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Wie ein einziger Sommertag

| Jörg Becker |

Aus Anlass des neuen Buchs von Peter Nau: Eine Besprechung seiner Miniaturensammlung „Irgendwo in Berlin“. Seine Filmtext-Prosa lässt die Zeit im Rückblick spürbar werden.

„Endlich schwankte das Schiff, verließ seinen Anlegeplatz in Wannsee und strebte dem in Kladow zu. Die meisten Fahrgäste wärmten sich unter Deck; nur wenige saßen draußen, wo der Bug die Flut in zwei helle Bahnen entzweischnitt. (…) Der Himmel war schiefergrau, breit und fahl floss die Havel. Der Sommer schritt dem Ende zu. (…) Jenseits des Flusses, auf dem ein paar Segelboote lavierend schwammen, hoben sich in weit geschwungenem Bogen die orangefarbenen Anlagen des Strandbads Wannsee von dem niedrigen Hügelrücken des Grunewalds ab.“ [„Kladow“] Hingeworfen mit einer Kunstfertigkeit, die hier an eine grafische Reiseskizze, besser noch: ein Aquarell denken lässt, findet sich eine jener wenigen Miniaturen – der Band versammelt insgesamt 32 dieser Prosastücke, alle annähernd gleichen Umfangs von 30 Zeilen, etwa 2.000 Zeichen -, die sich Berlin von seinen Rändern her nähern und keine Filmerzählung zum Ausgangspunkt gewählt haben, sondern mit Blick auf die Gegend die Ortsnamen sprechen lassen, welche so ihren eigenen Mythos entfalten. Die Texte des Bandes ziehen Spuren durch die Stadt. Überwiegend jedoch ist der Film die Ausgangsbasis, und Peter Nau, der immer schon das Nacherzählen zu seiner eigenen Kunstform gemacht hatte, umfasst seine Textauslese mit zwei Aufsätzen – „Eine Begegnung mit Jürgen Böttcher“ und eine Betrachtung zu „Westberlin. Das Altern des Jungen Deutschen Films“, die beide in lokale Beschreibungen und Erinnerungen an Drehorte eingebettet sind, auf ihrem Terrain geerdet, ihren Weg sozusagen immer über ihre Szenerie nehmend, Berlin, den großen Filmschauplatz, seine im Medium aufbewahrte einstige Gegenwart: in dem Text, der ein Gespräch Peter Naus mit Jürgen Böttcher nachzeichnet, ist der Schauplatz der Begegnung Berlin-Karlshorst, ein „schattiges, träumerisch ruhendes Viertel, dessen Straßen nach Hohenzollern-Prinzen benannt sind“; hier, in einer klassizistischen Stadtvilla, empfängt Strawalde [Böttchers Name als Maler] in seiner Atelierwohnung den Autor. In der Betrachtung über „das Altern…“ finden sich sehr persönliche Eindrücke, vergangene Hoffnungen und Chancen, Erlebnismomente im „Rückblick“ angespielt, in dem „jene große Dimension der Zeit fühlbar wurde, in der das Leben sich realisiert“. „Als die Berlinale noch im Juni stattfand… nach dem Verlassen der letzten Vorstellung im «Arsenal» … in dieser verheißungsvollen Stadt…“ – das ist das einstige Westberlin – „[d]ie Weite und Leere überall, diese eigentümliche Stille über der Inselstadt“ [zu dem Film Mmh von Karl Heil, 1981], von diesem Klima Westberlins könne der Film „noch einmal“ etwas „Wirklichkeit werden“ lassen. Nau spricht von szenischen Erinnerungen, dem Gesicht eines Schauspielers, den Lichtverhältnissen – all das tritt in der Erinnerung zu Mustern zusammen, in denen einzelne Filme und deren Handlung selbst untereinander Beziehung herstellen, aufeinander zu wirken beginnen, all das wahrgenommen mit außerordentlicher Empfindsamkeit für verflossene Zeit an Schauplätzen – des Lebens, des Films –, man stellt sich vor, das Filmbild am Real-Set habe in sich für die Nachwelt ein Bewusstsein des Raums geschaffen, den es aufgenommen hat, so sehr dieser sich in der Zeit auch verändert haben mag. Ein Denkmal? „In einem Film von George Moorse gab es eine Szene, die auf einem Bahnsteig der Berliner Hochbahnstation Hallesches Tor spielt, im Freien, also dort, wo die Überdachung aufhört.“

Reisebewegungen und Aufenthalte an Durchgangsorten, Einladungen in entfernte Städte, Exkursionen auf einer Spur, im Dienst der Recherche, Fahrten über Land, Stationen der Einkehr, Natureindrücke in frisch entdeckten Landschaften bilden so etwas wie den malerischen Grund, den der Autor so oft seiner imaginativen Konzentration auf Filmerzählungen zugrunde zu legen pflegt, assoziativ stellt sich zwischen jener Wirklichkeit, die in Impressionen und Begegnungen, Beobachtungen der Außenwelt, der kontemplativen Versenkung aufgefasst ist, und dem Abbild der wirklichen Welt auf der Leinwand eine Bindung her, die wohltuend erinnerungsstark und einprägsam wirkt; eine eigenartige Ruhe überträgt sich von diesen Texten auf den Leser, als sei großer zeiträumlicher Abstand gewahrt, vielleicht auch, als seien ihre Gegenstände unter der eigensinnigen Autorität dieses Schreibens dem bedächtigen Strom eines abschweifenden Gedankenflusses überantwortet. Die literarische Formgebung eines Filmeindrucks und die der Realität der äußeren Welt speisen sich aus ein-und-demselben Reservoir, bedienen sich derselben Optik [frei nach Thomas Bernhard: „… durch dieselbe Brille, durch die ich Schopenhauer lese, schneide ich mir auch die Fußnägel…“], sie folgen beide gleichem Duktus, sind getragen vom selben Stilwillen. So hat der Leser von Peter-Nau-Texten Außenwelt- und Film-Innenwelt-Beschreibungen, einander eingelagert, auseinander hervorgehend, als seien sie einander wechselseitige Ergänzungen, stets mit Vorfreude erwartet und in seiner Erinnerung miteinander verbunden. Die Textform der Miniatur scheint leicht, in einem Atem entwickelt, ihre Kürze beruht auf Disziplin, erfordert Konzentration. Von der Bilderzählung, der Detailbeschreibung einer Einstellung von atmosphärisch einfühlendem Charakter hin zur Öffnung in eine davon inspirierte Idee ist es nur ein Schritt in den nächsten Satz. Gleich dem Sinn für eine musikalische Komposition weiß der Leser dieser Miniaturen „den Bau eines Satzes (…) zu schätzen“ [„Kladow“], so wie jene Gastgeberin, die den Autor auf ein Anwesen in Kladow im äußersten Westen Berlins zu ihrem Geburtstag eingeladen hat. Abermals „Kladow“, Name eines Westberliner Ortsteils am Wasser, oberhalb des Wannsees, dessen Szenerie nicht über das Filmbild aufgefasst wurde: die sieben annähernd gleichlangen Absätze dieser Prosa-Miniatur sind aus je ein bis vier Sätzen von unterschiedlicher Länge konstruiert, und wenn man die Syntax eines abgeschlossenen Satzes mit einer Einstellung gleichsetzt, die einen Gedanken / eine Anschauung enthält, lässt sich feststellen, dass solch ein abgewogener Text sowohl ausgeprägter Rhythmik als auch eines sicheren Gespürs für die Sukzession seiner distinkten Einheiten, Szenenaufbauten, Bildeindrücke bedarf.

Wenn Peter Nau über Jürgen Böttcher schreibt [„In Georgien“], dessen gleichnamigen Film, 1986/87, gibt er auch etwas von sich preis; was er an ihm, seinem Werk schätzt, lässt auch Maximen seiner eigenen Arbeit durchblicken: „Nicht das Ewige im Vergänglichen sucht Jürgen Böttcher auf, eher möchte er das Vergängliche verewigen.“ Der georgische Maler Niko Pirosmani inspirierte Böttcher zu diesem Film – „Der Film nun erklärt die Bilder des Meisters nicht, sondern zeigt einige davon in einer das Imaginäre hereinlassenden Sequenz, wobei die Rahmen verschwinden, so daß das Universum der gemalten Bilder mit dem des Films gleichgesetzt sind. Diese farbenfrohen Porträts, Landschaften und Genreszenen, die mich aus der sonderbaren Ruhe ihres Seins heraus anblicken, gehen sozusagen als die vertikalen Abschnitte eines eigenen schöpferischen Fließens in den Film ein, der so zu einer innigen ästhetischen Symbiose mit Pirosmanis naiver Kunst gelangt: wie denn überhaupt von Ästhetischem unästhetisch, bar aller Ähnlichkeit mit der Sache, kaum sich reden ließe.“

Peter Naus Texte sprechen von verschwundenen Räumen, korrodierten, verfallenen, auch durch Privatisierung, also der Gemeinschaft enteigneten, aufgelösten Lebensräumen, auch von Stationen, die „am seitlichen Wegrand der Zeit“ [„Zwei Filme von Thomas Heise“, hier: Volkspolizei, 1985] liegengeblieben sind, und immer wird die Zeit spürbar, am Ort oder durch den Film erlebte Zeit in der Rückschau zu Erinnerungsbildern gefügt, die einen Gefühlskontakt herstellen und ihren Anteil an Wunsch und Traum nicht verhehlen. [Erinnerung an eine Landschaft, Film von Kurt Tetzlaff, 1979]

„Durch das dunkelnde, hier zerstreute, dort dicht zusammentretende Gehölz der Köllnischen Heide streifend, erreichen wir gerade noch die benachbarte Station Oberspree, vor Einbruch der Nacht. Jetzt sitzen wir in der S-Bahn, schon wird Spindlersfeld zum Erinnerungsbild.“ [„Spindlersfeld“]. Eine Reise ans Meer, in ein Ostseebad in Vorpommern-Rügen: „Während die Sonne sich rot wie ein glühender Ziegel in die offene See stürzt, leuchtet himmelblau die Lagune, glatt wie ein Spiegel, hinter dem schwarzbraunen Saum aus vergilbtem Schilfrohr. Ein winziger Wechsel in der Art des Lichtes, schon ist die Dämmerung da./ Unermüdliches Steigen und Fallen der nächtlichen Meereswogen. Beständiges, schnelles Kreisen des kalten Scheinwerferlichts vom Prerower Leuchtturm. Weitverstreute Lichter von Schiffen blinken wie Sterne am Horizont. »Sie flossen ineinander«, heißt es einmal bei Chandler, »und glichen schließlich einem juwelenbesetzten Armband im Schaufenster der Nacht«.“[„Ahrenshoop“] Schwer zu vergessen, diese Kopplung zwischen einem von Raymond Chandlers brillanten literarischen Bildern und Peter Naus Blick von der Ostseeküste bei Rügen gen Meereshorizont nach Sonnenuntergang.

In seinem Film Menschen des 21. Jahrhunderts, 2007, hat Johannes Kochs, ähnlich der Methode des Fotografen August Sander aus den 1920er Jahren, die Stadtbewohner des alten Lichtenberger Stadtteils Victoriastadt „durch alle Schichten und Berufsarten wie durch eine physiognomische Galerie“ porträtiert. „Umschlossen von den tiefen Gleisbetten der Fern- und S-Bahn, ist die Victoriastadt nur über Brücken erreichbar. Früh schon hat die Filmkunst den Zauber solcher Gegenden entdeckt: ihre Straßen mit grobem ländlichen Steinpflaster, die im Morgengrauen zu Heerstraßen der Fabrikarbeiter wurden; die Männer mit Mützen, in Hemdsärmeln, an der Theke, beim Kartenspiel; das von Fabrikenrauch überzogene Brachland.“ [„Lichtenberg“]

Die Begegnung mit einem bekannten Menschen, Autor auch er, unter dem Titel „Treptow“, wo das Treffen stattfand: der Ort am Spree-Ufer; Charakterisierung des Gesprächspartners; Anerkennung seiner Arbeit als Lyriker; entdeckte Gemeinsamkeiten und Erkenntnisse aus der Unterredung; schließlich, im letzten Absatz, nach dort verbrachter Zeitspanne, wieder der Ort, in einem Schlussbild gelassen ausklingend: „Kähne mit Ausflüglern schwammen auf den breiten Flußarmen an der Insel der Freundschaft unter einem langsam dahingleitenden Himmel. Auf dem Weg zum Treptower Hafen, der Abendsonne entgegen: überall Sitzende, müde Stehende, träumend Lehnende.“

„Irgendwo in Berlin“, das ist eine Assemblage von Kurzprosastücken, die einen dieser Stadt gewidmeten Ausschnitt aus Peter Naus Schreiben vorstellt. Irgendwo an Orten, in denen die Zeit nistet, in deren Konstellation sich Berlin und etwas vom dazugehörigen Umland erzählt, das Terrain, durch das der Autor unterwegs ist oder das er im Filmbild entdeckt – die Texttitel Namen von Orten, Bezirken, die Auswahl gesamt ein Poem aus topographischen Marken, an denen sich die innere Stadt, Phantasie von unter gleichen Lichtverhältnissen abgelagerten Zeitschichten und subjektives Orientierungsnetz ihres Bewohners in einem, entzünden kann: Spindlersfeld – Karlshorst – Moabit – Treptow/S-Bahnhof Treptower Park – Lichtenberg – Victoriastadt – Tempelhof – Potsdamer Straße/Café Madrid.

„Schön ist das Licht in diesem Schwarzweißfilm (Kamera: Roland Gräf), da es als Tageslicht nicht nur den Ort sichtbar macht, sondern auch, indem es an den Tagesablauf gebunden ist, die Zeit spüren läßt. Der ganze Film ist wie ein einziger Sommertag, wie jene Reihe von schönen Tagen, von denen Adorno schrieb, daß sie uns glücklich macht, indem sie das Versprechen enthält, daß alles in Ewigkeit so weitergehen könnte, ohne je eine Trübung zu erfahren.“ In Jahrgang 45 [Film von Jürgen Böttcher, 1965/66] folgt Peter Nau dem Suchen und Schweifen der Hauptfigur im „immerwährenden Berliner Sommer“; von Filmen, die wie dieser derart treffend einem unbestimmten Weltgefühl junger Erwachsener zwischen Protest, Langeweile, Lebensfreude und Müßiggang Ausdruck verleihen können, gibt es in jeder Generation nur sehr wenige.

Unter dem Titel „Erwin Geschonneck [1906-2008]“ schreibt Nau über die Rolle des bedeutenden Schauspielers der DDR in dem Film Berlin um die Ecke (1965) von Gerhard Klein, ein verbotener Film, der erst nach der Wende entdeckt wurde. Als „verdienter Werktätiger“ reibt er sich in seinem Betrieb auf, erkrankt, kehrt von einer Kur zurück. „Ein Panoramaschwenk über das an einem Fluß gelegene Werksgelände. Wieder scheint die Sonne, die Arbeiter machen Pause. Paul Krautmann sitzt neben einem jungen Kollegen und erzählt ihm, der hingestreckt an der Kaimauer lehnt, von seinem Kuraufenthalt an der See. Wenn der Alte gegangen ist, gibt es eine Aufnahme schräg von oben auf den Jungen, wie er daliegt, und in dem starren Rahmen das Fließen des Wassers der Spree. In der Halle schreit der Meister, den zusammengebrochenen Paul Krautmann stützend, nach einer Tragbahre.“ Eine Trauergemeinde; der Junge wird gefragt, ob er einen Nachruf schreiben wolle, aber was soll er schreiben? „‘Ich denke, Paul, daß du immer noch da sein wirst …‘, hören wir ihn, der daraufhin eine bessere sozialistische Zukunft beschwört, rezitieren, während Arbeiter aus der Fabrik strömen.“

Peter Naus Schreiben über Film war immer auch eine Schule des ernsthaften, zugeneigten Nacherzählens, entstanden in einer Zeit vor jeder allgemeinen Verfügbarkeit von Videokopien; schließlich konnte man sich nicht für jeden Text eine 16- oder 35mm-Kopie zur Nachbetrachtung an einen Schneidetisch holen. Ein verlässliches Erinnern wesentlicher Momente ist da unabdingbar für die zu Grunde liegende Kunst der Beschreibung. Was zeichnet das Nau‘sche Schreiben aus, und was ist der Grund für die spezifische Neigung, die es bei seinen Lesern hervorrufen kann? Vielleicht die spürbare Liebe zur Sache, die sich, in ihnen gespiegelt, mitteilt; als Partisan seiner Gegenstände nimmt der Autor ihre Partei ein und bringt in der Form zum Ausdruck, was ihn berührt, etwas angeht, in ihm Resonanzen weckt. Diese übertragen sich in den mitunter hohen Ton, mit dem er seinen Wahrnehmungen Gestalt verleiht, kunstvoll reduziert Sätze baut, Absätze fügt, die einer Erzählung, Novelle oder Romanpassage gut zu Gesicht stünden – es sind Fügungen, Setzungen eines Schreibens, dem man sofort anmerkt, dass es nicht durch die Schnelligkeit des Blogschreibens und unmittelbarer Netzkommunikation korrumpiert und korrodiert ist. Wer schließlich den Film liebt und auch einen Begriff von ihm hat, dem teilt sich diese Empathie mit, eine Leidenschaft gegenüber Fundstücken, einmaligen Erscheinungen aus Leben und Film, denen hier Dauer verliehen wird. Schreiben über Film ist hier nichts Sekundäres, dieser gibt dem Autor einen naheliegenden Ansatz, wahrhaftigen Wirklichkeitsmomenten zu begegnen. Seine Sprachform – angereichert mit einem Goethe-Wort, einem Nietzsche-Satz …– beschreibt und kommentiert das Kino an Stellen aus anachronistischer Tiefe sprechend, und diese Kopplung von Ungleichzeitigem, der ästhetische Dialog zwischen Generationen, Epochen, Wahlverwandtschaften des Geistes schafft haltbare Verbindungen. Auch gewagte Analogien wie jene Erinnerungen an die Deutsche Kinemathek [„Westberlin. Das Altern des Jungen Deutschen Films“] setzen sich im Gedächtnis fest: „Zu seinem [d.i. Heinz Rathsacks, 1971 bis 1989 Direktor der Stiftung deutsche Kinemathek] Nachfolger wurde Hans Helmut Prinzler gewählt, der mit der Geschichte Westberlins als einer Metropole des Jungen Deutschen Films verknüpft ist wie Bismarck mit der Regierungszeit Wilhelms des Ersten.“ Natürlich ist hier die Rolle des ‚Filmpolitikers‘ gemeint, dennoch bleibt es eine womöglich den Geist eines Neuzeit-Historikers absorbierende Behauptung, ein Kuriosum – dieser rätselhafte Vergleich, auf den man erst einmal kommen muss, als Autorenidee behält man ihn lange in Erinnerung. Die Anerkennung hat er sich verdient.

Sofern Werke, Filme der Gegenstand von Peter Naus Miniaturen sind, zentrale Objekte, mitunter von situativer Rahmung umgeben, wirken sie auf einen, als ob er sie schreibend heimholte in die Ruhe seiner Betrachtung. Seine Reisen durch die Bezirke, im Angesicht von Filmschauplätzen, von atmosphärischen Alltagsdetails bieten ein Anschauungsmaterial, aus dessen Erinnerung erst wahrhaftige Wirklichkeitsmomente herauslesbar sind, etwas Bleibendes – zu denken an das Gefühl einzigartigen entgrenzten Glücks oder fundamentaler, scheinbar grundloser Wehmut, das immer erst retrospektiv zu Bewusstsein gelangt. Nur das ist wahrhaft bedeutsam an Erlebnissen, was man in der Rückschau dafür hält. Ein Textarchiv sprechender, bedeutsamer Einzelheiten vereint Wahrnehmungspartikel zugleich aus der Wirklichkeit und ihrer verdichteten Form im Film und weiß diese zu erzählen. „Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks“, zitiert der Autor Hegel. „Die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr.“

„Die historische Zeit erscheint wie in einen einzigen Augenblick komprimiert, einen letzten Moment des Friedens, der schon dabei ist, in Krieg umzuschlagen.“ [Der Fall Gleiwitz; Film von Gerhard Klein, 1961]. „Viel Raum“ konstatiert der Autor für den Helden von Ich war neunzehn [Film von Konrad Wolf, 1968], den Sohn deutscher Emigranten, Gregor Hecker, der mit der Agitationsabteilung der Roten Armee auf Berlin vorrückt, und: „Viel Himmel, weit ins Weite verstreute Häuser. Ich denke bei diesem Film, wie auch bei Konrad Wolfs Mama, ich lebe (1977), an Max Frisch, dem am ganzen Bauen am liebsten der Rohbau war, bevor die Dächer gedeckt sind. ‚Lauter Räume voll Himmel, und zum letzten Mal, mindestens für Jahrzehnte, haben diese Räume die Sonne.‘“ Was für ein Bild, das im erzählten Moment vom Verenden der Naziherrschaft, dem letzten Aufzucken ihres Terrors, im weiten Berliner Umland ein lichtes Projekt der Befreiung vermittelte! An der Miniatur zu Solo Sunny (1979) von dem Regisseur Konrad Wolf, dem mit acht Texten die meisten Beiträge dieses Bandes gelten [ihm folgen Thomas Heise mit vier, Jürgen Böttcher mit drei und Gerhard Klein mit zwei Texten], lässt sich die Kunst des letzten Satzes, eines denkwürdig nachklingenden Satzes studieren: Sunny, die Schlagersängerin, tingelt durch die Provinz, zuhause am Prenzlauer Berg fällt sie in eine problematisch ungleiche Liebesgeschichte, wird bei ihrer Band, den „Tornados“ rausgeworfen, soll einer gewöhnlichen Arbeit nachgehen, schließlich rafft sie sich auf und fängt von vorn an; sie will wieder singen. Peter Nau: „Wir können nichts machen als was wir machen und der Beifall ist eine Gabe des Himmels.“