Von trüben Aussichten, vergeigten Chancen und der unerschütterlichen Hoffnung, wider besseres Wissen doch noch einmal mit heiler Haut davonzukommen, erzählt Tim Fehlbaum in „Tides“ und schreibt damit die vor zehn Jahren mit „Hell“ begonnene Dystopie mit beeindruckender Konsequenz fort.
Ein Film, in dem der Weltuntergang oder ein globales Desaster eine Rolle spielt, ist zugleich immer auch ein Film, der die Menschheit auf den Prüfstand stellt, ist also ein Katastrophenfilm mit zivilisationskritischer Agenda. Die Fragen, die in einem solchen Kontext dann geradezu zwangsläufig aufgeworfen werden, lauten: Wie gehen die Einzelnen, wie geht das Kollektiv mit der Misere um? Wie wirkt sich die desolate Situation auf die Conditio humana, auf das Zusammenleben der Menschen aus? Wie steht es um die Überlebenschancen, respektive: Wer und/oder was überlebt? Zehn Jahre ist es her, dass der 1982 in Basel geborene Tim Fehlbaum in seinem sehr beachtlichen Regiedebüt Hell sich der Erörterung dieser Fragen widmete und damit zugleich den überzeugenden Beweis für die Möglichkeit hochkarätigen deutschsprachigen Genrekinos erbrachte. Mit Tides, der im Rahmen der Berlinale dieses Jahr uraufgeführt wurde und wie der Vorgänger dem Genre der dystopischen Science-Fiction zuzuschlagen ist, legt Fehlbaum nun endlich nach.
In Hell war es eine zusammengewürfelte Gruppe letzter Überlebender auf der Suche nach Wasser auf einer überhitzenden, wortwörtlich verwüsteten Erde, deren Rest-Menschlichkeit einigen beinharten Bewährungsproben unterworfen wurde. In Tides sind es erste Rückkehrer aus dem Weltraum-Exil, die die Wieder-Bewohnbarkeit des vormaligen Heimatplaneten prüfen sollen. Auf Kepler nämlich, wohin die Eliten sich geflüchtet hatten, war es plötzlich Essig mit der Fruchtbarkeit, und vom Aussterben bedroht richtete sich der Blick des Homo sapiens wieder zurück in Richtung Herkunftsort. Es gibt eben keinen Planeten B. Auf Planet A allerdings haben die einst im Stich gelassenen Habenichtse mittlerweile auf althergebrachte Gesellschaftsformen zurückgegriffen, die von tribalistisch bis totalitär reichen. Willkommens-Politik sieht jedenfalls anders aus, wie Astronautin Louise auf die harte Tour lernt. Sie ist die einzige Überlebende der zur Erde geschickten Mission und trifft auf fetzenbehängte Urhorden, die sich durch ein ewig vernebeltes, klatschnasses Brachland wurschteln, das überzeugend vom norddeutschen Wattenmeer vertreten wird. Dem ungebetenen Besuch von Oben steht dieses Lumpenproletariat naturgemäß skeptisch gegenüber, ist aber selbst auch nicht so recht handlungsfähig. Ständig sieht es sich bedroht von einer weiteren Gruppierung, die sich in Containerschiffswracks häuslich eingerichtet und es auf ihren Raubzügen bezeichnenderweise auf die Lumpenmädchen und -frauen abgesehen hat. Man kann sich denken, worum es dabei geht, und so sieht sich denn auch Louise alsbald mit der alles entscheidenden Frage konfrontiert, ob die Menschheit das Überleben überhaupt verdient hat. Eine nicht zuletzt moralische Frage, vor deren Implikationen das Drehbuch im Folgenden dann zwar eher zurückschreckt, was aber Fehlbaum nicht davon abhält, höchst effektiv, temporeich und atmosphärisch einen post-apokalyptischen Thriller zu inszenieren, der sich nicht nur mit seinem Vorgänger messen kann.
Freilich entwickelt Fehlbaum die in Hell eingeführten Motive mit Tides auch weiter. Hell handelt von der Konfrontation einer zweckorientierten Notgemeinschaft junger Leute mit einem mörderisch-kannibalistischen Blut-und-Boden-Rudel, dessen depraviertes Treiben auf einem Vierkanthof wohl allen Backwood-Horror-Inzest-Sippen zur Ehre gereichen würde – die sich dann aber als aufrechte Katholiken verstehen und vor dem Abendbrot das Tischgebet sprechen. Doppelmoral ist gar kein Ausdruck für diese unheimliche Gleichzeitigkeit von Verwurzelung im christlichen Glauben einerseits, und eines auf der Bewahrung und Verteidigung von Heimaterde fußenden, über Leichen gehenden Überlebens-Konzeptes andererseits. Tides fasst den Blick weiter, nimmt statt der Kleingruppe/familiären Keimzelle eine schon etwas größere Organisationsstruktur in den Blick und landet in einem quasi-kolonialistischen Setting. Wieder ist es der Rohstoff Frau, der ausgebeutet wird, um wenigstens den Status quo zu sichern. Perspektivisch aber steht am Ende der zentralen Verteilungskämpfe eine streng hierarchisch gegliederte Sklavenhalter-Gesellschaft. Beide Male nutzt Fehlbaum die unterschiedlichen Bedrohungsszenarien, um das abendländisch-christliche Weltbild einer Feuerprobe zu unterziehen und die Tragfähigkeit seiner moralischen Prinzipien, seiner Wert- und Normsysteme auszuloten. Beide Male besteht über das Versagen der fundamental geglaubten Säulen mitmenschlicher Gemeinschaft kein Zweifel. Beide Male war, ist und bleibt die Frage, ob die Überlebenden auf der entstandenen Tabula rasa zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen und etwas Neues, Tragfähiges aufbauen können.
Regisseur Tim Fehlbaum über „Tides“, über überkommene Rollenvorstellungen im Science-Fiction-Film und über die Zusammenarbeit mit Roland Emmerich.
Herr Fehlbaum, Kevin Costner hat mit „Waterworld“ einen der größten Kassenflops der Kinogeschichte hingelegt. Müsste man als Regisseur nicht denkbar wasserscheu sein?
Tatsächlich habe ich mir im Vorfeld dazu viele Gedanken gemacht. Zumal ich noch gut in Erinnerung hatte, wie an der Filmschule der Regisseur Hans Horn von seinen Erfahrungen mit Open Water 2 erzählte. Er meinte, im Wasser zu drehen, sei der absolute Albtraum. Und es stimmt: Wasser macht Dreharbeiten wahnsinnig anstrengend. Alles dauert länger, alles ist aufwändiger. Und alle im Team sind ständig nass!
Als Schweizer im Watt müssten Sie sich doch fühlen wie ein Fisch auf dem Fahrrad?
Als Schweizer hatte ich von Watt vorher überhaupt keine Ahnung. Als ich dann zum ersten Mal dort war, empfand ich diese schier endlose Landschaft als völlig surreal – zumal sie in kürzester Zeit vollständig geflutet ist. Für einen Film ergibt sich daraus eine faszinierende Kulisse.
Wie bei Ihrem Erstling „Hell“ war Roland Emmerich abermals Ihr Produzent und Mentor. Wie sieht konkret die Zusammenarbeit mit ihm aus?
Roland hat uns bereits im Vorfeld bei der konzeptionellen Arbeit geholfen, bei der es um den Einsatz von Spezialeffekten geht. Auch beim Sichten des gedrehten Materials war er eine große Hilfe, schließlich sieht man bisweilen vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Roland hat viel dazu beigetragen, das emotionale Herz unsere Geschichte zu finden. Er ist also nicht nur der „Master of Desaster“, sondern viel mehr der „Master of Storytelling“.
Abgesehen von Emmerich machen nicht viele Fantasy-Filme. Weshalb wird das Genre hierzulande so vernachlässigt?
Das mag mit der fehlenden Tradition zusammenhängen oder dem großen Budget, das solche Filme benötigen. Wobei sich das in den letzten Jahren durchaus geändert hat. Mit Hell waren wir damals noch ziemlich alleine auf weiter Flur. Mittlerweile gibt es viel mehr Fantasy und Science-Fiction aus Deutschland, die obendrein erfolgreich sind. Großartige Beispiele sind die Netflix-Serien Dark oder Tribes of Europa.
Wie bei „Tribes of Europa“ steht auch bei „Tides“ eine Frau im Mittelpunkt. Welchen Stellenwert hat das Rollenverständnis für Sie?
Das Bild der Frauen hat sich auch im Fantasy- und Science-Fiction-Genre glücklicherweise geändert. Bei Hell sorgte es noch regelrecht für Aufsehen, dass wir eine weibliche Heldenfigur hatten. Bei Tides war es im Vorfeld bereits völlig normal. Starke Frauen sind selbstverständlich geworden. Das ist eine Entwicklung, die längst überfällig war, und bei der Sigourney Weaver bereits Ende der siebziger Jahre mit ihrer Rolle in Alien Pionierarbeit geleistet hat.
Es geht in Ihrem Film auch um Kolonialismus, Ausbeutung und Klima – welchen Stellenwert haben solche Themen für Sie bei einem Popcorn-Film?
In erster Linie bieten wir natürlich Unterhaltung. Unser Film soll keine ernsthafte, realistische Zukunftsprognose sein. Aber das Tolle an diesem Genre ist, dass man im überhöhten Kontext auch etwas über aktuell relevante Themen aussagen kann. Die Gedanken kann sich das Publikum ja machen, wenn es aus dem Kino kommt.
Auffallend ist das visuelle Konzept Ihres Films. Wie hinderlich ist diese aufwändige Inszenierung beim Drehen? Ist Spontaneität da überhaupt noch denkbar?
Die Form der Erzählung gibt die visuelle Umsetzung vor. Unsere Devise beim Drehen war, dass wir diese Reise der Hauptfigur gemeinsam mit ihr erleben wollen. Das heißt, die Kamera zeigt alles aus ihrer Perspektive. Wir sind gleichsam wie ein kleines Dokumentarfilm-Team, das die Heldin begleitet. Der Einsatz und Nebel und Wassertropfen macht einen Dreh natürlich schon ziemlich anstrengend und verlangt viel Geduld vom ganzen Team. Zum Glück blieben wir vor größeren Ausfällen verschont. Der Einsatz von Wärmezelten hat sich als hilfreich erweisen bei der ständigen Nässe und Feuchtigkeit.
Im Unterschied zum gängigen Green-Screen für die Spezialeffekte der Hintergründe haben Sie auf die gute alte Fototapete gesetzt. Weshalb die Entscheidung für die Trickkiste?
Als Filmemacher bin ich empfindlich, was CGI anbetrifft. Ich mag es nicht, wenn etwas hundertprozentig aus dem Computer kommt. Ich will das Haptische, das Greifbare, das Wahrhaftige. Das muss die Grundlage bilden. CGI ist dann wunderbar zum Ausschmücken und Erweitern. Alles sieht authentisch aus, ist organisch miteinander verschmolzen. Mit einem Kameramann, der eigentlich Zauberer werden wollte, lassen sich solche Illusionen wunderbar herstellen.