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Festival. Ein Schwerpunkt

Verführung zum Kino

| Pamela Jahn |
Grund zu feiern: Vor elf Jahren wurde das einzigartige Bildrausch Filmfest Basel gegründet. In diesem Jahr findet es zum zehnten Mal statt.

Nicht nur die Liebe zum Film muss groß sein, wenn man in diesen Zeiten ein Festival mit internationalem Flair und Line-up ausrichten will. Vor allem, so scheint es, gehört enorm viel Glück dazu, je nachdem wie die Corona-Zahlen und die damit zusammenhängenden politischen Entscheidungen gerade liegen. Auch das Bildrausch Filmfest Basel, bzw. dessen engagiert-dynamisches Leitungsteam Nicole Reinhard und Beat Schneider, hat sich deshalb zur Möglichkeit eines hybriden Events entschlossen, um Filme, wenn alles gut geht, auf jeden Fall im Kino – dem wunderschönen Stadtkino Basel – und gleichzeitig, so weit wie möglich, im Netz zu zeigen. Denn wer das beliebte Festival kennt oder vielleicht sogar schon mal selber besucht hat, der weiß, wie viele Herzen es gebrochen hätte, die Jubiläumsausgabe erneut komplett ausfallen zu lassen.

Zum zehnten Mal wird Bildrausch im Juni zum Mekka des Films im Dreiländereck, und wer reisen darf, sollte sich aufmachen. Denn hier werden nicht nur sorgfältig ausgesuchte Neuentdeckungen aus aller Welt gezeigt, hier trifft man die Filmschaffenden vor und hinter der Kamera noch selbst – im Kreis der Familie sozusagen, persönlich, direkt und auf Augenhöhe. Darüber hinaus verspricht das Programm in diesem Jahr eine besonders feine Auswahl, die sich auch insgesamt so weltoffen und selbstbewusst, kraftvoll und engagiert präsentiert, wie jeder einzelne der vierzehn sorgfältig kuratierten Beiträge, die hier diesmal im internationalen Wettbewerb „Cutting Edge“ um den begehrten Bildrausch-Ring der Filmkunst konkurrieren.

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Darunter lassen sich zum einen die neusten – manchmal überhaupt die ersten – Werke von aufregenden jungen Filmschaffenden wie Julian Radlmaier (Blutsauger), Norika Sefa (Looking for Venera) und Alexandre Koberidze (What Do We See When We Look at the Sky?) finden, sowie die aktuellen Arbeiten bereits etablierter Künstler wie das Langfilmdebüt Feast des Niederländers Tim Leyendekker oder Archipel von dem kanadischen Animationsfilmer Félix Dufour-Laperrière, dem das Festival in diesem Jahr außerdem ein umfangreiches Sonderprogramm widmet. Aber auch einigen der im Zuge der Corona-Pandemie leider viel zu wenig beachteten Festivalperlen des vergangenen Jahres will Bildrausch bei dieser Gelegenheit noch einmal ein angemessenes Forum bieten: Filmen wie dem Viennale-Opener Miss Marx der italienischen Regisseurin Susanna Nicchiarelli, der auch in Basel zum Auftakt gezeigt wird, oder Catarina Vasconcelos‘ The Metamorphosis of Birds, deren traumhaft kunstvoll arrangiertes, intimes Familienporträt auf der großen Leinwand betrachtet einem regelrecht den Atem verschlägt.

Vertiefen will das kleine, aber ungemein ambitionierte Festival seine intensive Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Film zukünftig mit einer weiteren Programmsektion, die unter dem Titel „Kaleidoskop“ außer Konkurrenz, aber dafür in völliger spielerischer Freiheit das Kino in seiner ganzen Kraft und Lebendigkeit auszuloten versucht: Von den visuellen Feuerwerken des österreichischen Experimentalfilmers Siegfried A. Fruhauf zu einer Dokumentation über ein japanisches Damenvolleyballteam in den Sechzigern (The Witches of the Orient) bis hin zu Mona Fastvolds sinnlich-verführerischer Historienromanze The World to Come und The Deer, einem der großen Klassiker des iranischen Kinos aus der Zeit vor der Islamischen Revolution, ist zumindest in diesem Jahr alles dabei.

Eine zweite Werkschau stellt das intime Spannungsverhältnis zwischen persönlicher Erinnerung, Heimat und Geschichte im Schaffen des libanesischen Künstlerpaares Joana Hadjithomas und Khalil Joreige in den Vordergrund, während der Archivfilm-Experte Bill Morrison das Festival zum Jubiläum mit einer bezaubernden Deckenprojektion beschenkt, die einen weißen Fleck auf einem beschädigten 35mm-Print von Miloš Formans bittersüßer Romanze Die Liebe einer Blondine ungeniert mit den Figuren im Film tanzen lässt. Doch das Beste kommt wie immer am Schluss: Am Samstagabend findet die Schweizer Premiere von Dominik Grafs famoser Kästner-Verfilmung Fabian oder Der Gang vor die Hunde statt, die das Festival ebenfalls außer Konkurrenz präsentiert. Im Rahmen der feierlichen Preisverleihung am 20. Juni im Stadtkino Basel wird der große deutsche Autor und Regisseur für sein außergewöhnliches Werk mit dem Bildrausch-Ring für visionäres Filmschaffen geehrt. Vor ihm hat bisher nur der US-amerikanische Kino-Querdenker Paul Schrader diese wertvolle Auszeichnung erhalten.