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Waltz With Bashir

Waltz With Bashir

Guerillakrieg gegen sich selbst

| Gunnar Landsgesell |
„Waltz With Bashir“  versammelt Erfahrungen israelischer Soldaten aus dem Libanonkrieg. Der Regisseur Ari Folman zeichnet so seine eigenen, verlorenen Erinnerungen auf – in einem, wie er selbst sagt, animierten Dokumentarfilm.

Von den Kameraden verlassen, vom Feind übersehen. So versteckt sich Ronny hinter einem Erdhaufen, bis das Töten zwischen israelischen Soldaten und libanesischen Kämpfern im Hintergrund des Bildes sein Ende findet. Es wird Nacht, und Ronny schwimmt im Meer um sein Leben, über die Grenze nach Hause, nach Israel. Es ist 1982, große Libanon-Offensive Israels, und im animierten Dokumentarfilm Waltz With Bashir tobt die Erinnerung an diese Zeit.

Waltz With Bashir ist eine Gedächtnisrevolte in den expressivsten Farben und Tönen. Der israelische Fernsehregisseur und Dokumentarfilmer Ari Folman tritt mit diesem Film vor allem gegen das eigene Vergessen an. Überrascht darüber, dass er sich an sein Handeln als junger Soldat während des Libanonfeldzugs, der bis nach Westbeirut führte, überhaupt nicht erinnern kann, startet er dieses ungewöhnliche Projekt. Er befragt acht oder neun Mitstreiter in wundervoll persönlich gefärbten Stimmungen und animiert so ein Zeitbild zwischen Angst, Pop und Tod. Zeichner bekamen von Folman ein Storyboard aus Fotos vorgelegt und empfanden in einem lodernden, expressiven Realismus die Interviewsituationen sowie gedankliche Einschübe – Erinnerungen, Träume – nach.

Das Schöne dieses Projekts liegt in der inneren Bewegung des Films und in dessen Ästhetik, eigentlich im Verhältnis beider zueinander. Auch wenn das visuelle Verfahren anders als die Rotoskopie (überzeichnete Fotoaufnahmen wie in Linklaters Waking Life und A Scanner Darkly) funktioniert, vermeint man doch hin und wieder, reale Personen oder Gegenstände (Panzer, Häuser) richtiggehend durchscheinen zu sehen, so reell ist die Wirkkraft des Dargestellten. Die züngelnden Bilder der Träume und Erinnerungen sowie die schlafwandlerisch verlangsamten Bewegungen der ersten Zeit- und Erzählebene verfremden die Realität in zwei Richtungen: Die Gegenwart, aus der der Filmemacher Ari (Folman selbst) die Geschehnisse aufrollt, ist durch das Erlahmen der Erinnerung sediert. Die Ereignisse der Vergangenheit aber erweisen sich als bedrohlich, wie die Kriegssituation, in die junge israelische Soldaten beordert werden, oder auch als verführerisch, weil jugendliches Empfinden hier scheinbar noch nicht durch Prozesse des Vergessens verformt ist. Insgesamt verleiht die Animation Waltz With Bashir eine unheimliche Kraft des Virtuellen, die das Gedächtnis – und damit seine Protagonisten – wie aus einem Schleier schließlich befreit und am Ende in knappe, reale Bilder der ursächlichen Verdrängung selbst führt: zu den Aufnahmen der Opfer des Massakers in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila.

Neben dieser bestechenden ästhetischen Strategie – die wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass sich Erinnerungen zwar fiktionalisieren, aber schlecht dokumentieren lassen – wird die Dramaturgie, insbesondere die innere Bewegung der Erzählung selbst zu einer wirkungsvollen Kraft.

Patchouli und Palmen

Vereinzelung ist im Selbstbild kein Merkmal der israelischen Gesellschaft, auch wenn israelische Medien in der jüngsten Vergangenheit immer wieder von einer Normalisierung/Entsolidarisierung sprechen: 60 Jahre nach der Staatsgründung, zwischen dem traumatischen Nachwirken der Shoa, der Idee des Zionismus und den Erfahrungen der Kibbuzim-Bewegung, wird Einheit und Kollektivität (mit all ihren Schattierungen) symbolisch hochgehalten. Umso stärker ist die Differenz zu Folmans Erzählung, in der junge Israelis als Soldaten nicht nur während der militärischen Operationen völlig überfordert – allein gelassen – erscheinen, sondern zurück im zivilen Leben diese Erfahrung ein zweites Mal erleben. Das Vergessen erweist sich für Ari im Film als eine Art Guerillastrategie gegen das eigene Bewusstsein. Immer wieder setzt er zum Traumbild an, in dem bewaffnete junge Männer nackt aus dem Meer am Strand von Beirut steigen, ohne aber weiter zu wissen. Erst seine Freunde reichern seine gespenstische Vision mit emotionalen Erinnerungen an: der Duft von Patchouli, das Surfen am Palmenstrand unter Bombardements (Vietnam als Referenz), eine Bootsparty, ein Straßengefecht unter dem Porträt von Bashir Gemayel, des eben ermordeten Führers der christlich-maronitischen Milizen im Libanon.

Folman setzt nach und nach sehr unterschiedliche Perspektiven zusammen und führt so aus einem Erleben der Vereinzelung zu einer kollektiven Wahrnehmung. Seine Erzählungen des Krieges von unten stoßen so eine generationsübergreifende Erkenntnis- und Wahrheitsproduktion an, die schließlich im finalen, realen Bild der Toten in den Flüchtlingslagern gipfelt. Trotz der bis heute umstrittenen Hintergründe des Massakers fokussiert Waltz With Bashir nicht primär auf die politische Frage der Verantwortung – Israels damaliger Verteidigungsminister Ariel Sharon kommt hier als duldende Instanz ganz nebenbei vor – sondern vielmehr auf das Erleben der In-den-Krieg-Geworfenen selbst. Wer fühlt sich schuldig und warum? Und obwohl einige der im Film angerissenen Skizzen beim Betrachter fürchterliche Bilder evozieren, produziert der Film selbst durch den Prozess der Veräußerlichung dieser vergrabenen, persönlichen Erinnerungen eine unverhoffte Wärme. Wie diese Figuren miteinander sprechen (alles Ausschnitte aus realen Interviews) ist nicht dem Jargon des Krieges entliehen, sondern einer Reflexion fern der medial und politisch transportierten Rhetorik des Nahostkonflikts geschuldet.

Der Titel des Films bezieht sich nicht nur auf eine Szene im Straßenkampf von Beirut, wo ein israelischer Soldat mit einem MG unter dem Wandgemälde Gemayels im Kugelhagel der Milizen des Führers „tanzt“, während die Bewohner der Häuser von ihren Balkonen dem Geschehen wie einem surrealen Spektakel folgen. Der Walzer mit Bashir ist aber auch eine sarkastische Anspielung auf die vorübergehende Allianz der israelischen Politik mit den Phalangisten in einem Krieg, in dem zuweilen Freund und Feind so unberechenbar wechselten, dass die Fronten auch keiner religiösen oder ethnischen Logik mehr folgten. Aus dieser Irrationalität des Krieges erwächst bei Folman eine individuelle Schuld der Schuldlosen, die sich in einer Art Psycho-Rätsel zu einem kollektiven Gesellschaftsbild formt.