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Westworld – Auf zu neuen Welten

Auf zu neuen Welten

| Pamela Jahn |

Während die zweite Staffel von „Westworld“ ihrem nächsten vorläufigen Etappen-Ende entgegenfiebert, ist die Fortsetzung der erfolgreichen utopischen Sci-Fi-Serie bereits in der Planungsphase. Die Erfinder Jonathan Nolan und Lisa Joy im Gespräch.

In Zeiten allgemeiner Serienabhängigkeit ist ein Finale immer auch ein Anfang. Schließlich kommt heutzutage kaum mehr  ein TV-Mehrteiler mit nur einem Leben aus, und so verwundert es kaum, dass auch die Macher der HBO-Erfolgsserie Westworld bereits vor der Erstausstrahlung der Pilot-Episode mit der Planung und Schreibarbeit der heute zu Ende gehenden zweiten Staffel begonnen hatten: „Man sieht es hoffentlich nicht, aber uns war daran gelegen, möglichst schnell an die erste Staffel anzuschließen,“ gibt Produzent und Serienmacher Jonathan Nolan zu. „Dass es trotzdem achtzehn Monate gedauert hat, ist in erster Linie dem Aufwand und der Größenordnung der Serie geschuldet. Aber für’s Schreiben war es ein Segen, dass wir nicht davon beeinflusst waren, wie die Zuschauer die Serie aufnehmen oder wie die Medien darauf reagieren würden. Wir hatten schon damals eine recht klare Vorstellung davon, dass wir den Androiden im Laufe der zweiten Staffel mehr Verantwortung und mehr Spielraum übertragen würden, aber die Herausforderung war natürlich, wie sich das im Rahmen von zehn Episoden möglichst spannend realisieren ließe.“

Darüber hinaus dürfte sich den Autoren zunächst die große Frage gestellt haben: Was nun? Immerhin war Robert Ford (Anthony Hopkins), der Initiator des Vergnügungsparks und Erfinder aller dort erlebbaren Narrative, zum Höhepunkt des ersten großen Showdowns von einer seiner eigenhändig geschaffenen Kreaturen ins Jenseits befördert worden und hatte seinen Themenpark der Zukunft im Chaos zurückgelassen. Vielleicht erwies sich aber genau dieser Umstand letztlich als der cleverste Schachzug, mit dem sich Jonathan Nolan und Lisa Joy für den weiteren Verlauf der Handlung letztlich neuen Spielraum, frischen Elan und Rückenwind verschaffen konnten, angesichts der neuen Rollenverteilungen, Charakterentwicklungen und Konfliktverschiebungen, allerdings ohne ihre absichtsvoll verwirrtes Publikum mit weiteren allzu übermäßig komplizierten Plot-Verwicklungen zu überladen: „Diesmal haben wir die verschiedenen Zeitebenen weniger verdeckt gehalten,“ so Joy, der es zum einen darum ging, den Zuschauern hier und da eine bessere Orientierungsmöglichkeit zu geben, sowie einzelne Figuren mehr in den Vordergrund zu rücken. „Was mich persönlich interessiert und motiviert hat, war es, zu sehen, wie die verschiedenen Charaktere mit der neuen Situation umgehen würden, wie sie sich verhalten würden, jetzt, wo sie quasi von der Leine gelassen durch die Welt zogen. Ich wollte sehen, was aus Maeve werden würde in ihrer Mission, ihre Tochter zu retten. Und aus Dolores als Anführerin einer Androidenguerilla. Sie hat es so weit gebracht, aber mit so viel neu gewonnener Macht kommen natürlich immer auch Schwierigkeiten, Fehltritte und Gewissensbisse, die wiederum alle zur Stärkung ihres Charakters beitragen.“

Neben Evan Rachel Woods Dolores und einer stets fabelhaften Thandie Newton als Maeve durfte natürlich auch Ed Harris‘ Man in Black in der Fortsetzung nicht fehlen, sowie Bernard (Jeffrey Wright), der zunächst damit beschäftigt war, die nach Fords (scheinbarem) Ableben hinterbliebenen Puzzleteile neu zusammenzusetzen, um herauszufinden, was eigentlich genau geschehen war. „Es ging darum, eine Film-noir-ähnliche Plotstruktur zu schaffen, bei der man das Ende vorwegnimmt und dann am Anfang einsetzt“ erklärt Nolan mit dem gequälten Gesicht eines Magiers, der sich gezwungen sieht, einen Trick zu verraten. Überhaupt lebte auch diese zweite Staffel vor allem von den Fragen, Widersprüchen und Kuriositäten, die sie aufwarf – für alle Beteiligten. Der Grund: Nolan und Joy ist es mit ihrem clever verwickelten TV-Konzept gelungen, die ursprüngliche Idee hinter Westworld, die sich im Wesentlichen auf Michael Crichtons gleichnamigen Film von 1973 beruft, im Laufe der Fortsetzung nicht nur auszubauen, sondern letztlich ein komplett neues Genre im TV-Unterhaltungsmechanismus zu etablieren: eine Art Rätselfernsehen für Erwachsene. Denn keine andere Serie im derzeitigen Überfluss an TV-Mehrteilern wirft so viele Fragen auf, ohne unmittelbar Antworten zu liefern, dass es nahezu ein Wunder ist, dass dem Publikum nicht längst die Lust am permanenten Grübeln vergangen ist. Aber weit gefehlt. Die konstant wachsende Gemeinde der eingeschworenen Westworld-Fans gibt den Machern vielmehr Recht, dass die Handlung nicht immer nachvollziehbar sein muss, solange man Figuren hat, in die es sich zu investieren lohnt, erst recht, wenn sie die Urerfahrungen des Menschsein reflektieren und uns daran erinnern, was menschlich ist.

Wohin die neue gewonnene Frauen-Power die Serie am heutigen Finalabend katapultieren wird, bleibt abzuwarten. Doch so viel steht fest: Sowohl auf narrativer als auch auf visueller Ebene dürfte diese zehnte und letzte Episode der zweiten Staffel neben den Fans auch hartnäckige Skeptiker davon überzeugen, dass es sich durchaus lohnen könnte, das Universum von Westworld im nächsten Kapitel um noch ganz andere künstliche und reale Welten zu erweitern. „Wir wollten mit der Show von Anfang an über Weltzeitalter hinaus reichen,“ so Nolan. „Und wer sich, wie wir, dazu verschrieben hat, über die Entstehung neuer Lebensformen nachzudenken, der weiß, dass diese Geschichte sich nicht mit ein paar Sätzen erzählen lässt.“ Zumindest muss keiner fürchten, dass mit dem Ausklang der zweiten Staffel von Westworld am heutigen Abend alles dem Ende zugeht, zumal HBO längst offiziell auch die dritte Staffel rund um den utopischen Roboter-Vergnügungspark in Aussicht gestellt hat. Bis dahin wird das Etappenfinale zweifellos genügend Stoff zum Nachdenken liefern, um die Zeit bis zum nächsten Anfang zu überbrücken.