Walter Murch, legendärer Bild- und Ton-Editor und dreifacher Oscar-Gewinner, über seine Arbeit mit Francis Coppola, die Schwierigkeit, mit Tonnen von Material zu hantieren und über die technischen Umwälzungen im Filmschnitt.
Interview – Michael Ranze
Walter Scott Murch, geboren am 12. Juli 1943 in New York City, studierte Kunstgeschichte in Perugia und Paris, danach Film an der University of Southern California. Der erste Film, für den er den Ton schnitt, war Francis Coppolas The Rain People (1969). Es folgten zahlreiche Kollaborationen mit Coppola und zwei mit George Lucas. Für The Conversation (1974) wurde Murch erstmals für den Oscar nominiert, für Apocalypse Now (1979) erhielt er den ersten von drei Oscars – die anderen beiden für The English Patient (1996): Er wurde sowohl für Ton-, als auch für den Bildschnitt ausgezeichnet. Murch war wesentlich an der Rekonstruktion von Orson Welles’ Touch of Evil (1958) und an der Erstellung von Coppolas „Redux“-Version von Apocalypse Now beteiligt.
Wie haben Sie im Filmbusiness begonnen und wie wurden Sie schließlich Editor?
Ich hatte keine Familienverbindungen zum Film oder etwas ähnliches. Ich wuchs in New York City auf, mein Vater war Künstler. Er malte Bilder, stellte in Galerien aus und lehrte auch Kunst. Als ich zwölf Jahre alt war, verliebte ich mich ins Tape-Recording und in die Musique Concrete, so wie sie in Paris von Pierre Schaeffer und Pierre Henri praktiziert wurde. Ich hörte diese Künstler schon in sehr jungen Jahren im Radio. Ich habe mir ein Tonbandgerät angeschafft, nahm Geräusche auf und begann, sie zu schneiden. Nicht dass ich gewusst hätte, was Editing ist. Ich wusste aber, dass man das Band zerschneiden und in verschiedenen Mustern wieder zusammen setzen kann, dass man das Tape verkehrt herum einsetzen oder rückwärts spielen kann. Das war eine wundervolle Entdeckung dessen, was möglich war. Ich wusste damals aber noch nicht, wohin das führen würde. Ich ging dann an die Universität von Perugia und studierte Kunstgeschichte, dann nach Paris, um an der Sorbonne zu studieren. 1963 war das, auf dem Höhepunkt der Nouvelle Vague. Man konnte 1963 in Paris nicht 20 Jahre alt sein und nicht vom Kino infiziert werden. Als ich dann in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, schaute ich mich nach einer Filmhochschule um. Ich bewarb mich und wurde an der University of Southern California mit einem Stipendium angenommen. Das war das, was ich wirklich machen wollte. Dort traf ich unter anderem George Lucas und Francis Coppola. Ich arbeitete dann mit ihnen bei ihren ersten Filmen zusammen.
Ihre Kollegen wurden Regisseure, während Sie sich auf das Editing und Sound Editing spezialisierten. Hatten Sie zu dem Zeitpunkt nicht den Wunsch, auch Regie zu führen?
Nun, ich habe ja einen Film gedreht und auch geschrieben, The Return to Oz, ich habe auch an den Drehbüchern zu Lucas’ THX 1138 und zu The Black Stallion von Carroll Ballard mitgeschrieben. Es ist alles ein Teil der „chance of elements“, die in jede Karriere beim Film einfließen. Francis hatte als Regisseur zunächst zu kämpfen, aber dann wurde The Godfather ein überwältigender Erfolg. George hatte als Regisseur zunächst zu kämpfen, bis er American Graffiti und vor allem Star Wars machen konnte. Alles große Erfolge. Return to Oz hingegen war kein großer Erfolg, und darum habe ich nicht weitergemacht. Ich hatte schließlich eine Familie mit vier Kindern, die ich versorgen musste.
Sie haben 2015 in Locarno den Vision Award Nescens erhalten und sind da ja in guter Gesellschaft, zum Beispiel mit Douglas Trumbull (2013) oder Garrett Brown (2014), der die Steadicam erfunden hat. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnung?
Das ist ein wundervoller Preis. Als jemand, der auf der anderen Seite der Kamera und in einem gewissen Sinn mit und hinter dem Regisseur arbeitet, bin ich es gewohnt, abseits oder besser: im Schatten zu stehen. Es ist ungewöhnlich, dass man einen Preis bekommt für das, was ich tue. Das macht mich sehr glücklich.
Eine der berühmtesten Szenen, an der sie beteiligt waren, ist die Szene von „Apocalypse Now“, wenn die Hubschrauber das Dorf bombardieren. Wie haben Sie diese Szene konzipiert?
Das Charakteristischste an der Szene ist natürlich die Wahl des „Walkürenritts“ von Wagner. Das stand aber schon im Drehbuch von John Milius. Er folgte dabei einer Tradition, dass diese Musik so benutzt wurde wie bei D.W. Griffith und seinem Film Birth of a Nation. Auch wenn es ein Stummfilm ist, wurden die Orchester damals dazu angehalten, Wagners „Walkürenritt“ zu spielen. Die Szene selbst war sehr kompliziert. Es wurde soviel Material gedreht wie für manchen durchschnittlich langen Spielfilm. Allein das Editing nahm sehr viel Zeit in Anspruch und war höchst kompliziert. Wenn ich mich recht erinnere, nahmen sechs Kameras simultan alles auf. Francis’ Technik für diese Szene, wie für viele Szenen, die er dreht, ist, sie nicht in einem auktorialen Stil zu drehen, sondern dem Ereignis eine Bühne zu geben, so als ob es wirklich passieren würde, und es dann wie einen Dokumentarfilm einzufangen. Er inszenierte also diese Schlacht, als würde sie tatsächlich passieren. Jede Person in dieser Schlacht spielt einen bestimmten Part, und das hat er dann mit sechs Kameras, die jeweils zehn Minuten aufnehmen konnten, eingefangen. Er brachte die Dinge ins Rollen und ließ sie geschehen, während die Kameras einfingen, was sie einfangen konnten. Dann ging er wieder auf Anfang, stellte die Kameras in anderen Positionen und begann noch einmal von vorn und wieder von vorn. Die Technik, das zu schneiden, entspricht in etwa dem Schneiden eines Dokumentarfilms. Es gab eine Riesenmenge an Material, und man war nicht sicher, wo etwas zu finden sein würde. Man musste herausfinden, wo eine Szene hingehörte. Das brauchte sehr viel Zeit. Der Sound für diese Szene war nicht minder kompliziert wegen des neuen Formats, dass wir extra für Apocalypse Now erfunden hatten. Das erlaubte den Helikoptern, in Kreisen akustisch durch den Raum zu fliegen, oder die Explosionen auf sehr tiefe Frequenzen herunterzufahren. Etwas, dass man mehr im Bauch spürt, als dass man es wirklich mit den Ohren hört. Es gab 250 verschiedene Soundtracks für diese Szene, die dann alle in die finalen sechs Spuren gemischt werden mussten.
So, wie Sie das erzählen, gehört da sehr viel Disziplin dazu…
Das hat sich natürlich heute durch das Digitale sehr geändert. Für Apocalypse Now gab es allein 250 Stunden an Material für einen zweieinhalbstündigen Film. Das sind 100 Minuten belichteter Film für ein Minute Kinofilm. In den alten Zeiten gab es ein Regel: Elf Minuten von Bildern und Sounds wogen elf Pfund. Für Apocalypse Now bedeutet das: siebeneinhalb Tonnen an Material. Rein physisch ist das eine ganze Menge. Ein einziger Frame wiegt nur wenige Milligramm, und man muss in siebeneinhalb Tonnen nach diesem kleinen Stück Information suchen. Mit der digitalen Technologie gibt es kein Gewicht mehr. Sie wiegt einfach nichts. Für den Dokumentarfilm Particle Fever (2014) hatten wir 500 Stunden Material. An Apocalypse Now arbeiteten drei Editors gleichzeitig, bei Particle Fever nur ich. Das ist der Wandel: Ein einziger Editor kann 500 Stunden schaffen. Vor 35 Jahren war es schwierig für drei Editors, mit halb so viel Material zurecht zu kommen.
Wie hat sich die Arbeit verändert?
Nun, es ist leichter geworden, weil man eine bestimmte Szene schneller findet. Die Herausforderungen sind immer noch groß, denn all die verschiedenen Versionen, die man erstellen kann, sind schon astronomisch.
Würden Sie das Editing, abgesehen von den technischen Herausforderungen, trotzdem als kreativen Prozess beim Filmemachen ansehen?
Das Film-Editing ist etwas Neues in der menschlichen Erfahrung. All die anderen Sparten beim Film – Fotografie, Schauspiel, Kostüme, Theater, Musik – all diese Künste sind wesentlich älter als der Filmschnitt, manche sogar älter als 16.000 Jahre. Film-Editing hingegen ist gerade mal 120 Jahre alt. Wenn etwas Neues entsteht, sind die Leute geneigt, zunächst die technischen Aspekte zu würdigen. Es wird noch etwas Zeit brauchen, bis auch die kreativen Aspekte erkannt werden. Das ändert sich aber mit der Zeit. Natürlich gibt es die technische Seite. Wenn man jemals vor einem Computer gesessen hat und versucht hat, zwei Einstellungen zusammenzufügen, merkt man sehr schnell, wie viel Kunst in dieser Mühe liegt.
Wie viel Freiheit haben Sie beim Schneiden?
Das hängt sehr vom Film ab und natürlich vom Regisseur und wie er den Film angelegt hat. Bei The Conversation gab es eine Menge Freiheit. Francis drehte den Film, und unmittelbar danach war er schon beim Dreh von The Godfather 2. Bevor er ging, sagte er noch: „Walter, ich weiß nicht recht – füg einfach alles zusammen.“ So konzentrierte ich mich zuerst auf die offensichtlichsten Probleme, und das größte war, dass Francis den Set zehn Tage vor Drehschluss verlassen hatte. Etwa zwanzig Minuten des Drehbuchs sind nie gefilmt worden. Wir wussten, dass das möglicherweise Probleme bereiten würde. Doch wir waren entschlossen, den Film zu schneiden und dann zu schauen, wo die Löcher sind, die man dann durch Nachdrehs noch hätte flicken können. In der Tat waren wir aber in der Lage, den Film genügend zu „manipulieren“, so dass wir nur eine Einstellung nachdrehen mussten. Das löste dann das Problem dieser „Rekonstruktion“. Francis kam alle sechs Wochen, um zu schauen, was ich in der Zwischenzeit geschafft hatte. Wir trafen uns für zwei, drei Tage und diskutierten die Arbeit eher allgemein, nicht spezifisch. Dann haute er ab, um irgendwann wiederzukommen. Aus Sicht eines Editors ist das natürlich wundervoll, weil man sehr viel Kontrolle hat. Ich habe aber auch schon an Filmen gearbeitet, wo das nicht der Fall war, wo der Regisseur die ganze Zeit über mit im Schneideraum steht und einem über die Schulter guckt. Und plötzlich sagt er: „Lass uns diese Einstellung um fünf Frames verlängern.“ Man macht mit beiden Seiten Erfahrungen, mit unterschiedlichen Arten des Arbeitens.
Wo wir gerade über „The Conversation“ sprechen: Wie haben Sie den Anfang des Films konzipiert? Es ist ja ein wundervolle Szene, in der die Kamera die Menschen aus der Ferne erfasst und ganz langsam heranholt, während wir auf der Tonspur diese fremden, enigmatischen Geräusche hören.
Visuell war Francis in einem gewissen Sinn von Orson Welles’ Touch of Evil beeinflusst wegen dieser berühmten, minutenlangen Einstellung zu Beginn. Die war natürlich sehr viel komplizierter, weil sich die Kamera bewegt. In The Conversation benutzten wir hingegen eine neue Technologie, einen mechanisch operierenden Zoom, der von einem Computer gesteuert wurde. Man konnte also an einem gewissen Punkt beginnen und dann drei Minuten langsam, aber stetig heranzoomen. Mit der Hand wäre es unmöglich, die Einstellung so fließend und sanft hinzubekommen. Das war Francis’ Idee für den Beginn des Films. Wir legten dann Titel über die Einstellung. Akustisch war es eine offene Palette. Es gab noch keine konkrete Idee, was zu hören sein sollte. So habe ich mich entschieden, zunächst mit der Musik zu beginnen und dann jene paradoxen Geräusche hören zu lassen, die erst später erklärt werden. Diese eigenartigen Geräusche sind das Verstörendste am Soundtrack, und allmählich erst erfährt man, dass die Figur von Gene Hackman sie aufnimmt.
Sie wählen Ihre Projekte sehr sorgfältig aus. Wie sind Sie zu „Particle Fever“ gestoßen, einem Dokumentarfilm über sechs Wissenschaftler, die für den Teilchenbeschleuniger am CERN in Genf arbeiten?
Mein Auswahlprozess hat sich über die Jahre nicht verändert. Manchmal spielt auch der Zufall eine große Rolle. Ich beendete 2011 einen Film mit Philip Kaufman, Hemingway & Gellhorn, und ich sollte einen anderen Film schneiden, doch die Finanzierung für diesen Film kam nicht zustande. Ich wurde dann von Regisseur Mark Levinson zu einem Treffen eingeladen: „Haben Sie irgendwelche Ideen, wie wir den Film verbessern können?“ Ich schaute ihn mir an, und wir diskutierten ihn, dann führte eins zum anderen, und ich ging nach New York, um an dem Film zu arbeiten, eigentlich nur für zwei Monate, die sich allerdings am Ende zu 15 Monaten summierten. Während der Arbeit bekam ich einen Anruf von Brad Bird, dem Regisseur von Tomorrowland, der mich fragte, ob ich seinen Film schneiden wolle. Brad und ich kennen uns seit über 30 Jahren, ich wollte immer schon einmal mit ihm zusammenarbeiten. So ein privater Bezug kann auch eine Rolle spielen. Doch es kommen auch immer viele Dinge dazwischen – mal klappt die Finanzierung nicht, mal passieren komische Dinge, zum Beispiel beim Erstellen des Zeitplans. Es hängt auch viel vom Zufall ab.
Ich würde noch einmal gern zurück kommen auf das viele Material, dass einige Regisseure belichten. Das bedeutet, das Sie den ganzen Tag über unzählige Entscheidungen treffen müssen. Ist es nicht auch bedauerlich, dass sie soviel Film wegwerfen bzw. eine Einstellungen der anderen vorziehen müssen?
Ja, das ist, wie man so sagt, „the nature of the beast“. Fred Zinnemann, mit dem ich Mitte der siebziger Jahre zusammen gearbeitet habe, war sehr restriktiv bei dem, was er drehte. Er schickte 20 Minuten belichteten Film jeden Tag ins Labor – über 80 Tage hinweg. Was immer jetzt dabei herauskommt – vielleicht 30 Stunden Material. Das ist schon sehr beschränkt. Mit dem Digitalen hat sich das, wie erwähnt, sehr verändert. Man muss sich bei jedem Film an die Bedingungen anpassen.
Sind Sie auf einen Film besonders stolz?
Nein – so denke ich nicht. Ich konzentriere mich immer auf das, was ich im Moment tue. Stolz auf etwas zu sein – das passt nicht zu mir. Viele Herausforderungen bei der Arbeit an einem Film sind für die Zuschauer komplett unsichtbar, und das macht für mich den Reiz aus.
Es gibt einige Regisseure, die behaupten, dass ein Film erst im Schneideraum entsteht. Würden Sie dem zustimmen?
Nein (windet sich ein wenig). Im Schneideraum entsteht natürlich die finale Version. Wenn man diese Version einmal abgeschlossen hat, kann man beeinflussen, wie der Film wahrgenommen wird, auch durch Ton und Musik. Es gibt mehrere Aufgaben. Lassen Sie uns von drei Stufen sprechen. Zunächst das Schreiben, dann den Dreh, dann das Editing. Man muss auf jeder Stufe in einem gewissen Sinn den Film neu erfinden. Und man muss sich auf das beziehen, was in der vorangegangenen Stufe erarbeitet wurde, um es quasi zu „übersetzen“ von der einen zu anderen Stufe. Wenn man ein Drehbuch hat, das nur aus wenigen Sätzen besteht, kann der Autor etwas genauer die Visualisierung des Films beschreiben, so dass der Regisseur sich an diese Worte hält und sie in Bilder übersetzt. Und der Editor muss dieses rohe Material nehmen und es in etwas übersetzen, das präzise als Kollision von Bildern und Tönen über die Zeit funktioniert. Es geht also eigentlich um das Übersetzen von einer Sprache in die andere, dabei immer die Essenz des Ursprungs im Auge behaltend.
Hatten oder haben Sie Idole oder Vorbilder, was das Schneiden eines Films angeht?
Ja. Ich werde von allem beeinflusst. Manchmal kann ich beeinflusst werden von etwas, was ich beim Frühstück auf einer Cornflakes-Packung lese. Ich bin offen für alles. Ich spreche von einer Geisteshaltung, die ich – auch wenn es paradox klingt – als „offene Geschlossenheit“ beschreiben möchte. Man muss offen sein für alle Einflüsse um einen herum, sonst ist der Film totgeboren. Auf der anderen Seite muss man in seiner Konzeption geschlossen genug sein, sonst wird man von einer Seite zur anderen geweht und findet das Zentrum nicht. Das Bild, dass ich davon im Kopf habe, ist ein Fallschirm: Wenn er sich zu sehr öffnet, fällt man wie ein Stein und stirbt, wenn er geschlossen bleibt, ebenso. Man braucht eine Hemisphäre in dynamischer Spannung, um zu überleben und nicht zu fallen. Das ist aber nicht die Haltung eines Filmemachers.