Weder Reenactment, noch konsequente Fiktionalisierung: die Wahnsinnstat des Anders Breivik in einer einzigen langen Einstellung
Erik Poppes Utøya 22. Juli inszeniert den Überlebenskampf der Jugendgruppe, die von Anders Breivik im Jahr 2011 an besagtem Tag auf der titelgebenden Insel vor Oslo angegriffen wurde. 69 von ihnen wurden ermordet. Die Kamera folgt einer einzigen, Kaja (Andrea Berntzen), die auf der Insel nach ihrer jüngeren Schwester sucht, während die brüllend laut abgemischten Schüsse den Zuschauer auch beim zwanzigsten Mal noch hochschrecken lassen.
Es ist seltsam mit diesem Film. Der Versuch, eine möglichst intensive, zermürbende Erfahrung zu schaffen, ist ihm in jedem Moment anzusehen – immer nah am Körper seiner Figuren, von Anfang an zulaufend auf ein Geschehen, das in Grundzügen wohl jeder, der den Film sieht, kennt. Die Figuren sind fiktiv, der Plot aber stützt sich auf Berichte von Überlebenden. Der Täter hingegen bleibt gesichtslos, ein schwarzer Mann, sein Name wird auch im Abspann nicht genannt. Die Überlebenden des Massakers, mit denen Poppe zusammengearbeitet hat, schätzen den Film, sagt der Regisseur. Und der Punkt ist auch nicht, ob man das „darf“ oder „nicht darf“. Das wäre zu einfach, und oft ist das ethische Zuschauerempfinden nur ein weiterer Weg, sich die Bilder vom Leib zu halten.
Es ist komplizierter. Authentisch soll es sein, und das ist das Problem. Vermutung: Das Misstrauen gegenüber den eigenen filmischen Mitteln wird gleich am Anfang dem Publikum zugeschoben – mit einer Ansage der Protagonistin, die indirekt den Zuschauer adressiert: „Ihr werdet es nie verstehen. Aber schaut zu.“ Die Suggestion von Unmittelbarkeit (Dokumentarästhetik, eine lange Einstellung ohne sichtbaren Schnitt, unbekannte Schauspielerinnen und Schauspieler) aber wird unterlaufen vom Reflektieren des Zuschauers, der immer im Blick behält, was der Film wie macht: Wie wird Breivik gezeigt, und was bedeutet das? Was zeigt uns der Film vom Sterben und was nicht, wo schreckt die Kamera zurück? Das gilt nicht ausschließlich für den Zuschauer, der nach dem Sehen eine Filmkritik schreibt, sondern für alle.
Mit seinen vorherrschenden Kameraperspektiven erinnert Utøya 22. Juli oberflächlich an László Nemes’ Son of Saul. Allerdings denkt Poppe diesen mitdenkenden Zuschauer anders als Nemes nicht mit. Sein Film ist in entscheidenden Momenten ungleich einfacher gebaut. Hin und wieder greift Poppe auf stumpf gewordene Tricks zurück – etwa wenn das Handy einer Toten klingelt, Sekunden, nachdem sie gestorben ist, und das Gesicht ihrer Mutter auf dem Display erscheint. Die Ambivalenz, die Utøya 22. Juli im besten Fall erzeugt, ist das Interessanteste an diesem Film. Im schlimmsten Fall lässt er einen im schlechten Sinne ratlos zurück.