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Wer hat Angst vor Braunau?

Filmstart

Wer hat Angst vor Braunau?

| Pamela Jahn |
Vergangenheitsbewältigung mit persönlichem Touch

Braunau, das klingt schon rechts. Faschismus, Rassismus, Judenhass, all das schwingt mit, wenn man den Namen der kleinen Stadt am Inn hört, in der Adolf Hitler am 20. April 1889 zur Welt kam. Gelebt hat seine Familie kaum drei Jahre in dem beschaulichen Ort. Zurückgekehrt ist er nur ein einziges Mal. Das war 1938, als er beim Anschluss von Österreich an das Dritte Reich die Grenze überschritt – sein Geburtshaus, so heißt es in Günter Schwaigers Film, hat Hitler beim Vorbeifahren noch nicht einmal angeschaut.

Trotzdem klebt die dunkle Vergangenheit wie Teer an Braunau. Immer wieder kommen ein paar treue „Anhänger“ in die Stadt, um mit einem Blumenkranz oder in SA-Uniform ihre Verbundenheit zu bezeugen. Die Bewohner haben gelernt, auf ihre Weise damit umzugehen. Manchmal genügt ein Eimer kaltes Wasser, um die verirrten Verehrer zu vertreiben.

Schwaiger hat sich dem befleckten Ort und seiner Geschichte angenommen. Seine Intuition, sagt er, hätte ihn zu Hitlers Geburtshaus geführt. Im Film rekonstruiert er die Etappen seiner Recherche rund um die Nachnutzung des Gebäudes – von der ersten Zugfahrt bis hin zu einer brisanten Entdeckung am Schluss. Dazwischen rückt Wer hat Angst vor Braunau? nicht nur das Haus in den Blick. Schweiger spricht mit den Menschen vor Ort, jung und alt. Eine Frau, die eigentlich aus Guatemala stammt, erklärt, dass die Stadt im Laufe der Jahre versucht hat, vieles gut zu machen. Seit 1989 steht ein schwerer Mahnstein vor dem Haus. Und man merkt schnell, die Braunauer selbst sind sich ihrer Verantwortung im Prozess der Vergangenheitsbewältigung durchaus bewusst.

Schwieriger verhält es sich mit den Behörden, die seit 2016 das Sagen haben, was mit Hitlers Geburtshaus geschehen soll. Erst wurde ein großer Umbau geplant, als könnte eine neue Fassade die Symbolkraft der maroden Gemäuer übertünchen. Dann hieß es, dass zukünftig die Polizei in das Haus einziehen würde. Sogar der Mahnstein sollte verschwinden. Die Entscheidung rief unter der Bevölkerung blankes Entsetzen hervor.

Auf seiner Suche nach Antworten richtet Schweiger die Kamera im zweiten Teil des Films auf die eigenen Eltern. Gefilmt hat er sie 2008, wie sie sich seinen Fragen über ihre persönlichen Erinnerungen an die NS-Zeit stellen. Diese Szenen sowie die Begegnung mit der im Vorjahr mit 100 Jahren verstorbenen Sozialdemokratin Lea Olczak gehören zu den bewegendsten Momenten im Film. Danach wirkt Schweigers explosive Schlussthese, dass die Kommission „wissentlich oder unwissentlich im Sinne Hitlers“ entschieden hätte, indem sie dem Geburtshaus eine „administrative Nutzung“ zuschrieb, etwas sehr abrupt. Aber sie erfüllt ihren Zweck: Mit dem Ende des Films beginnt eine neue Diskussion.