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Viennale – Die Viennale-Retrospektive ist Fritz Lang gewidmet

Mabuse – Megalomanie

| Jörg Becker |

Der Name ist vielfach adaptiert worden. „Dr. Mabuse“ bezeichnet einen Untoten, den imponierendsten Verbrecher des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland. Sein Geist flottiert, bereit zu aktualisierter Performance. Die Figur des genialisch wahnsinnigen Staatsfeinds Nr. 1 wurde in ihren Wirkungen als Spiegelbild menschlicher Ängste vor 90 Jahren erstmals ins Bild gesetzt von Fritz Lang.

Entscheidend war die Begegnung von Fritz Lang, der in Paris vor dem Ersten Weltkrieg bereits Fantômas-Filme von Louis Feuillade gesehen hatte, mit Norbert Jacques, der in seinen Mabuse-Romanen Fantômas „germanisiert“ hatte: „Die Schrift begann mit Beschreibungen von Anschlägen gegen das Geld, als gegen die Urnotwendigkeit zur Existenz und zur Sicherung des Daseins einer kapitalistisch funktionierenden Zeit. Attentate gegen das Geld mussten die ersten Unsicherheiten in das Zusammenleben der Menschen bringen, die ersten Ängste. (…) Das gewaltige Heer der Arbeitslosen wuchs ständig. Es bedurfte nur der Lunte, um die angehäuften Zündstoffe zur Explosion zu bringen, das Chaos zu schaffen, das einem großen Verbrecher Möglichkeiten über Möglichkeiten bot.“ (Norbert Jacques, Das Testament des Dr. Mabuse, Vorlage für Fritz Langs Film von 1932/33)

Die personifizierte Verschwörung

1921/22 war die Figur des „Dr. Mabuse“  in einem Fortsetzungsroman in der Berliner Illustrirten Zeitung für Monate seriell mit großer Resonanz an die Öffentlichkeit getreten. Die Gestalt des dämonischen Verbrechers, „Mabuses Stigma als Genie, das zum Staatsfeind Nr. 1 wurde“ (Siegfried Kracauer), entsprach den Ängsten einer haltlosen, inflationsgeschüttelten Nachkriegsgesellschaft, in die eine „Entwertung aller Werte“ Einzug hielt. Was auf Befehl bzw. unter dem magischen Einfluss Mabuses geschah, betrieb unablässig eine Art gesellschaftliche Totalsabotage um ihrer selbst willen, ohne direkt nachvollziehbaren kriminellen Nutzen. „Mabuse“ erscheint wie die Verkörperung einer Phantasie vom ultimativen Verantwortlichen noch hinter den undurchsichtigsten Delikten, die personifizierte Weltverschwörung, der Urheber aller Schreckensszenarien, aller wirtschaftlichen Krisen und Einbrüche, die denen, die unter ihnen leiden, so wenig verständlich sind.

„Noch heute wirken Mabuses viele Verkleidungen wie ein Katalog Weimarer Typen, wie sie aus den Zeichnungen von Otto Dix oder George Grosz bekannt sind: der Börsenspekulant mit Zylinder, der delirierende Trunkenbold im Hausaufgang einer Mietskaserne, der jüdische Hausierer an der Straßenecke, der bärtige Privatier in der schicken Luxuslimousine, der Industrielle mit Monokel und Schnurrbart, der Zuhälter, der Psychiater, der Hypnotiseur, der Opium rauchende Chinese in der Spielhölle.“ (Thomas Elsaesser, Das Weimarer Kino – aufgeklärt und doppelbödig, 1999) Man wähnt Mabuse in jedem Unbekannten versteckt, seine Vielfach-Identitäten führen das romantische Doppelgänger-Motiv ins Uferlose. Als der Ursprungs-Mabuse stirbt, nachdem er in der Irrenanstalt unablässig Anleitungen zu subversiven Aktionen produziert hat, ergreift sein Geist Besitz vom Anstaltsleiter.

Ein-Mann-Krieg eines „Raffke“

Fritz Lang nannte Mabuse einen typischen „Raffke“, den erfolgreichen Kriegsgewinnler und Inflationsnutznießer. In seinem Roman „Die Enden der Parabel“ („Gravity’s Rainbow“) lässt Thomas Pynchon seine Figur des Wissenschaftlers und Raketeningenieur Franz Pökler sich an den „Zeitgeist“ Weimars erinnern, der für diesen die menschlichen Züge eines raubvogelartigen Kinogesichts annimmt, das des Schauspielers Rudolf Klein-Rogge mit seinen „riesigen eiskalten Augen“ – Klein-Rogge ist Langs Dr. Mabuse, der Hunnenkönig Attila in Die Nibelungen, der Wissenschaftler Rotwang in Metropolis und der Chefspion der fremden Macht, Haghi in Spione. Thomas Pynchon: „An Hugo Stinnes sollte man dabei denken, den rastlosen Drähtezieher hinter den Kulissen aus sichtbarer Inflation, sichtbarer Geschichte: Spieler, Finanzhai, Erzgangster… ein pedantisch bürgerlicher Mund, rundwangig, ungelenke Gesten, der erste Eindruck komische Technokratie… und doch, wenn die Wut ihn packte, unter seinem rationalisierten Blick hervorbrach, wenn seine gletscherkalten Augen zu Fenstern in die kalte Savanne wurden, dann kam der wahre Mabuse zum Vorschein.“

Chaos und Tyrannis / Film als Bild der Zeit

Mabuse sei „ein Kind von Nietzsche“, hat Fritz Lang einst bekannt, dagegen Siegfried Kracauers Betrachtung zum „Aufmarsch der Tyrannen“ (Von Caligari zu Hitler, USA 1947; dt. 1958; 1979), mit der dieser Rückschlüsse auf die präfaschistische Disposition der Deutschen zieht und „tiefwurzelnde Vorahnungen“ des NS-Führerstaates konstatiert,  abgelehnt. Kracauer kommentiert die Premierenbroschüre, die „Mabuses Welt“ beschreibt: „‚Die Menschheit, durch Krieg und Revolution aus den Fugen geraten und niedergetrampelt, rächt sich nun für die qualvollen Jahre, indem sie ihren Gelüsten frönt (…) und sich passiv oder aktiv dem Verbrechen hingibt.‘ Das heißt, das Chaos zeugt Tyrannen wie Mabuse, die dann neues Chaos schaffen.“ Das Testament des Dr. Mabuse (1932/33) war der erste Fall des Verbots eines Spielfilms unter der neuen Nazi-Reichsregierung. Der „Minister für Volksaufklärung und Propaganda“, Joseph Goebbels: „Ich werde ihn deshalb verbieten, weil er beweist, daß eine bis zum Äußersten entschlossene Gruppe von Männern, wenn sie es nur ernstlich will, durchaus dazu imstande ist, jeden Staat aus den Angeln zu heben.“

Psychoanalyse, Hypnose, Suggestion

„Es gibt keine Liebe, es gibt nur Begehren./ Es gibt kein Glück, es gibt nur den Willen zur Macht.“ (Zwischentitel) So der als Psychoanalytiker Dr. Mabuse zu einer Abendgesellschaft im Haus des Grafen Told (Alfred Abel) Geladene zu dessen Gattin (Gertrude Welcker), ehe der hypnotisch wirkende Strahl, den seine aufgerissenen Augen aussenden, hinterrücks den Kopf des Grafen zu treffen scheint und ihn zum Falschspiel am Kartentisch zwingt. Als dies mit einem Eklat auffliegt, verliert die Gräfin, die nicht nur Mabuse, sondern auch dessen Verfolger, den Staatsanwalt Wenk, libidinös fasziniert, das Bewusstsein und fällt ohnmächtig in die Arme des hypnotisierenden Analytikers (!), der sie in dem plötzlichen Durcheinander wie eine willenlose Beute buchstäblich abschleppt. Die Eliten der Vorkriegszeit sind erledigt, vom Willen eines unaufhaltsamen Usurpators ihrer Dekadenz überführt und enteignet.

Läuterung einer „verrotteten Welt“

Am Ende seiner Karriere lässt sich Fritz Lang darauf ein, einige alte Stoffe für Artur Brauners CCC-Filmproduktion neu zu verfilmen. Nach Der Tiger von Eschnapur und Das indische Grabmal (beide 1958/59) wird sein letzter Film Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (1960), in dem er die Bedrohung durch die Mabuse-Figur auf fortgeschrittenem technischen Niveau atomarer Bewaffnung und totaler Überwachung aktualisiert. Passagen, in denen Das Testament im Kontext der 1000 Augen im Westberliner Ambiente wiederbelebt wird, hat Lang deutlich platziert als Selbstzitate. Mabuses Agenten bedienen fahrbare Sender, setzen elektronische Bildaufzeichnungsgeräte, versteckte Mikrofone und Kameras ein; die halbdurchlässigen Spiegel, die in einem Berliner Hotel zur Spionage einladen, wirken dagegen wie eine Reminiszenz an die „magischen Spiegel“ aus Langs Frühwerk Die Spinnen (1919).

„Lang hat … mit seiner „Mabuse“-Tetralogie einen abstrus-hellsichtigen Kommentar zu den Katastrophen des Jahrhunderts verfasst“, resümiert Klaus Kreimeier in seiner Fritz Lang-Studie „Der Schlafwandler“ (1987 bzw. 2008). Die Akte Mabuse ist 1960 in Die 1000 Augen nicht mehr auffindbar, nur ein alter Beamter erinnert sich noch, und wieder sind die endlosen Sitzungen im Polizeidezernat von Tabakdunst vernebelt. Der Fall, so heißt es, ging nicht in die Kriminalgeschichte ein – „Hitler und der braune Spuk“ kamen dazwischen. Der Mabuse von 1960 entpuppt sich als Hoteldirektor und das Hotel als Hinterlassenschaft der Nazis; die Abhöranlagen der Gestapo sind nun auf Fernsehmonitore umgestellt. 1989 dreht Claude Chabrol mit DR. M als Hommage an Fritz Lang am alten Schauplatz im damaligen West-Berlin eine Fortschreibung, in der die Massensuggestion elektronischer Medien die einstige Rolle der individuellen Hypnose eingenommen hat.

Erben Mabuses

Die Vorstellung eines Mabuses der nahen Zukunft müsste das Bild vom „modernen Raubtier“ des globalen Unternehmers und Investors als ungezügeltem Wirtschaftssubjekt ergänzen mit Projekten, ganze Volkswirtschaften zu privatisieren, Staaten als Schuldner in seine Abhängigkeit zu bringen, deren Bevölkerung in Geiselhaftung zu nehmen, Gemeinwesen zu enteignen und zugleich alles aufs Spiel zu setzen. So bleiben Spiel und Terror, die größenwahnsinnigen Triebkräfte Mabuses, ob sichtbar oder verborgen, in der Welt. Man könnte sich ihn als gestaltwandlerischen Doppelagenten zwischen diesen aneinander gekoppelten Sphären vorstellen, zwischen der „kapitalistischen Erzählung“ vom unaufhaltsamen Wachstum und den destruktiven Intermezzi katastrophischer Krisen, die immer auf den Krieg als systemisch notwendige Kapitalvernichtung verweisen.

Als Potenzial zur Fortsetzung blieb zuzeiten der frühen Bundesrepublik vom Mabuse der Weimarer Republik die „Seelenwanderung“ übrig, der flottierende, genial kriminelle Geist auf der Suche nach einem „Wirtshirn“. Die 1000 Augen des Dr. Mabuse, der letzte Film des Meisters, bildete den Auftakt einer Reihe, die fast, in Konkurrenz mit den zur gleichen Zeit laufenden Edgar-Wallace-Filmen, ein eigenes Genre wurde. Das typische Produzentenkalkül Artur Brauners (CCC-Filmkunst), ein bisheriges Erfolgsmodell mit einem neuen zu kombinieren, das heißt, einen „frei verwendeten“ Mabuse als bewährtes Genre-Emblem für einen Spionagefilm mit Sci-Fi-Anteilen im Stil von James Bond – 007 jagt Dr. No (1963) zu nutzen, trivialisierte den Geist Mabuses durch zwar psychopathologische, doch kaum mehr unheimliche Nachfolger.

Gegenüber den globalen Superschurken, die die Weltherrschaft anstreben, indem sie gleichzeitig bereit sind, alles in Schutt und Asche zu legen, repräsentiert Mabuse die Essenz des Verbrechens, gleich ob sein 20er-Jahre-Profil verblasste. James Bond-Gegenspieler wie etwa „Goldfinger“, „Blofeld“ oder „Dr. No“ sind für ihn nur entfernte, karikaturenhaften Verwandte.