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25 Jahre Amour Fou

Verrückt nach Film

| Jakob Dibold |
Sämtliche Amour-Fou-Produktionen eines Vierteljahrhunderts zu zeigen, damit kann auch das Filmarchiv Austria nicht dienen. Doch auch jene Filme, die nicht in der großen Rückschau laufen, werden hier chronologisch gewürdigt.

Die Anfänge sind stark von Kürze und Experiment geprägt. Einer der ersten Filme war Bady Mincks Ansichtskarten-Stakkato Seeen sehen (1998) und die dreiteilige Elektroansprache (2000), Harald Hunds und Paul Horns gravitations-auffällige Tomatenköpfe (2002) und die Melodrama-Auflösung Habibi Kebab (2003), Hunds animierte Kurz-Dystopie All People is Plastic (2005) sowie Doris Kranes 320 Times: Break out in Spots (2004). Dazu viel Thomas Draschan: avantgardistische Weltraum-Lust – Begegnung im All (2003, Ton: Sebastian Brameshuber), gemeinsam mit Brameshuber die Stan-Brakhage-Abhandlung Preserving Cultural Traditions in a Period of Instability (2003) und die Keynote (2006) aus Apple-Inc.-Footage, die Körper-Collage The Influence of Ocular Light Perception on Metabolism in Man and in Animal (2005) mit Stella Friedrichs. Während Edgar Honetschläger im gleichen Jahr (2002), in dem Martin Arnolds Deanimated und Jeanne Marie Renée entstanden, noch die Vereinigten Staaten nach 9/11 ironisiert, entdeckt er 2003 einstündig Sizilien – Il Mare e la Torta. Ebenfalls 2003 feiert Ruth Maders Sozialdrama Struggle Premiere in Cannes.

Mit Christophe Honorés Ma Mère, in dem der junge Louis Garrel mit Isabelle Huppert eine äußerst herausfordernde Frau zur Mutter hat, und dem von Klub Zwei, Simone Bader und Jo Schmeiser realisierten Things. Places. Years. über weibliche Holocaust-Erfahrungen, dann im Jahr darauf mit Jörg Kalts in Wien gestrandetem rumänischen Pärchen – Crash Test Dummies –, aber auch Fridolin Schönwieses gedoppelter Ansicht Mexikos in Österreich und Österreichs in Mexiko, Volver la Vista, folgen 2004 beziehungsweise 2005 erneut je ein Spielfilm und Lang-Dokumentarfilm. 2006 stehen mit Aufzeichnungen zum Widerstand ein Antifaschismus-Dokument von Martin Krenn, mit Hannes Gellners und Thomas Draschans La Mémoire des Enfants eine Aufarbeitung der Deportation jüdischer Kinder durch das Vichy-Regime sowie mit Elke Groens und Ina Ivanceanus Jeder siebte Mensch ein partizipativer Einblick ins chinesische Bauernleben zu Buche; Pol Cruchten erzählt derweil in Perl oder Pica vom Alltag eines Jungen im Luxemburg der frühen sechziger Jahre. Newton I. Aduakas Ezra (2007) rekonstruiert nur bedingt fiktionale Gewalt in Sierra Leone, in einem Jahr, das sonst im Zeichen der Kunst steht: Das Musik-Film-Crossover Free Radicals von Bady Minck und Bernhard Zachhuber wird bei der Biennale in Venedig uraufgeführt, Lisl Pongers perspektivische Einordnung Imago Mundi von Politik und Repräsentation – und deren Aushebelung – gar auf der documenta XII gezeigt.

Dazu kommt mit Faceless Überwachungskamera-Sci-Fi von Manu Luksch ebenso wie Heinz Emigholz’ Blick auf das architektonische Werk des Austro-Amerikaners Rudolph Schindler, genauer gesagt auf Schindlers Häuser. Zwei Jahre später beschließt Emigholz die Architektur-Trilogie: Auf Loos (siehe S. 36) und Schindler folgen – diesmal jedoch in Kurzform – Zwei Projekte von Friedrich Kiesler. Ebenfalls 2009 rückt Michael Hegglin eine völlig andere Kunstpraxis ins Licht, begleitet Die Farbe deiner Socken doch keine Geringere als die einzigartige Pipilotti Rist. Alter Ego und Hammamed stehen 2010 wieder für klein, aber oho; anders als Jérôme Nunes’ unmögliches Liebesdreieck und Groens und Ivanceanus Würdigung des islamischen Badehauses Hammam stellt Paul Poet indes in Empire Me sich abseits alles „Gewöhnlichen“ der Rest-Welt entziehende DIY-Ländereien in klassischen neunzig Doku-Minuten vor. Auch 2011 findet so einiges: Judenburg findet Stadt, Elfi Mikesch darin deren Bild-Schaffende, ein introvertierter Angestellter Einzug in das Phänomen Sauna – Hot Hot Hot von Beryl Koltz – und alte Menschen finden Gefallen an einem Japanischen Garten – oder umgekehrt? Fest steht: Der Tod in jenem Garten ist ein Kurzfilm von Jean-Laurent Csinidis.

Ähnlich ungewöhnlich entpuppt sich im Jahr darauf Tiger Fight, Martin Repkas Hommage an den tamilischen Film. Eigentlich gewöhnliche Bilder verstrickt Eni Brandner in Exhaustibility dicht, doch ebenso kurz und bündig zu einer Verhandlung der (Aus-)Nutzung der Natur. Längere Laufzeiten nehmen 2012 Erinnerungen ein: Susanne Brandstätter begibt sich mit drei Jugendlichen auf die Spuren der Roten Khmer und entdeckt so The Future‘s Past in Kambodscha, in Arik Brauer – Eine Jugend in Wien lässt Helene Maimann den Künstler sein eigenes Leben Revue passieren. Gegen Raum und Zeit wehren kann sich einzig die Liebe: Die 727 Tage ohne Karamo (2013) macht dies deutlich, Regisseurin Anja Salomonowitz damit einmal mehr auch, wie intelligent sie Dokumentarisches – hier die Lebensrealität binationaler Paare im Angesicht von Abschiebungen – zu inszenieren vermag. Zwei Jahre auf 2016 vorgespult, geht es zweifach retour: Ina Ivanceanu folgt (diesmal in Solo-Regie, wie auch 2016 in der Kurzfilm-Serie The NOPOOR Diaries) in mittellanger Form osteuropäischen Kunstschaffenden, die
öffentlichen Raum, Free Spaces, zurück-erobern, in Re-Sound Beethoven entführt uns Michael Sturminger ins Wien von Ludwig van – an Entstehungs- und Aufführungsorte, auch mittels historischer Instrumente. Das Familiäre zieht sich anhand von Nadia Masris Brüder-Kurzgeschichte Long Lost stark durch das Jahr 2016, auch, oder vielleicht doch zusätzlich dadurch, dass Egon Schiele am Ende einzig seine Schwester bleibt, wie Dieter Berner in Egon Schiele – Tod und Mädchen zu erzählen weiß.

Elke Groens Bojo Beach, eine reduzierte Beobachtung menschlicher Arbeit an einer ghanaischen Küste, und Felix Randaus Der Mann aus dem Eis dagegen machen 2017 zu einem Jahr der Gegensätze, dramatisiert letzterer doch aufwändig das Leben des wohl berühmtesten Ötztalers. Auf And Then You (2018), Kim Schneiders flammende Mini-Romanze, folgen 2019 die kollektive Bearbeitung des Themas Gemeinwohl-Ökonomie – hinter Happiness Machine stehen zehn Kurzfilme von zehn Filmemacherinnen und zehn Komponistinnen –, Gesa Hollerbachs dokumentarische Untersuchung der zeitgenössischen Probleme des Landlebens, kämpferisch-optimistisch Landretter getauft, und zudem dreierlei Fiktionales: Clara van Gools Henry-James-Verfilmung The Beast in the Jungle, die Rock-Opera-Adaption Red Fields der israelischen Regisseurin Keren Yedaya, sowie Yalda, a Night for Forgiveness. Mit dem Reality-TV-Drama des iranischen Filmemachers Massoud Bakhshi sind wir in der Gegenwart angekommen. Yalda gewann beim Sundance Film Festival 2020 den World Grand Jury Prize Dramatic und startete Ende September in den Kinos. Das jüngste Amour-Fou-Highlight: Evi Romen gewann mit ihrem Regie-Debütfilm Hochwald, der vorher schon mit dem Carl-Mayer-Drehbuchpreis ausgezeichnet worden war, im Oktober den Golden Eye Award beim Filmfestival in Zürich. Der Film kommt am 1. Jänner 2021 ins Kino. Mehr darüber und ein Interview mit der Regisseurin findet sich im Dezember-Jänner-Heft von „ray“.