Catalina Molina und Florian Pochlatko legten mit „Unser Lied“ (2012) und „Erdbeerland“ (2013) starke Kurzfilme und Visitenkarten vor. Was passierte danach? Und wann kommt das Kinodebüt? Die Nachwuchsinitiative Cinema Next, die dieses Jahr ihr Zehnjahresjubiläum feiert, sprach mit den Filmtalenten für das soeben erschienene Buch „10 Jahre 10 Filme“ über Erwartungen, Hürden und Chancen in einer Filmlandschaft, die den Bedürfnissen junger Filmschaffender offenbar nicht nachzukommen vermag.
Ein Blick zurück: Wie gut altern für euch „Unser Lied“ und „Erdbeerland“? Was schätzt ihr an euren Filmen, was würdet ihr heute anders machen?
Catalina Molina: Ich glaube, dass Unser Lied „thematisch“ schon gut altert, weil es für Alleinerziehende – wie im Film Coni mit seiner dreijährigen Tochter – in den letzten Jahren nicht unbedingt einfacher geworden ist. Und der Blick auf ein bestimmtes Milieu oder eine Generation bleibt, denke ich, auch Jahre später interessant. Rückblickend finde ich es schade, dass ich versucht habe, einen kompletten Storybogen in 30 Minuten unterzubringen. Dadurch hatte ich wenig Zeit, mich auf die kleinen Momente zu konzentrieren, im Alltag zwischen Coni und seiner Tochter. Das allein hätte für einen Kurzfilm wohl auch gereicht.
Was die Umsetzung betrifft, haben wir ja auf Super-16-Film gedreht, das wäre heute sehr schwierig und ändert viel an der Arbeitsweise. Mit digitalen Kinokameras ergeben sich automatisch ein ganz anderer Stil, ein einfacheres und genaueres Arbeiten und die Möglichkeit, Einstellungen öfter zu wiederholen. Deshalb ist die Frage, was ich heute anders machen würde, nicht so einfach zu beantworten. Dazu kommt, dass fast zehn Jahre vergangen sind und ich inzwischen fünf Fernsehspielfilme gedreht habe – da lernt man schon ein bisschen was dazu. Was aber diesen Film so besonders für mich macht, ist, dass mein Bruder und meine Nichte die Hauptrollen übernommen haben. Das hat uns auf einer neuen Ebene zusammengeschweißt, dadurch bleibt er immer ein sehr persönlicher Film für mich.
Florian Pochlatko: Ich muss sagen, ich bin nach wie vor sehr, sehr, sehr stolz auf diese Arbeit. Erdbeerland wird seit fast zehn Jahren immer noch durchgehend gespielt und ist mindestens zweimal im Jahr irgendwo im Kino zu sehen. Er findet immer noch Menschen, die sich von dem Film in den Arm genommen fühlen, und das ist das Schönste, was einem Filmemacher passieren kann.
Man selbst denkt ja auch zehn Jahre später darüber nach, wie was in welcher Szene anders wirken würde, hätte man es anders gemacht. Aber nein, das war einfach genau das, was wir zu dieser Zeit zu sagen hatten, und wir haben das in einem sehr, sehr emotionalen und intensiven Prozess herausgearbeitet, against all odds. Wir haben alle sehr gekämpft für diesen Film, und was er sagt, gilt irgendwie immer noch, obwohl ich jetzt ganz anders über das Leben denke und heute mit einem Film eine andere emotionale Momentaufnahme in die Welt schicken würde.
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Was meinst du mit „against all odds“? Welche Hürden gab es für dich damals?
FP: Das war ja mein erster und einziger Film auf der Filmakademie. Er wurde von fast allen Förderstellen abgelehnt, und die Professoren der Uni waren auch dagegen, dass wir den Film in der Form machen. Produktion fand ich auch keine. Michael Haneke hat dann aber trotzdem gemeint: ‚Lasst den doch mal probieren.‘ Wir haben uns dann einfach die schleißigste Kamera der Uni ausgeborgt, die niemand haben wollte, und einfach drauflosgefilmt. Und so lange weiter gemacht, bis ein cooler Film entstanden ist.
Seit eure Filme herauskamen, sind jetzt einige Jahre vergangen. Hattet ihr, als Studierende der Filmakademie Wien, nach „Unser Lied“ und „Erdbeerland“ einen Plan und verlief der so, wie ihr euch das vorgestellt hattet?
FP: Nach Erdbeerland ist sehr, sehr viel passiert. Ich habe innerhalb eines Wimpernschlags die gesamte Branche in all ihren Facetten, all ihren Höhen und Tiefen kennengelernt und gleichzeitig das Gefühl, wie es ist, wenn sich alle Augen auf einen richten, alle darauf warten, was man als Nächstes macht und was sich dadurch auch im persönlichen Umfeld ändert. Das alles, zusammen mit dem Entschluss, erst wieder eine persönliche narrative Arbeit zu machen, wenn ich was zu sagen habe und das auch will, hat mich dazu bewogen, all dem den Rücken zu kehren, andere Dinge zu machen, zu experimentieren und zu schauen, wo’s mich hin verschlägt.
Was hast du dann konkret gemacht?
FP: Ich habe dann begonnen, Bildende Kunst und Kulturwissenschaften zu studieren. Habe versucht, im sozialen Bereich zu arbeiten und dort meine Skills anzuwenden, und ich habe sehr viel in der Musikbranche gearbeitet und versucht, Musiker und die Seelen ihrer Kunst durch Musikvideos zu porträtieren. Ich bin einfach herummäandert und -gestreunt, bis ich das Gefühl hatte: „Ja cool! Jetzt mache ich wieder einen Film.“ Und dann ist man erst einmal mit all den Hürden, Schwellenhütern, Regeln und Konformismen beschäftigt, die das österreichische Fördersystem so mit sich bringt. Man muss wahnsinnig viel Zeit investieren, das alles zu durchblicken und zu verstehen, wie das funktioniert.
Aber bereits 2015 hast du als BKA-Startstipendiat bei der Präsentation der Projekte, an denen ihr gerade gearbeitet habt, aus einem Langfilm-Drehbuch lesen lassen; bei der Viennale 2019 hast du uns erzählt, dein erstes Kinospielfilmprojekt sei praktisch startklar für den Dreh. Was ist mit diesem Projekt oder diesen Projekten passiert?
FP: Naja, ich habe sehr intensiv über mehrere Jahre an einem Filmprojekt gearbeitet, das mir sehr am Herzen lag. Kurz bevor es losgehen konnte, ist Corona ausgebrochen und hat das Projekt verunmöglicht. Das war Segen und Fluch zugleich. Weil es einfach einerseits Mut erfordert, nach vier harten Jahren, in denen man mit Herz, Leib und Seele darum gekämpft hat, diesen Film machen zu können, einfach zu sagen: „Okay, fuck it, scheiß drauf, machen wir halt was anderes.“ Gleichzeitig nimmt es einem einfach auch den Druck, den es mit sich bringt, über so einen langen Zeitraum für eine emotionale, persönliche und künstlerische Arbeit zu stehen.
Das ist aber für junge Menschen der einzige Weg momentan, Kinolangfilme zu machen in Österreich: eine sehr lange Vorbereitung, in vorgefestigten Bahnen und mit wenig Spielraum, sich auszuprobieren oder in der Form zu experimentieren. Ich hatte den Vorteil, dass ich zu dem Zeitpunkt dann schon sehr genau wusste, was innerhalb dieser strukturellen Beschaffenheit eher möglich ist und was nicht, und hab’ dann sehr schnell ein neues Projekt so weit entwickeln können, dass ich sehr guter Dinge bin und voller Hoffnung, das heuer umsetzen zu dürfen.
Wie war das bei dir, Catalina? Hattest du einen Plan nach „Unser Lied“?
CM: Einen Plan hatte ich in diesem Sinne nicht. Ich wollte immer Geschichten erzählen und habe an unterschiedlichen Ideen gearbeitet. Als ich dann mein erstes Kinofilmprojekt in Entwicklung hatte, kam das Leben dazwischen, und ich wurde schwanger. Dann habe ich beruflich die Bremse gezogen, weil ich mich in dieser neuen Situation einmal zurechtfinden musste. Etwas später kam das Angebot vom ORF, einen Landkrimi zu realisieren, und ich sagte zu.
Das war 2015. Wie kam es denn zu deiner Zusammenarbeit mit dem ORF?
CM: Ich wurde direkt von Landkrimi-Erfinder und ORF-Redakteur Klaus Lintschinger angefragt. Es war ein Anruf, in dem er mir erklärte, dass er für dieses damals ganz neue Projekt Regisseurinnen und Regisseure suche und er dafür auch gerne Regienachwuchs hätte. Wir haben uns dann ein paar Mal getroffen und uns über Filme, Stile und Inhalte ausgetauscht. Es ging in diesen Treffen wohl auch darum, abzuklären, ob ich mir dieses Projekt zutraue und eine Vision dazu habe – immerhin hatte ich bis dahin auch noch nie einen Krimi realisiert. Ich bin ihm heute noch für diese Chance dankbar, die mir viele Türen geöffnet hat.
Seither hast du noch weitere Filme für den ORF gemacht. Was schätzt du an der Arbeit an Fernsehprojekten?
CM: Es fühlte sich gut an, meinen ersten Film außerhalb der Filmakademie in einem geschützten Rahmen zu verwirklichen, wo schon vieles feststand, wie das Drehbuch, die Produzenten und der Drehzeitraum. Ich musste niemanden von diesem Stoff überzeugen und nicht für die Umsetzung kämpfen, wie das bei Kinofilmen normal ist. Dieser Aspekt gefällt mir besonders gut an der Arbeit fürs Fernsehen. Eine Anfrage ist immer konkret und real, man kann sein Jahr planen und sich organisieren, was für das Familienleben sehr wichtig ist. Und: Die persönliche Selbstausbeutung bleibt im überschaubaren Rahmen. Zum Glück konnte ich in den letzten Jahren unter vielen Projekten die für mich spannendsten auswählen, und dadurch war es einfach, mich für „fremde“ Bücher zu begeistern und dieselbe Freude und Motivation zu entwickeln, wie ich sie bei meinen eigenen Stoffen hatte. Hinzu kommt das ziemlich tolle Gefühl, dass nicht nur ein paar Tausend, sondern gleich Millionen Menschen deinen Film zur gleichen Zeit ansehen, wenn er ausgestrahlt wird.
Bessere Planbarkeit hinsichtlich Familienleben, keine Selbstausbeutung, mehr Publikum auf der TV-Seite. Lange Entwicklungszeiten, wenig Freiraum und keine Planbarkeit auf der Kino-Seite. Das klingt so, als ob man als junge Filmemacherin oder junger Filmemacher zunächst versuchen sollte, fürs Fernsehen zu arbeiten, und nicht, Kinofilme zu realisieren.
FP: Es gibt ganz einfach kein Fördersystem für jüngere, heranreifende Filmschaffende in Österreich. Die Idee des Werkstattprojekts ist definitiv als gescheitert anzusehen und hinterlässt ein Vakuum von zehn Jahren, in das Menschen nach der Universität gestoßen werden und erst wieder, statistisch erwiesen, mit Ende dreißig, also zehn Jahre später, die Möglichkeit haben, einen Film zu machen. Bis dahin ist man aber mit frischen und progressiven Ideen schon so oft zurückgewiesen worden, dass die Luft draußen ist, sich alles verkrampft und man auf Nummer sicher geht. Und „Nummer sicher“ ist der Feind von guter Kunst. Wobei sich gute Kunst und Publikumserfolg natürlich in keinster Weise ausschließen!
Catalina, wie siehst du das? Gibt es denn für junge Talente beim Fernsehen genügend Chancen oder bist du eine Ausnahme?
CM: Ich fürchte, dass es leider nicht genügend Möglichkeiten gibt. Nur alle paar Jahre hört man davon, dass eine Debütantin oder ein Debütant einen Film fürs Fernsehen realisieren darf. Ich finde es sehr schade, weil es eine riesige Chance fürs Fernsehen wäre, frischen Wind reinzubringen. Natürlich möchte ich aber trotzdem meinen eigenen Kinofilm realisieren, wo ich weder an ein Genre noch an eine minutengenaue Laufzeit gebunden bin und wo man nicht nur 21 Drehtage hat, sondern hoffentlich mehr Zeit, um Dinge auszuprobieren und entstehen zu lassen und man von vornherein eine anspruchsvollere und aufwendigere Umsetzung planen kann. Das ökonomische Korsett der Fernsehfilme kann zermürbend sein, wenn man sehr hohe Ansprüche an sein Werk hat. Das ist eben die Kehrseite der Medaille. Ich arbeite schon seit einigen Monaten an einer Geschichte über Leihmutterschaft in der Ukraine. Mal sehen, ob was daraus wird – ich bin wie immer hochmotiviert.
Was läuft denn schief bei der Kinofilmförderung, Florian? Was müsste sich ändern?
FP: Jeder wundert sich plötzlich, national und international, warum der österreichische Film so dermaßen auf der Stelle tritt, eine Dekade nach dem viel besungenen österreichischen Filmwunder. Die Antwort liegt unter anderem darin, dass einer nachwachsenden Generation einfach nicht die Möglichkeit gegeben wird, ihren eigenen Weg zu verfolgen, sich zu entwickeln und inhaltlich unbequem zu sein. Stattdessen wird man mit kulturimperialistischen Methoden in den Status quo der förderpolitischen Agonie gezwungen. Dabei wäre es ohne Verdrängungskampf und Schlammschlacht relativ simpel, ein angenehmeres neues Modell zu entwickeln, und das haben wir ja eigentlich auch schon gemacht.
Was meinst du mit „kulturimperialistischen Methoden“?
FP: Man hat das Gefühl, dass versucht wird, die Kinolandschaft top down in bestimmte Richtungen zu lenken, die vielleicht nicht unbedingt viel damit zu tun haben, welche Geschichten Angehörige einer erfolgreichen jungen Szene erzählen wollen oder müssen. Das führt zu absurden Situationen wie z. B., dass manche der international erfolgreichsten Absolventinnen und Absolventen einer der besten Filmuniversitäten der Welt bis zu 14 Mal mit Stoffen abgelehnt wurden, weil sie nicht den Vorstellungen der Förderstellen entsprechen. Es ist auch schon vorgekommen, dass, wenn schwierigere Filme durchkommen, nur unter der Bedingung gefördert wurde, dass die Hauptdarstellerinnen und –darsteller nach den Vorstellungen der Förderer umbesetzt werden.
Und wie könnte so ein von dir angesprochenes „angenehmeres neues Modell“ ausschauen?
FP: Derzeit muss man durch ein System, das aus unterschiedlichen Gremien besteht, die alle eine andere Vorstellung davon haben, wie die österreichische Kinolandschaft auszusehen hat. Zudem klafft im österreichischen Fördersystem eine Lücke zwischen den kleineren expliziten Kunstfilmförderungen und den größeren Förderstellen. Da liegt genau eine Million Euro als Schwelle dazwischen, in der junges progressives Filmschaffen möglich wäre, das a) mit weniger Budget auskommen und b) dadurch auch leichter durch die Fördergremien kommen könnte, die bei radikalen Stoffen meistens vorsichtig agieren. Das ist bei so hohen Summen zwar verständlich, kommt aber einer Form von Kulturzensur gleich und erstickt jede mögliche Neuentwicklung und jedes Experiment schon im Keim.
Hätte man da eine Zwischenstufe in der Filmförderung, könnte man den Output an jungem, verspielterem Kino verdoppeln und gleichzeitig neue Stimmen einfach mal machen lassen und so den Druck rausnehmen. Als junger Absolvent halbe Dekaden an Stoffen wieder und wieder zu feilen und mit diesen an den jeweils anderen Gremien abzublitzen, bis sie sich selbst weichschleifen, ist einfach kein guter Nährboden für Entwicklung. In dieser Zwischenstufe könnten sich junge Menschen mit ihren Langfilmstoffen beweisen und so vielleicht den Gremien zeigen, dass diese Ideen, die als seltsam, verschwurbelt oder trauriger Arthouse abgekanzelt werden, vielleicht doch nicht so schlecht sind. Ich sehe die Aufgabe meiner Generation sehr stark darin, so weit daran zu arbeiten, strukturell etwas zu ändern, dass es nächsten heranwachsenden Generationen wieder einfacher gemacht wird, auch künstlerisch eigene Wege zu verfolgen.
Catalina, wenn wir bei Zukunftsfragen bleiben: Ist die bereits angerissene Vereinbarkeit von Familie und Beruf ebenso Thema? Wie ist da deine persönliche Meinung dazu, als Filmemacherin, die ja vielleicht nicht nur fürs Fernsehen arbeiten möchte?
CM: Das hängt natürlich stark mit der jeweiligen Lebenssituation und Planung zusammen, aber ich treffe schon immer wieder Kolleginnen und Kollegen, die mich fragen, wie ich es unter einen Hut bekomme, zwei Kinder großzuziehen und daneben Filme zu drehen. Es ist schade, wenn Menschen darauf verzichten, Kinder zu bekommen, aus Angst, sie könnten beruflich untergehen. Der Druck ist sehr groß, deshalb ist es schon ein wichtiges Thema, wie wir es in Zukunft schaffen können, sowohl in der Branche Fuß zu fassen als auch, wenn gewünscht, eine Familie zu gründen. Für Frauen ist der Druck noch größer, weil die biologische Uhr tickt – und das zu einer Zeit, wo meist die Karriere losgeht. Es muss also ein Plan her, wie Frauen nach der Karenz fix wieder in Projekte eingebunden und bevorzugt werden, damit keine zu lange Durststrecke entsteht und damit die Chance, wieder zu arbeiten, nicht immer kleiner wird.
Letzte Frage: Was würdet ihr jungen Filmschaffenden, die an ähnlicher Stelle stehen wie ihr damals mit „Unser Lied“ und „Erdbeerland“ und vielversprechende Visitenkarten vorlegen, für ihre weitere Entwicklung raten?
CM: Sammelt Erfahrungen, wo immer ihr könnt, denn planen kann man sowieso nichts! Augen auf bei der Projektauswahl, und baut euch ein gutes Team auf, dem ihr vertraut.
FP: Stay strong!