Steven Spielberg hat es wieder getan: „War Horse“ ist routiniert-unterhaltsames Hollywood-Gefühlskino auf hohem Niveau, doch statt nötiger Charaktertiefe überwiegen allzu oft Pathos und Oberflächlichkeit. Immerhin gibt es hier wieder einen Star, der mitunter sogar E.T. den Rang ablaufen könnte: Joey, das Kriegspferd.
Ein Wort der Vorwarnung: Es gibt eine Szene in Steven Spielbergs War Horse, die so ungeniert lächerlich daherkommt, dass es fast schon an Dreistigkeit grenzt. Joey, unser vierbeiniger, wiehernder Held, muss seinem sichtlich erschöpften und zunehmend lahmenden Buddy Topthorn dabei zusehen, wie er von den deutschen Truppen dazu angetrieben wird, eine Feldkanone durch Modder und Schlamm bis zum Gipfel eines elendig hohen Berges hinaufzuziehen. Joey weiß, dass Topthorn am Ende seiner Kräfte angelangt ist. Angst und Mitgefühl sind ihm in die kugelrunden Pferdeaugen geschrieben. Kurzentschlossen bietet sich der stramme und überdurchschnittlich gut gebaute Joey mittels international und universal verständlicher Pferdegesten als Ersatz an. Der befehlshabende deutsche Offizier vor Ort, selbst kein Tierfreund, lässt sich nur mürrisch auf den Handel ein. Als die erste Kugel von der Bergspitze aus der Kanone feuert, reiben sich Joey und Topthorn noch einmal glücklich vereint die Nasen, bevor Letzterer den Strapazen des Krieges bald endgültig erliegen wird.
Klassischer Spielberg
Nun kann man Steven Spielberg nur schwer etwas übel nehmen, und es ist wohl unnötig zu erwähnen, dass man, kaum dass einem die plumpe Komik der Szene bewusst wird, bereits zum nächsten Taschentuch greift. Denn nach Spielbergs kurzem Ausflug in die neuen 3D-Animationswelten mit The Adventures of Tintin, ist War Horse tatsächlich wieder ganz klassisches, familientaugliches Hollywoodkino mit überdurchschnittlichem Emotionsgehalt und inszeniert nach den hohen Qualitätsansprüchen, die der Regisseur seit nahezu 40 Jahren unbeirrt selbst an sich stellt. Zudem ist die Geschichte, die auf dem 1982 erschienenen Kinderbuch des britischen Schriftstellers Michael Morpurgo basiert, trotz Kriegsschauplatz mit Kanonen und Menschenschlachten, in erster Linie ein Märchen, das zweifelsohne vieles von dem zu bieten hat, was das Spielberg’sche Universum ausmacht: eine ungewöhnliche, unbeirrbare und jegliche Grenzen überwindende Freundschaft, der Wunderglaube, ein Appell an Mut, Humanität und Treue, und nicht zuletzt der große historische Rahmen.
Betrachtet man den Film allerdings im Vergleich zum Gesamtwerk des Regisseurs, ist War Horse, um es mal salopp zu sagen, ein mittlerer Spielberg: unterhaltsam, rührend und mitunter atemberaubend in Szene gesetzt, aber auch routiniert, harmlos und streckenweise extrem konventionell. Das mag zum Teil daran liegen, dass sich Spielberg, der sich Hals über Kopf in das Projekt verliebte, nachdem er in London die sensationelle Bühnenfassung gesehen hatte, bei allem guten Willen ein bisschen zu sehr auf den sentimental tiefenwirksamen Kern der Geschichte verlässt, ohne dem Ganzen die übliche eigene Magie zu verleihen. „Ich wollte die einfache Struktur der Story beibehalten“, erklärte Spielberg seinen simplifizierten Ansatz unlängst im Interview mit dem Filmmagazin „Empire“. „Ich wollte den Stoff nicht überladen. Ich denke, es gibt da genügend Drama und Melodrama allein in den Grundzügen der Geschichte, und Richard Curtis gab dem Ganzen eine wunderbare subtile, britische Note. Das hätte sonst ganz leicht ins Pathetische abrutschen können. Nein, wenn Sie mich fragen: Die Grundzüge der Geschichte sind felsenfest.“
Der Schauplatz des Geschehens ist zunächst einmal Devon, Südengland. Erzählt wird – in Morpurgos Kinderbuchvorlage interessanterweise übrigens aus der Sicht des Pferdes – die außergewöhnliche Freundschaftsgeschichte zwischen dem Farmerjungen Albert (Jeremy Irvine) und seinem so temperamentvollen wie intelligenten Hengst Joey. Als Alberts Vater das eigenwillige Geschöpf aus Geldnöten zu Beginn des Ersten Weltkrieges an die britische Armee verkauft, meldet sich Albert, obwohl erst 16, freiwillig zum Kriegsdienst, um sich auf die Suche nach seinem Pferd zu machen. Natürlich finden Albert und Joey am Ende wieder zusammen, doch was sie getrennt voneinander inmitten der Schrecken des Krieges erleben, führt den Zuschauer nicht nur in einzelnen Episoden von den Briten zu den Deutschen, zu den Franzosen und wieder zurück zu den Briten, sondern grenzt nicht selten schlichtweg an Wunder.
Idealisierte Welt
Tatsächlich muss jedoch erst der Krieg ausbrechen, müssen Albert und Joey auf unbestimmte Zeit getrennte Wege gehen, bis der Film und sein Regisseur überhaupt erst einmal zueinander finden und der Zuschauer das, was er auf der Leinwand miterlebt, vage in Verbindung setzen kann mit Spielbergs frühen Meisterwerken wie etwa E.T.: The Extra Terrestrial (1982) und Saving Private Ryan (1998), deren Handlungsstrukturen mitunter ähnliche Motive aufweisen, wie sie der mittlerweile 65-jährige Regisseur in War Horse wieder aufgreift. Nur scheint es Spielberg diesmal, ähnlich wie den Machern der seit Jahren dauererfolgreichen Theaterinszenierung, in erster Linie vielmehr um die Verführungskraft des Visuellen zu gehen, als darum, das Wesen der Geschichte zu erfassen. Das Problem ist zudem, dass er dafür keine kongenial designten lebensgroßen Pferdemarionetten zur Hand hat, wie sie auf der Bühne zum Einsatz kommen, sondern lediglich auf aufwändige Computergrafik und auf übertrieben idyllische, gekünstelte Bilder vertraut, die allzu oft und zu schnell in Leere laufen. War Horse zeigt über weite Strecken eine idealisierte Märchenwelt, sei es der von übernatürlich grellen Sonnenauf- und Untergängen gesegnete britische Landstrich, in dem Albert und Joey zu Hause sind, oder die französische Provinz, in der sich Joey und Topthorn von einem liebenswürdigen Großväterchen und seiner neunmalklugen Enkelin zwischen Marmelade und Einweckgläsern vor den deutschen Truppen verstecken lassen. Die wenigen Szenen und Bilder, die beeindrucken und im Gedächtnis bleiben, sind demgegenüber verhältnismäßig spärlich gesät. Aber spätestens, wenn Joey in einem atemberaubenden Tempo des Nachts übers Niemandsland galoppiert, um am Ende in einem Wirrwarr von Stacheldraht gefangen, blutend und sichtlich geschunden am Boden zu enden, weiß man zumindest für den Moment wieder ganz genau, dass es sich trotz Schmalz und Pathos immer noch um einen echten Spielberg handelt.
Der Trumpf des Films ist allein Joey. Er ist nicht nur der wahre Held des Films, er ist sein einziger wirklicher Star, ein Star, der selbst dem großen Meister der Emotionen diesmal an Spitzfindigkeit und Raffinesse den Platz streitig zu machen droht. Und ungeachtet der Tatsache, dass Spielberg seit einem Reitunfall als Kind den kraftvollen Vierbeinern privat grundsätzlich eher skeptisch gegenübersteht, lässt er Joey in War Horse niemals im Stich. Ganz im Gegenteil: Gegenüber dem stolzen Ross haben es selbst ausgefuchste britische Schauspieler wie Peter Mullan und Emily Watson schwer, sich zu behaupten. Newcomer Jeremy Irvine dagegen schlägt sich äußerst wacker in der Rolle des tapferen Sohnes, der erst die Farm des Vaters und schließlich seinen besten Freund zu retten versucht. Aber es hilft alles nichts: Wenn es den „PATSY“ („Picture Animal Top Star of the Year“) noch gäbe, der in Hollywood von 1951 bis 1986 vergeben wurde, dann hätte War Horse zumindest einen Oscar-Ersatz ganz sicher in der Tasche.
Trotz aller Einschränkungen ist War Horse dennoch ein bemerkenswerter Film, denn Steven Spielberg schafft es, der Kinderbuchvorlage immer noch mehr abzugewinnen, als es den meisten anderen Regisseuren, die derzeit in Hollywood aktiv sind, gelungen wäre. Und doch möchte man an seinen Unzulänglichkeiten manchmal verzweifeln. Zumindest kann man nicht leugnen, dass Spielberg es sich mit seinem Inszenierungsgeschick ein wenig zu leicht macht, dass seine vermeintlich ingeniösen visuellen Kniffe oft auch nur bekannten Mustern folgen und dass er zu sehr an der Oberfläche seiner Figuren bleibt. Am Ende ist Joey vielleicht doch auch nur eine Figur in einer Welt, deren einziger Star Steven Spielberg bleibt.