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Urbaners Legenden – Das Puppenkamerafest

| Roman Urbaner |

Das winzige Objektiv steckt in der Brust, ein LCD-Monitor am Rücken, und den USB-Anschluss gibt es knapp über dem Po: Mit der zur Ganzkörperkamera aufgerüsteten „Barbie Video Girl Doll“ und dem Slogan „Die Welt mit Barbies Augen sehen und drehen“ versucht der Spielzeughersteller Mattel neuerdings, den zuletzt etwas erlahmten Puppen-Absatz wieder auf Touren zu bringen. Doch die Kamera-Barbie lässt, wie Psychologen entsetzt einwerfen, nicht nur Kleinmädchenherzen höher schlagen; denn auch Pädophile könnten an einer als Spielzeug getarnten Webcam im Kinderzimmer so ihre Freude haben. Selbst das FBI warnt in einem Rundschreiben davor, dass die neue Video-Barbie sich auch vorzüglich zur Herstellung von Kinderpornografie eignen würde.

Ein weniger verwerfliches Einsatzgebiet für die Plastikpuppe mit Kamera-Brustimplantat hat sich hingegen ein Hochschullehrer in Los Angeles einfallen lassen. Tom Denove, Kameramann und Professor an der UCLA School of Theater, Film and Television, schrieb im Februar an seiner Fakultät einen neuen Wettbewerb für mit der Kamera-Barbie gedrehte Kurzvideos aus. Das erste „Barbie Film Festival“ war geboren, wenn auch, wie Denove erzählt, nicht ohne Startschwierigkeiten: „Ich habe mich mit Mattel in Verbindung gesetzt, aber dort haben sie mich zunächst einfach nicht ernst genommen. Sie dachten, ich würde mir am Telefon nur einen Scherz mit ihnen erlauben.“ Nach kurzem Zureden lieferte der Hersteller dann aber doch vierzig Kamera-Puppen, die Denove den Wettbewerbsteilnehmern (aufgerufen waren alle Studierenden, Lehrkörper und Fakultätspersonal) in die Hand drückte, um eine Woche später ihre Zwei-Minuten-Filmchen einzusammeln. Als recht lästig, berichteten die Barbie-Filmer dann bei der Präsentation Mitte April, hätte sich das Auswechseln der auf der Innenseite der Oberschenkel untergebrachten Batterien erwiesen, und die Puppenkleider seien ihnen beim Drehen immerzu in die Quere gekommen. Ansonsten scheint der Wettbewerb aber ein Riesenspaß gewesen zu sein – und obendrein durften die Barbie-filmer ihre Video-Puppen danach mit nach Hause nehmen.

Es muss jedenfalls ein erheiterndes Bild abgegeben haben, wie Studenten und Professoren tagelang mit entkleideten Barbiepuppen kreuz und quer über den Campus liefen, um ihre Einreichungen fertig zu stellen. Allzu kritisch dürfte man sich dabei allerdings mit der Plastikikone, die seit über einem halben Jahrhundert ein groteskes Körperideal in wehrlose Kinderhirne hämmert, nicht auseinandergesetzt zu haben. Das macht aber nichts; das haben schließlich schon eine ganze Reihe von Kunstausstellungen und – fürs Kino – vor allem Todd Haynes gemacht. Er hat nämlich 1987 im – bis heute mit gerichtlichem Aufführungsverbot belegten, aber problemlos übers Internet abspielbaren – Film Superstar: The Karen Carpenter Story das traurige, tödliche Schicksal der anorexischen US-Sängerin in Szene gesetzt. Und zwar mit Barbiepuppen.

www.tft.ucla.edu/calendar/academic/barbie/