Ron Howard beleuchtet in „Eden“ das spektakuläre Scheitern einer utopischen Idee.
Die Vorstellung vom idealen Platz zum Leben, vom viel zitierten Garten Eden, zählt zu den großen, traditionellen Topoi der Kulturgeschichte. Ein durch das bekannte biblische Kapitel über das Paradies samt der Vertreibung daraus traditionelles, tief verwurzeltes Konzept, das sich in zahlreichen Religionen, Kulturen und Mythen wiederfindet. Und gerade angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse moderner Prägung übt die Idee, sich einen Platz zu schaffen, wo man das (Zusammen-)Leben nach eigener Fasson gestalten kann, auf manche Menschen ein ganz besonderes Faszinosum aus. Zu diesen zählt auch jene Charaktere, die vermeinten, ihr Glück auf der abgelegenen Insel Floreana, die sich im Galápagos-Archipel befindet und zum Staatsgebiet von Ecuador zählt, zu finden. Ron Howard hat sich mit seiner neuen Regiearbeit dieser auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte, die auch international für einiges Aufsehen gesorgt hat, angenommen.
Rückzug
1929 beschließt der Arzt Friedrich Ritter (Jude Law) seine deutsche Heimat samt ihren politischen und ökonomischen Verwerfungen hinter sich zu lassen und sich mit seiner Lebensgefährtin Dore Strauch (Vanessa Kirby), die an Multipler Sklerose erkrankt ist, auf Floreana niederzulassen. Die menschenleere, 173 Quadratkilometer große Insel ist für Ritter aber nicht nur Rückzugsort, sondern auch Platz, um in aller Ruhe seine eigene Philosophie, mit der er nicht weniger zu erreichen hofft, als die Menschheit zum Umdenken zu bewegen, zu Papier zu bringen. Ganz konsequent ist Ritters Abkehr von der Gesellschaft, die er eigentlich ablehnt und ziemlich gering schätzt – insbesondere jene mit kapitalistischen Vorstellungen –, freilich nicht. In einem am Strand befindlichen Briefkasten deponiert er Schriftstücke, die von gelegentlich vorbeifahrenden Schiffen mitgenommen werden. Mittels dieser Texte, die in verschiedenen Zeitungen publiziert wurden, machte Ritter auf sein Leben als Aussteiger aufmerksam und gelangte in Europa zu einer gewissen Bekanntheit.
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Was schließlich dazu führt, dass Ritter Zuzug auf seiner Insel erhält. Auch besagte Artikel führen 1932 dazu, dass Heinz Wittmer (Daniel Brühl) und seine Frau Margret (Sydney Sweeney) ebenfalls die entlegene Insel als neue Heimat auserkoren haben. Einer der Gründe für diese Entscheidung liegt im schlechten Gesundheitszustand von Wittmers zwölfjährigem Sohn. Dessen Behandlung in Deutschland übersteigt die wirtschaftlichen Kräfte der Familie, also soll das auf Floreana vorherrschende Klima für Besserung sorgen.
Paradiesisch ist jedoch zunächst wenig für Familie Wittmer. Die Insel erweist sich als ziemlich unwirtlicher Platz – vor allem die begrenzten Wasser-Ressourcen sind ein schwer lösbares Problem –, an dem die erhoffte Selbstversorgung eine mühsame Plackerei bleibt. Zudem begegnen Ritter und Dore ihren wenig willkommenen Mitbewohnern nicht gerade freundlich oder gar hilfsbereit. Doch der sehr praktisch veranlagte Heinz kommt mit den unwirtlichen Lebensbedingungen besser zurecht als erwartet. Obwohl das Verhältnis zwischen Ritter und den Wittmers eher distanziert bleibt, scheint man zumindest einigermaßen miteinander auszukommen. Doch das ohnehin fragile Gleichgewicht wird mit der Ankunft von Eloise Bosquet de Wagner Wehrhorn (Ana de Armas) empfindlich gestört. Die angebliche Baronin lässt sich gleich mit einer kleinen Entourage auf Floreana nieder. Zu der gehören neben einem Diener auch zwei junge Männer, Rudolf Loren und Robert Philippson, mit denen die selbst ernannte Aristokratin wechselnde Beziehungen amouröser Natur unterhält. Und Eloise verkündet auch bald ihre hochtrabenden Pläne, beabsichtigt sie doch auf der Insel ein Luxushotel zu errichten. Was natürlich dem Wunsch nach Abgeschiedenheit und Ruhe, den das bereits dort angesiedelte Grüppchen hegt, völlig zuwiderläuft. Und angesichts der höchst unterschiedlichen Charaktere – das ein wenig verschrobene Paar Friedrich Ritter und Dore Strauch, die bodenständige Familie Wittmer sowie die exaltierte „Baronin“, die ihre Manierismen noch extra betont – wird rasch klar: Das kann nicht gutgehen.
Zeitgeschichten
Die Ereignisse, die in Eden beleuchtet werden, sorgten in den dreißiger Jahren als „Galápagos-Affäre“ für ziemliches Aufsehen. Kein Geringerer als Georges Simenon, Autor der Romane um die weltbekannte Figur des Kommissar Maigret, verfasste eine Reihe von Artikeln darüber, die in der Tageszeitung „Paris-Soir“ erschienen. Ein Interesse, das mit einer bereits damals offensichtlichen Faszination, die True Crime ausübt, einhergeht. Ohne zu viel vorwegzunehmen, die angesagte Eskalation hatte am Schluss alle Ingredienzen, um Kriminalgeschichte zu schreiben. Doch das Drama hatte über diesen Aspekt hinaus noch weitere Dimensionen, die das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit erweckte. Denn die Abkehr von der modernen Welt stand im Zusammenhang mit politischen Erschütterungen, die im Europa der Zwischenkriegszeit Platz griffen. Dass die Protagonisten überwiegend aus Deutschland stammten – Eloise Bosquet de Wagner gab sich zwar als österreichische Baronin aus, doch ihre beiden Begleiter waren ebenfalls Deutsche –, jenem Land, in dem die Umbrüche mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus am heftigsten zu spüren waren, verlieh der Zivilisationsflucht nach Floreana eine besondere Aktualität.
Neben der politischen und sozialen Dimension weist die Galápagos-Affäre aber auch einen allegorischen Charakter auf, der tief verwurzelte Mythen im kollektiven Gedächtnis wachruft. Nur unschwer wird man die Geschehnisse auf der abgelegenen Insel als eine Art moderne Variation der biblischen Erzählung über das Paradies, dessen der Mensch verlustig geht, erkennen. Ron Howard setzt die True-Crime-Geschichte samt ihrem allegorischen Charakter als psychologisches Drama in Szene, mit einer reduzierten, streckenweise geradezu spröde anmutenden Inszenierung gelingt im eine seiner bemerkenswerteren Regiearbeiten einer recht bewegten Karriere. Die begann der 1954 geborene Howard schon früh als Kinderdarsteller, etwa in der überaus populären Sitcom The Andy Griffith Show, in der Howard ab 1960 acht Jahre lang agierte. Zu seinen feinsten Auftritten als Schauspieler zählt mit Sicherheit seine Rolle in George Lucas’ populärkultureller Ikone American Graffiti (1973).
Seine Laufbahn als Regisseur startete mit der aktionsreichen Komödie Grand Theft Auto (1977), bei der er auch die Hauptrolle übernahm. Howard erweist sich als Regisseur, der sich in fast allen Genres zu bewegen versteht, die Bandbreite reicht von Komödien wie Splash, Fantasy wie Willow und How the Grinch Stole Christmas, Western wie Far and Away und The Missing, Actionmovies wie Backdraft oder Thriller wie Ransom. Höchst unterschiedliche Sujets, die Ron Howard routiniert und effektiv in Szene zu setzen versteht. Ecken und Kanten oder eine ausgeprägte Handschrift im Sinn eines Auteurs wird man in diesen Regiearbeiten allerdings kaum finden. Zeitweilig ist Howard auch zu sehr in Richtung glattes Mainstreamkino abgedrifted. Besonders deutlich wurde das in seinen Verfilmungen der Buchreihe von Dan Brown, in deren Mittelpunkt der Symbologe Robert Langdon steht. The Da Vinci Code, Angels & Demons und Inferno sind eher platte Thriller-Gebrauchsware, die allerdings an den Kinokassen ziemlich erfolgreich war. Das Spin-off Solo: A Star Wars Story markierte einen Tiefpunkt in der Ausschlachtung der Franchise und über Hillbilly Elegy, Howards Adaption des autobiografisch angehauchten Buchs des gegenwärtigen US-Vizepräsidenten JD Vance wollen wir lieber kein weiteres Wort verlieren.
Doch wenn Ron Howard sich Stoffen widmet, die auf realen Geschehnissen basieren, sieht die Sache schon anders aus. Da finden sich zweifellos seine besten Arbeiten, Filme, die sich wirklich sehen lassen können. Auch dabei erweist sich Howard als ziemlich vielseitig. In A Beautiful Mind greift er etwa – mit einem inszenatorischen Kunstgriff – die Lebensgeschichte des genialen Mathematikers John Forbes Nash auf, der mit einer schweren psychischen Erkrankung zu kämpfen hat. Cinderella Man thematisiert eine der größten Sensationen in der Geschichte des Boxsports vor dem Hintergrund der Großen Depression in den dreißiger Jahren, Frost/Nixon beleuchtet den Watergate-Skandal anhand eines legendären Fernsehinterviews, in dem Moderator David Frost dem Ex-Präsidenten Richard Nixon erstmals so etwas wie ein Schuldeingeständnis abringen konnte. Und in Rush wird das Duell der beiden Rennfahrer James Hunt und Niki Lauda zu einer Verortung eines philosophischen Klassikers, des Apollinisch-dionysischen Gegensatzes. Im Gegensatz zu manch seiner anderen allzu glatten Inszenierungen, weiß Ron Howard seinen „True Stories“ Kontur zu verleihen, Charaktere zu schärfen sowie aus der eigentlichen Geschichte allgemeingültige Implikationen herauszudestillieren.
Verhärtete Fronten
Unter dieser Betrachtung seines Gesamtwerks erscheint es wenig erstaunlich, dass Howard auch im Fall von Eden einen stimmigen und schlüssigen Zugang gefunden hat. Seine spröde, betont nüchterne Inszenierung bildet nicht nur einen deutlichen Gegensatz zur Beliebigkeit gefälliger Filmdurchschnittsware, sie schärft auch den Blick auf die Charaktere und ihre durchaus problematischen Facetten. Denn die Allegorie der Vertreibung aus dem Paradies hat eine Vorgeschichte, bei der der von Graham Greene angesprochene „menschliche Faktor“ wieder einmal eine entscheidende Rolle spielt.
Man mag durchaus nachvollziehen können, dass sich angesichts der bereits angesprochenen Stürme politischer Natur, die über das Europa der zwanziger und dreißiger Jahre hereinbrachen, der Wunsch, diese gesellschaftlichen Disruptionen hinter sich zu lassen und sich einen friedvollen Lebensraum nach eigener Fasson zu schaffen, manifestierte. Doch die Vorstellungen, wie die Ausgestaltung des neuen Paradieses vonstattengehen soll, gehen im Fall der Auswanderer Richtung Floreana weit auseinander. Dass so unterschiedliche Auffassungen wie die strikte Isolation vom Rest der Welt, die Friedrich Ritter dogmatisch einfordert, der pragmatische Zugang Heinz Wittmers, der vor allem in Ruhe leben möchte oder der opportunistische Herangehensweise der angeblichen Baronin mit der einzigen Absicht, materiellen Profit zu machen, kaum einen Kompromiss zulassen, scheint evident. In diesem Ringen um die vermeintlich ideale Form gesellschaftlichen Lebens, das sich im Mikrokosmos des kleinen Inselchens abspielt, spiegeln sich auch ein wenig jene Auseinandersetzungen wider, die in der Zwischenkriegszeit auf der großen Weltbühne vorherrschten. Auch dort wurde der Streit über die ideale Staatsform mit zunehmender Unerbittlichkeit geführt. Im Deutschland der Weimarer Republik, das die Protagonisten von Eden hinter sich lassen, verlief diese Auseinandersetzung bekanntermaßen besonders heftig.
Dass große Ideen oft an besagtem menschlichen Faktor scheitern, auch darin gleicht die Tragödie auf der entlegenen Insel dem großen Weltgeschehen. Friedrich Ritter fordert zwar apodiktisch die Abkehr von der modernen Zivilisation, doch wie erwähnt lässt er der Welt in einer Mischung aus Eitelkeit und Sendungsbewusstsein samt einer gehörigen Portion Hybris aber seine Schriften zukommen. Ironischerweise werden Menschen wie die Wittmers dadurch auf Ritters Projekt aufmerksam, was letztendlich zu einem Durchbrechen seiner so geschätzten Abschottung führt. Ritters Lebenspartnerin Dore Strauch wiederum befeuert seine Vorstellungen wiederholt. Doch mit der in Ritters Thesen – die allerdings nicht viel mehr sind als ein Substrat aus Nietzsche vermischt mit ein wenig bizarr anmutenden IdeenÅ– geforderten Rationalität, die Regungen emotionaler Natur völlig außen vorlassen soll, kommt sie im eigenen Leben nicht so gut zurecht. So sublimiert sie ihren nicht erfüllten Kinderwunsch, indem sie ihren als Haustier gehaltenen Esel als eine Art Ersatzkind ansieht.
Doch die Abgeschiedenheit von Floreana, die bestenfalls durch ein alle paar Monate vorbeikommendes Schiff kurz unterbrochen wird, bringt auch bei anderen Protagonisten immer wunderlichere Ideen hervor. Es wird deutlich – und spätestens hier bekommt Eden eine höchst verstörende Dimension – dass Isolation nicht das beste Umfeld für den menschlichen Verstand ist. Denn mit der räumlichen Abschottung geht auch zusehends eine mentale einher und die führt dazu, dass der Verstand beginnt, recht wunderliche Kapriolen zu schlagen. Gegenseitiges Misstrauen und Machtspiele prägen den Umgang miteinander, man hält an eigenen Ideen geradezu zwanghaft fest und lässt nichts aus, um sich das Leben schwerzumachen. Die Vorstellung, ein Paradies auf Floreana schaffen zu können, erscheint angesichts der sich stetig verhärtenden Fronten absurd. Doch da herrscht unter den Protagonisten längst jener oft zitierte Satz von Jean-Paul Sartre vor: „Die Hölle, das sind die anderen.“