Viennale-Blog 38

Mouton

| Anja-Lene Melchert |

Ein junger Mann lebt. Sein halber Arm wird ihm abgeschnitten. Der Film geht weiter. „Mouton“. Ein Erlebnisbericht.

Anfangs noch hellwach und gespannt, setzte ich mich in den Debütfilm von Marianne Pistone und Gilles Deroo (der ja immerhin beim Filmfestival von Locarno ausgezeichnet wurde), nicht wissend, was dieser Abend für mich bereithalten würde.
Die erste halbe Stunde war noch in Ordnung: Erst wurde ich Zeuge einer Verhandlung um das Besuchsrecht für den jungen Aurélien, der von allen nur Mouton (Schaf) genannt wird, dann konnte / musste ich ihn bei seiner Arbeit in einem Lokal beobachten. Diese Szenen dauern viel zu lange, es wirkt fast, als wäre der Kameramann immer einfach stehengeblieben, ohne viele Anweisungen. Vermutlich sollen diese endlosen Einstellungen ein Kunstgriff sein, aber in einem mehr als zwei Stunden langen Film wurden sie nach einer gewissen Zeit zu meinem persönlichen Feindbild. Abgesehen von der Geschichte um Moutons Arbeit, entspinnt sich auch eine Liebesgeschichte zwischen Mouton und seiner Arbeitskollegin – leider wird diese fast schmerzhaft nah dargestellt , es wirkt, als sollten die Close-ups emotionale Nähe zu den Figuren erzeugen, doch sie erzeugen eher das genaue Gegenteil (ich hatte sie schon als Tiefpunkt niedergeschrieben, doch da kannte ich den Rest des Films noch nicht). Moutons Alltag zieht sich weiter, und die Einstellungen sind erneut qualvoll lang. Man kommt all den Menschen wirklich viel zu nahe, sie wirken unsympathisch und entrückt.

Schließlich ist der Tag eines Festes, bei dem ein Mann eine Motorsäge nimmt und Mouton in den Arm schneidet. Der Moment kommt nicht total überraschend, weil er, wie der Großteil des Films, erst von einer Off-Stimme erzählt und dann gezeigt wird. Das Motiv bleibt absolut unklar, und obwohl sie der wichtigste Wendepunkt des Films ist, wird die Tat nur sehr kurz erwähnt.
Daraufhin zieht Mouton weg aus dem Dorf zu seinem Onkel, der Täter wird verurteilt, und die anderen Menschen in dem Dorf leben ihr Leben weiter. Eine Frau schreibt Mouton noch zwei Mal, und dann endet der Film.
Ich hoffe sehr, dass ich einen wichtigen Punkt in dem Film übersehen habe, der alles zu einem schönen Bild zusammenfügt, der Handlung einen Sinn gibt und die viel zu langen Kameraeinstellungen (und gleich noch das irritierende Lächeln Moutons) rechtfertigt. Aber ich kann es mir schwer vorstellen, da ich leider – anders als 80% der Besucher – keinen Teil davon verschlafen habe und auch nicht – wie die meisten – bereits weit vor dem Ende gegangen bin.
Doch ein Gutes hatte es dann doch, dass ich 100 Minuten lang zwischen auf-die-Uhr-Schauen, einen-Schluck-von-dem-geschenkten-Getränk-Trinken und nein-es-ist-noch-immer-dieselbe-Landschaft-auf-der-Leinwand, durchgehalten habe: Zum ersten Mal in meiner ganzen Zeit bei der Viennale ging in der ersten Sekunde des Abspanns ein allgemeines Seufzen der Erleichterung durch das Kino. Das war auch eine Erfahrung. Danke dafür, Mouton.