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Vor der Morgenröte

Filmkritik

Vor der Morgenröte

| Kirsten Liese |
Großartiges Episodendrama um Stefan Zweig im Exil – und ein Triumph für Josef Hader

Imposante Bukette exotischer Blumen zieren eine Tafel, als sollte Stefan Zweig die ganze Vielfalt Brasiliens schon mit einem Blick ermessen. Aus Europa musste der jüdisch-österreichische Schriftsteller fliehen, sein erstes Exil fand er in London. Aber nirgendwo wird der Weltbürger so fürstlich empfangen wie von der höheren Gesellschaft in Rio im August 1936. Dieses Ereignis bildet den Prolog in dem tiefgründigen, grandiosen Stationendrama von Maria Schrader, ihrer zweiten Regiearbeit nach Liebesleben. In vier Episoden, gefolgt noch von einem Epilog,  zeichnet die Berlinerin sensibel, authentisch und mit dichten kammerspielartigen Szenen nach, wie aus dem deutschsprachigen Autor, dem seinerzeit bedeutendsten neben Thomas Mann, ein heimatloser Wanderer wird, der am Verlust seiner geistigen Heimat und Sprache zerbricht, in Depressionen versinkt und schließlich 1942 Selbstmord begeht.

Vor der Morgenröte ist so gesehen auch das Porträt eines schwermütigen Intellektuellen, der, matt, resigniert und verstört, ungewollt oft nahestehende Menschen vor den Kopf stößt. „Jede Widerstandsgeste, die kein Risiko in sich birgt und keine Wirkung hat, ist nichts als geltungssüchtig“, entgegnet er Journalisten, die auf einem Schriftsteller-Kongress in Buenos Aires von ihm erwartet hatten, dass er Hitler-Deutschland verurteilt. Ebenso überfordert fühlt er sich mit den vielen Briefen, die ihm seine geschiedene Frau Friderike (Barbara Sukowa) übergibt, als er sie 1941 in New York besucht. So gerne er den langjährigen Weggefährten, die sich in ihrer Verzweiflung postalisch an ihn wenden, auch helfen würde – ein übermächtiges Gefühl der Ohnmacht lähmt ihn. Geplagt von Gewissensbissen, kann Zweig gleichwohl auch mit seiner jüngeren, zweiten Frau Lotte (Aenne Schwarz) in ihrem letzten Exil im brasilianischen Pétropolis, wo noch seine wohl bekannteste Erzählung „Schachnovelle“ entsteht, nicht glücklich werden.

Mit einem erstklassigen Ensemble und Größen wie Charly Hübner oder Matthias Brandt, die auch kleinere Rollen mit vielsagenden Blicken und Gesten zu ganz großen machen, gelingt Schrader großes Schauspielerkino. Allen voran steht Josef Hader, den man auf der Leinwand bislang vor allem als lakonischen Ermittler Brenner in den schwarzen Krimis Wolfgang Murnbergers kennenlernte. Hier präsentiert er sich in der für ihn eher ungewöhnlichen Rolle des introvertierten, scharfsichtig über Nationalismus reflektierenden Literaten in Hochform. Dank atmosphärisch starker Landschaftsimpressionen, in denen sich der quälende Zwiespalt der Fremdheit im tropischen  Paradies ausdrückt, besticht der Film auch in optischer Hinsicht.