In der diesjährigen Filmauswahl der Viennale findet sich eine Flut an Filmen aus dem oder um den Big Apple.
Den Anfang machte Love Is Strange, eine melancholisch-lustige Geschichte über ein schwules Paar, Ben und George, die nach fast vier Jahrzehnten des Zusammenlebens endlich heiraten. Wegen der Hochzeit verliert George jedoch seinen Job in einer kirchlichen Schule, und die beiden müssen ihr teures Apartment in Manhattan aufgeben. Weil sie im Zentrum der Stadt bleiben wollen, aber sich kein Hotel während der Zeit ihrer Wohnungssuche leisten können, wohnt George für eine Weile bei dem ebenfalls schwulen Polizistenpärchen aus ihrem Haus, während Ben bei seinem Neffen, der mit seiner Frau und seinem Sohn in einem mittelgroßen Apartment in einem etwas entfernten Teil der Stadt lebt, einzieht. Bei beiden ergeben sich aus der neuen Wohnsituation Schwierigkeiten. George kann nachts nicht schlafen, weil seine beiden Mitbewohner täglich Parties feiern oder laute Männerabende veranstalten. Ben auf der anderen Seite muss sich ein Zimmer mit dem missmutigen Sohn der Familie teilen, was diesen alles andere als freut. Er stört mit seiner Anwesenheit die Frau seines Neffen beim Arbeiten und fühlt sich generell eingeengt. Es ist schwer für die beiden Männer, mit ihrer Situation klar zu kommen, auch der Staat New York lässt ihnen bei ihrer Wohnungssuche wenig Hoffnung. Es scheint sich mit der Zeit endlich alles wieder zum Guten zu wenden, doch selbst in der Stadt der Träume ist das Leben nicht immer traumhaft.
Dass es das auch in den Siebzigern nicht war, zeigt die Komödie They All Laughed von Peter Bogdanovich. Die New Yorker Detektivagentur Odyssey soll zwei Frauen, die angeblich untreu sind, folgen. Das Problem dabei ist, dass sich die beiden auf die Fälle angesetzten Agenten in das jeweilige Beschattungsziel verlieben. Außerdem gibt es da noch eine schöne Countrysängerin und eine noch schönere Taxifahrerin, die auch mit den Detektiven der Agentur Beziehungen pflegen. Mit wunderbar pointierten Witzen im Minutentakt, einer schnellen, amüsanten Geschichte, gut aussehenden Protagonisten (es ist u.a. Audrey Hepburns allerletzter Film) und den toll eingefangenen Bildern des alten New York ist der Film ein wirklich unterhaltsamer Abendfüller. Wem das noch nicht reicht, der freut sich vielleicht über das Extrazuckerl, dass der Film bei der Viennale mit schwedischen Untertiteln gespielt wurde – was selbst aus ernsten Szenen (deren es wirklich nicht viele gab) noch Witz herausholte.
Einen Witz aus jeder Situation, egal, wie traurig oder aussichtslos sie sein mag, holt auch See You Next Tuesday, eine extrem skurile Dramedy über eine junge Frau in Brooklyn, die in den letzten Tagen ihrer Schwangerschaft komplett durchdreht. Mona arbeitet an der Kassa eines Supermarktes, in dem sie von den anderen Mitarbeiterinnen gemobbt wird. Sie hat keine Freunde, man erfährt nie, wer der Vater ihres Kindes ist, und sie wohnt in ihrem hochschwangeren Zustand alleine in einer winzigen, vollgemüllten Wohnung, ohne den Arzt seit Monaten besucht zu haben. Ihre Beziehungen zu ihrer Mutter May und ihrer Schwester Jordan sind gestört, der Untertitel des Films („You always hate the ones you love“) scheint exakt darauf anzuspielen. Im Laufe des Films zerstreitet sie sich unzählbar oft mir ihrer Mutter und Schwester, findet aber auch immer wieder zu ihnen, verbringt einige Zeit damit, durch „ihr“ New York zu Laufen (die bestimmt hässlichste Darstellung der Stadt, die man in allen Filmen finden kann) und denkt keine Sekunde über ihre Zukunft mit dem Baby nach. In Rezensionen wurde der Film einem neuen Genre der „uncomfortable comedy“ zugeordnet – diese Beschreibung trifft den Nagel auf den Kopf. Während der 82 Minuten Laufzeit gibt es kaum einen Moment, der nicht wegen des tiefen Humors, der Verzweiflung der Charaktere oder der Tristesse der Umgebung fast körperlich schmerzhaft anzusehen ist.
Alles andere als schmerhaft anzusehen ist der Film Dog Day Afternoon“ – ein Krimi mit Al Pacino in der Hauptrolle, basierend auf einer wahren Geschichte. An einem sonnigen Samstagnachmittag stürmen Männer eine Bank in Brooklyn, doch weil sie vollkommen unerfahren sind und nicht wissen, dass man bei einem Bankraub nur ein sehr kurzes Zeitfenster bis zur Ankunft der Polizei hat, sind bald alle Polizeieinheiten der Umgebung um das Gebäude platziert. In diesem Moment macht der Kopf der Gruppe einen ungewöhnlichen Schritt: Er geht aus der Bank auf die Straße (wo unzählige Waffen auf ihn gerichtet sind) und beginnt mit den Behörden zu verhandeln. Seine Geschichte ist so skurril, dass sie sich kaum jemand hätte ausdenken können. Er braucht das Geld, um eine Geschlechtsumwandlung für seinen Liebhaber zu bezahlen. Das versucht er den Autoritäten klar zu machen, was zu langen, aber spannungsgeladenen Verhandlungen auf der Strasse führt.
Passend zu diesem Film (wohl sogar der Grund, warum dieser bei der Viennale gezeigt wurde) war die Dokumentation The Dogüber das reale Vorbild für die Rolle des verliebten Bankräubers, John Wojtowicz. Er beschreibt sich selbst vor allem über sein größtes Hobby – Sex. Daher stammt auch sein Spitzname Dog. Das Muster, in dem seine Lebensgeschichte rund um den legendären Banküberfall erzählt wird, ist sehr individuell, erst wird die Geschichte grob umrissen, dann in einem weiteren Durchgang im Detail erzählt, und schließlich treten die wahren Hintergründe in Erscheinung. Die Doku zeigt ein ganz anderes Bild der Siebziger als der Film They All Laughed. Die Stadt New York und die Menschen darin werden rauer und revolutionärer dargestellt als in der Comedy.
Auch rau, aber eher wenig revolutionär ist der Schriftsteller Philip, ein Ekel das mit allem unzufrieden ist. Er hat eine wunderbare Freundin, doch eigentlich ist ihm nur seine Karriere wichtig. Er wird nie müde zu erwähnen, wie großartig er ist und wie gut sein neues Buch aufgenommen werden wird. Doch in seinem Bestreben, ein memorabler Schriftsteller zu werden, ist er von seinen Mitmenschen generell entweder genervt oder gestört. Als er dann die Möglichkeit bekommt, fernab von der Stadt in einem Landhaus zu schreiben, nimmt er sie freudig an. Der Film heißt Listen Up Philip.
Auch der 13-jährige Sohn von Louis Sarno erfährt in Song from the Forest einen Ortswechsel, allerdings in die andere Richtung: Statt aufs Land geht es für ihn aus dem Dschungel in Afrika direkt in die Metropole New York. Denn sein Vater kam 25 Jahre zuvor von ebenda nach Zentralafrika, um mit den Bayaka-Pygmäen im Regenwald zu leben. Der Film beschreibt die Unterschiede zwischen dem Großstadt- und dem tatsächlichen Dschungel, wie Menschen damit umgehen und beschäftigt sich natürlich mit der große Fragen, wo man besser lebt.
Von einem besseren Leben träumt auch der Schlagzeuger Andrew in Whiplash. Er ist ein Schüler des berühmten Shaffer Music Conservatory in New York, dem besten des Landes. Sein Ziel ist genauso ehrgeizig, wie es seine Schulwahl vermuten lässt: Er will der Beste werden, ein Drummer , über den die Menschen noch Jahrzehnte nach seinem Tod sprechen. Dafür übt er täglich stundenlang. Freunde hat er keine, und auch das Mädchen, für das er sich interessiert, sägt er nach kurzer Zeit ab, weil er meint, dass er sie vernachlässigen würde, da ihm die Musik wichtiger ist. Seine Ziele will er durch den fast grenzenlos ehrgeizigen und dabei auch extrem brutalen Dirigenten Fletcher erreichen. Als er es in dessen Musikformation schafft, scheint es geschafft zu sein. Doch das war gerade erst der Anfang. Ab da muss Andrew einer Flut von Beleidigungen, hartem Konkurrenzdruck und ständigem Zweifel an seinen Fähigkeiten wiederstehen – dabei gibt er wortwörtlich Blut, Schweiß und Tränen, um an sein Ziel zu gelangen. In mitreißenden Bildern und mit noch mitreißenderer Musik erzählt Damien Chazelle in diesem Film eine Geschichte über Ehrgeiz, Erfolg und die Opfer, die man (scheinbar) bringen muss, um es nach ganz oben zu schaffen.