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Sandra Wollner

The Trouble with Being Born

Versuch über die Ewigkeit

| Jakob Dibold |
Keine Scheu vor großen Begriffen und ein Glücksfall fürs Kino: Sandra Wollners nächster Schritt auf der Diagonale.

Wie viele Nachteile das Geboren-worden-sein auch mitunter mit sich bringen mag – am Leben zu sein hat immerhin den immensen Vorteil, an guter Filmkunst teilhaben zu dürfen. The Trouble with Being Born lautet der englische Titel jener Aphorismensammlung des rumänischen Philosophen Emil Cioran und eben daher entlehnt nun auch das zweite Feature, das die in Leoben geborene und in Berlin lebende Filmemacherin Sandra Wollner nach ihrem mit dem Förderpreis für Filmkunst der Nationalgalerie honorierten, vom Verband der Deutschen Filmkritik zum besten Spielfilm 2018 gekürten Langfilmdebüt Das unmögliche Bild der Kinoöffentlichkeit vorlegt. Der Zweitling wurde soeben auf der Berlinale mit dem Spezialpreis der Jury in der neuen kompetitiven Sektion „Encounters“ ausgezeichnet.

Wollners filmischem Werk haftet trotz seiner noch geringen Quantität schon jetzt der Charakter eines stringenten Œuvres an, ihre Arbeit wirkt wie ein beispielhaft bejahendes Ausrufezeichen hinter dem Wunsch, dass Kino weitergedacht werden muss und nie aussterben darf. Um das Werden und Vergehen, und um die Erinnerung daran geht es nach dem akklamierten Debüt auch in The Trouble with Being Born. Die Geschichte, die sofort als kammerspielartige, rätselhaft-atmosphärische Studie um das Androidenmädchen Elli und den Mann, den es „Vater“ nennt, beginnt, verfestigt die erzählerische Handschrift ihrer Autorin gerade dadurch, dass letztere sich darin selbst neuen Aufgaben, universaleren Fragestellungen annimmt: „Die Idee zu The Trouble with Being Born kam ursprünglich von Roderick Warich, mit dem ich auch das Buch geschrieben habe. Der Film ist auf jeden Fall eine Weiterführung meiner letzten Arbeit. Das war allerdings kein Vorsatz, sondern hat sich so ergeben. Für mich ist es schön, sie rückblickend im Zusammenhang zu sehen. Die Überlagerung von Erinnerungen und Vorstellungen ist ein Thema, das beide verbindet – Erinnerung als das sinn- und identitätsstiftende Narrativ, ohne das wir im bedeutungslosen Chaos versinken würden. Erinnerung als Programmierung, Narration als die Grundlage unseres menschlichen Daseins. Alles hat einen Anfang und ein Ende – der Mythos der Selbst-Werdung, der ja auch das Kino dominiert. Demgegenüber steht die prinzipielle Unendlichkeit einer maschinellen Existenz, mit ihrer nicht gleich zu erfassenden Narration. Das fand ich faszinierend. Das unmögliche Bild war vielleicht mehr wie eine Null, ein Kreis, der sich schloss, mit kleinen Abweichungen. Und The Trouble with Being Born ist nun von vorn herein eher wie eine Acht – ein Versuch über die Ewigkeit“, so die präzise Selbsteinschätzung.

Nun sind ja Versuche über die Ewigkeit aufgrund der Schwere ihres Themas oftmals dem Absinken in die Bedeutungslosigkeit geweiht; eine Gefahr, die The Trouble with Being Born in aller Eleganz umkurvt, nicht einmal streift. Dies gelingt, weil Zeit und Ewigkeit nicht als sperrige metaphysische Größen untersucht werden, sondern sich als mit-konstituierende Komponenten von Realität quasi zwingend entfalten. Ähnlich wie in Das unmögliche Bild – auch schon ein komplexes Psychogramm familiärer Schein-Harmonie –, aber doch noch einmal auf eine andere Weise glückt der Versuch jedenfalls ebenso großteils durch seine ausgeklügelte Handhabung sprachlicher wie bildlicher Erzählperspektiven und deren Verschiebung:

„Die Perspektive ist in beiden Filmen ein entscheidendes Moment. Im letzten Film war es die Perspektive einer Selbstwerdung, könnte man sagen: Ein Ich, das sich zusammensetzt und sich über sich selbst bewusst wird, seine eigene, vielleicht nicht immer zuverlässige Narration bildet. Vorstellung und Erinnerung überlagern sich am Ende. Das Innen und das Außen wachsen zusammen, die Vorstellung wird im Äußeren sichtbar. Dort, wo der letzte Film perspektivisch aufgehört hat, fängt der neue an. In einer zunehmend virtuellen Welt wird alles, was vorstellbar ist, irgendwann auch erfahrbar sein. Es kommt zu einer Entgrenzung. Das heißt, all unsere Gedanken, Sehnsüchte und auch Abgründe, die es immer gegeben hat, die aber vorher nur im Geheimen da waren, werden auf eine Weise ‚sichtbarer‘, realer. Gleichzeitig wird das, was wir traditionell für real halten (unsere Erfahrungen, unsere Familienerinnerungen usw.), virtualisiert und dabei entkernt. Der Off-Text, den die Figur in diesem Film spricht, wirkt gleichzeitig völlig real und doch spüren wir nur die äußeren Züge einer Person dahinter. Die Wirklichkeit wird sozusagen ausgehöhlt.“

All dieser Tiefgang nimmt auf der Leinwand (un)heimlich, scheinbar unspektakulär Gestalt an, wird jedoch die gesamte Dauer über gleichsam von bedrückender, aber nie aufdringlicher Poesie wie von ruhig-beunruhigender, präziser Bild- und Soundkomposition getragen. So funktioniert der Film sowohl als subtil-anspruchsvolle Untersuchung von Künstlicher Intelligenz als auch einfach als zutiefst menschliche Tragödie: „The Trouble With Being Born bezieht sich weniger auf die Geburt als solches, sondern eher auf das, was danach folgt. Dieser Nachteil entsteht ja erst, wenn man sich über das Sein bewusst wird und dieses Sein mit einer Bedeutung auffüllen will. Der Android ist völlig frei davon, er ist einfach.“ Es scheint genau dieser Freiheit zu verdanken, dass die Figur des Androiden sowohl konkret als auch metaphorisch das ideale Gefäß, den idealen Spielraum für die Fragen darstellt, mit denen sich Wollner auseinandersetzen will. Und wenn Leidenschaft für ein Thema und die richtige Wahl des Rahmens passend zusammenfallen, kommen sie dabei eben heraus: Filme, die man gleich noch einmal sehen will, Filme, an die man sich erinnert, die man noch lange mit sich mitträgt. Ob in Berlin, in Graz oder sonst wo.