortete und in den Untergrund ging, führte zu heftigen Auseinandersetzungen, ob und wann denn Gewalt als politisches Mittel eingesetzt werden dürfte.

Mit dieser Grundsatzfrage sieht sich auch unvermittelt Luisa (Mala Emde), Protagonistin von Und morgen die ganze Welt, konfrontiert. In der Wohngemeinschaft, der sich die Jura-Studentin angeschlossen hat, ist politisch engagiertes Denken und tatkräftiges Handeln ein zentrales Element. Doch als die Gruppe gegen die Veranstaltung einer sehr rechten populistischen Partei mit Methoden der Spaßguerilla wie Tortenwerfen protestiert, eskaliert die Situation. Als Luisa von einem Rechtsradikalen tätlich angegriffen wird, rettet sie einer ihrer Mitstreiter durch den Einsatz brachialer physischer Gewalt. Die Studentin stößt damit zu jenem kleinen Zirkel der Aktivisten, der beschlossen hat, den immer unverfrorener auftretenden Rechtsradikalen mit entschiedener Härte aktiv entgegenzutreten – vom Zertrümmern ihrer Autos bis hin zur handfesten Prügelei. Doch selbst das geht einigen noch nicht weit genug …

Julia von Heinz, Regisseurin und Ko-Drehbuchautorin, hat die autobiographisch angehauchte Geschichte einer Radikalisierung als wütenden, vom gerechten Zorn getragenen Aufschrei formuliert. In ihrer Inszenierung zeigt sie eine klare Haltung, ergreift leidenschaftlich Partei, und allein das hat schon etwas. Und morgen die ganze Welt verhandelt die Frage nach der Berechtigung von Gewalt als politischem Mittel nicht als ausgewogenen, alle Aspekte dieser Frage abwägenden Diskurs, sondern als Chronologie einer Radikalisierung, die vor allem versteht, die emotionale, empörte Seite von Menschen klarzulegen, die sich im Rahmen des traditionellen politischen Prozess gegenwärtiger Prägung weder gehört noch angemessen repräsentiert fühlen. Ausgangspunkt ist zwar das Engagement gegen Rechtsradikalismus, doch als Luisa und ihre Gruppe aufgrund ihrer Aktivitäten ins Visier der Behörden geraten, wird deutlich, dass der Blickwinkel breiter angelegt ist. Man mag beanstanden, dass der Plot manchmal jene abenteuerlichen Wendungen vollzieht, die man im Genrekino gerade noch zu akzeptieren bereit ist. Die wahren Stärken spielt  Und morgen die ganze Welt ohnehin immer dann aus, wenn die ohnmächtige Wut der Protagonistin – Mala Emde macht den unter der Oberfläche brodelnden Zorn, der sich seinen Weg nach außen bricht, spür- und nachvollziehbar – über bestehende, ungerechte Verhältnisse und staatliche Willkür im Mittelpunkt steht. Julia von Heinz trifft damit einen gesellschaftspolitischen Nerv, über dessen Aktualität kein Zweifel bestehen dürfte.