Eine Retrospektive im Filmmuseum würdigt den großen Horrorfilm-Produzenten Val Lewton
Im Hollywood-Studiosystem der 40er Jahre verkörperte Val Lewton eine einzigartige Personalunion aus sensiblem Kreativproduzenten und Autor. 1904 in Jalta als Vladimir Leventon geboren, kam er mit seiner Mutter über Berlin 1909 in die USA und wuchs unter gebildeten, extrovertierten und kulturell umtriebigen Frauen auf. Seine Mutter arbeitete bald in der Story-Abteilung eines Major Studios; seine berühmte Tante, Alla Nazimova, gehörte zu den bestbezahlten Filmschauspielerinnen. Bereits mit sechzehn schlug sich Lewton als Journalist und freier Autor an der Ostküste durch, seine luxurierende Phantasie brachte ihm einen Rausschmiss ein, als sich seine Reportage über eine Hühnerpest als teilweise erfunden herausstellte. Noch keine 30, hatte er Schreiberfahrungen mit diversen Gattungen von Pulp-Romanen gemacht, die sich zwischen Kriminalromanen und im puritanischen Blickwinkel vermeintlicher Pornografie erstreckten.
In die Filmbranche kam Lewton als Assistent des Tycoons David O. Selznick, dem er bei Gone With The Wind (1939) zur Hand ging. Nachdem Orson Welles das damals kleinste der Major Studios, RKO Radio Pictures, das einen Mehrmillionen-Dollar-Vertrag mit ihm abgeschlossen hatte, mit den hoch ambitionierten, aber kommerziell erfolglosen Filmen Citizen Kane (1941) und The Magnificent Ambersons (1942) fast in den Ruin getrieben hatte, wurde Lewton von Selznick abgeworben; seine Aufgabe bei RKO bestand nun darin, mit eigener Production Unit das neue Horror-Department zur einer Geldmaschine zu entwickeln. Die künstlerischen Freiheiten seiner Abteilung waren an Bedingungen geknüpft: Horrorstoffe zu produzieren, deren Budget innerhalb von 150.000 Dollar zu halten war; deren Länge 75 Minuten nicht überschreiten durfte, darüber hinaus reißerische Titel zu akzeptieren, die eine vom Arbeitgebern erworbene Marketingrecherche ergeben hatte (so hatte RKO den Titel I Walked With a Zombie von einem Revolverblatt mit den Rechten an einer gleichnamigen Reportage erworben), und schließlich selbst mit 250 Dollar Wochenhonorar einverstanden zu sein. „Sie denken vielleicht, ich mache den üblichen Horror für den schnellen Profit, den man belächelt und schnell vergisst, aber sie werden sich täuschen … ich werde die Art von Suspence-Film schaffen, den ich mir vorstelle.“ (Lewton zu seinem Autor DeWitt Bodeen; in: Films in Review XIV, April 1963). Die RKO-Studioleitung hielt Vampire und Werwölfe für „over-exploited“, aber noch niemand habe etwas mit Katzen gemacht, und so wurde Lewton der Titel Cat People als Stoffvorgabe aufgedrückt; als der Film zu dem Titel herauskam, spielte er über vier Millionen Dollar ein und rettete das Unternehmen. Aus seiner Zeit bei Selznick war Lewton vertraut mit Teamwork. Nachdem in drei Wochen ein Skript erarbeitet worden war, nahm das Team den Plot auseinander und setzte ihn wieder zusammen. Legendär sind die Auftritte Lewtons, der während der Dramaturgie-Konferenzen zuzeiten das Licht seines Büros ausschaltete und der Crew seine Version der Geschichte nicht einfach vorlas oder als Skript verteilte, sondern passioniert nacherzählte (angespielt in dem Film The Bad and the Beautiful, von Vincente Minnelli aus dem Jahr 1952 mit Kirk Douglas in der Rolle des Produzenten).
Cat People (1942) setzte den Lewton-Touch in die Welt, einen unverwechselbaren Stil schwermütig statuarischer Bilder, ikonenhaft skulptural, in denen über Verdunkelung und Schattenwurf, durch das Außerhalblassen eigentlicher Ursachen des Schreckens die Imaginationsschärfe sensibilisiert wird. Dass man die Quelle des Terrors nicht vor Augen geführt bekommt, war etwa für die Universal-Horror-Abteilung bis zum bizarren Niedergang als Selbstpersiflage mit Frankenstein meets the Wolf Man undenkbar, für das Low-Budget-Programm der RKO dagegen finanziell wie ästhetisch von Vorteil. Dafür gewann und beförderte Lewton herausragende Autoren und Regisseure wie Curt Siodmak und Jacques Tourneur (ein Meister des Chiaroscuro), Mark Robson und Robert Wise (beide hatten als Cutter begonnen) sowie DeWitt Bodeen, seinen Drehbuchautor; nicht zu vergessen den Helldunkel-Spezialisten Nicholas Musuraca an der Kamera.
Der Mensch fürchtet das Unbekannte, das er im Schatten auf der Lauer wähnt, so Lewton; was er nicht sehen kann, erfüllt ihn mit Terror, und: Wenn man das Bild auf der Leinwand hinreichend verdunkelt, wird das Auge der Zuschauers alles „hineinlesen“, was man will. Lewtons Horror entfaltet sich nicht drastisch und schrill, wirksam ist weniger der unsere Gewissheiten erschütternde Schock, das Unheimliche verbreitet sich eher subkutan und gleicht einer Infektion, einer atmosphärischen Ansteckung, die lange vorhält. Ein anderes Merkmal des Lewton-Horrors hat Dietmar Dath in seinem Essay „Uralte Sünden in den Senken der Seelen“, in der FAZ, 13. Mai 2006, umschrieben: „Wie die großen Satiriker antithetisch zum Humor im Herzen die Wunde einer tiefen Untröstlichkeit über Beschaffenheit und Zustand der Menschengattung offen halten müssen, sind Künstler, die uns erschrecken wollen, zunächst gehalten, uns nicht Angst, sondern Vertrauen einzuflößen, bevor sie ihren bösen Zauber wirken lassen können.“ Nächte in der Südsee, in denen der Voodoo-Zauber der Eingeborenen weiße Familien in Bann zieht; bestialische Metzeleien, deren Ursache nur ein Raubtier sein darf, das der Mensch von sich abspaltet (The Leopard Man, 1943); die hypnotische Kraft einer Sekte von Teufelsanbetern in der Metropole (The Seventh Victim , 1943, als ein Vorläufer für Roman Polanskis Rosemary’s Baby).
Die Galionsfigur drastischen Horrors seit James Whales Frankenstein (1931), Boris Karloff, wurde durch Val Lewton von dem Fluch des Typecasting befreit. In Bedlam (1946) – ein Film, der auf grafischen Quellen basiert, insbesondere William Hogarths Stichen Rake’s Progress – besetzt Lewton Karloff gegen sein rohes Monster-Image mit der subtilen Charakterrolle eines Irrenhaus-Direktors, der schließlich seinen Insassen zum Opfer fällt. Mit solchen Stoffen knüpft Lewton an expressionistisch-caligareske Tendenzen des klassischen deutschen Stummfilms an, an Hypnose und Suggestivwirkungen bei Robert Wiene oder Fritz Lang, und gibt dem Spiegelbild der menschlichen Ängste eine „nachhaltig“ wirkende Gestalt. Es sind Ängste, die weit zurückreichen, Atavismen, die für die Bildproduktion Hollywoods ihre Wurzeln im „alten Europa“ haben. Simone Simon als Irena Dubrovna ist eine serbische Emigrantin in den USA, schön, rätselhaft, unerreichbar. Das Geheimnis, das auf ihr lastet, scheint so furchtbar, dass sie es keinem Amerikaner auch nur andeuten darf. Der Mangel an Geschichte läßt die amerikanische Gegenwart unendlich naiv erscheinen, jede Abweichung scheint therapierbar, auch für Verhaltensstörungen oder soziale Ängste kommt „How to“-Ratgeberliteratur auf den Markt, doch am sauberen Glück argloser Normalität lassen Lewtons Filme grundsätzliche Zweifel aufkommen. Die Zeichen aus der historischen Tiefe, das Grauen der Vorzeit, der Fluch der Ahnen ist der Jetztzeit nicht vermittelbar außer durch die faits accomplis fataler Blutrünstigkeit. Alexander Nemerov hat Val Lewtons Filme als „Home Front Pictures“ begriffen, in denen mehr Weltkrieg enthalten sei, als die erste Betrachtung vermuten lasse. Der Autor der jüngsten Lewton-Studie erklärt die enormen Kassenerfolge der Filme aus der Massenpsychologie der US-Heimatfront: Die Angst vor dem entfernten Krieg, immer außerhalb des Kontinents, sei durch den intimen, suggestiven Lewton-Horror an Ängste vor der eigenen Psyche angekoppelt worden. Lewton selbst fürchtete die Barbarei eines spartanischen Europa unter deutscher Herrschaft mit besetzten Ländern und Sklavenstaaten, kein Wunder, dass Cat People (1942) in einer frühen Fassung mit Bildern von Nazi-Panzern beginnen sollte, die in Irenas serbisches Heimatdorf einbrechen.
„Trash was beauty for Lewton“ heißt es angesichts der weggeworfenen Zeichnung, die Irena eingangs von der Raubkatze angefertigt hatte, das ergibt ein anderes Augenmerk auf Details, Nebenfiguren, Fundstücke, die nicht in der Handlung aufgehen. Damit nahm Lewton gegenüber dem selbstgerechten populären Ton der frühen Vierziger in den USA, der sauber positivistischen Correctness in Denken und Verhalten erheblichen Abstand ein. In The Curse of the Cat People (1944) kehrt Irena als Phantom zurück und kann ein kleines Mädchen retten vor einem Leidensweg, der der ihre war. Eine maßgebliche und umfangreiche Monografie zu Leben und Werk ist Edmund G. Bansaks Fearing the Dark – The Val Lewton Career (1995), und mit Alexander Nemerovs Icons of Grief. Val Lewton’s Home Front Pictures (2005) liegt die Studie eines Kunsthistorikers vor. Lewton starb 1951 nach wiederholten Herzinfarkten mit sechsundvierzig Jahren. Zuletzt suchte er sich der Beförderung auf die Ebene der A-Pictures zu widersetzen, weil er die relative Freiheit des Low-Budget-Filmemachens schätzen gelernt hatte.