Elegante, zumeist doppelbödige Figuren sind ihr Metier, darin fühlt sich Rachel Weisz so wohl wie kaum eine andere Hollywood-Schauspielerin ihres Kalibers. In „My Cousin Rachel“ täuscht sie damit nicht nur die Zuschauer, sondern sogar den Regisseur. Ein Gespräch über Geheimnisse, vermeintlich starke Frauen und die Kunst der kontrollierten Obsession.
Manche Frauen haben Charme, andere den Teufel in sich. Rachel hat von beidem ein bisschen zu viel, und dennoch – oder gerade deshalb – liegen ihr die Männer reihenweise zu Füßen. Die Rede ist von Rachel, der berüchtigten Cousine, um die es in Daphne du Mauriers Krimi-Romanze geht, die der Notting Hill-Regisseur Roger Michell nun erneut für die Leinwand aufbereitet hat. In der ersten Kinoversion von 1952, verfilmt von Henry Koster, zeigte sich Olivia de Havilland in der Titelrolle von ihrer mysteriös schönen Seite, mit der sie niemand geringeren als Richard Burton um den Verstand bringen sollte, der darin den jungfräulichen Philip verkörpert, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird. In der aktuellen Adaption hat sich diesmal Rachel Weisz dem zwielichtigen Spiel angenommen, und man möchte fast meinen, sie lebe die Rolle mehr als sie zu spielen, wenn man sich anschaut, wie leicht der schönen Britin die Intrige von der Hand geht.
Tatsächlich ist Weisz von Natur aus eher reserviert, stets höflich und verschlossen zugleich, in der leisen Hoffnung, sich auch als Ehefrau von James Bond (Daniel Craig) weiterhin so etwas wie eine Privatsphäre zu bewahren. Allerdings scheint ihr dabei nicht zuletzt auch die eigene Karriere immer wieder in die Quere zu kommen, die in den letzten zehn Jahren einen neuen Höhepunkt erreicht hat, angefangen mit dem wohlverdienten Oskar für ihre Nebenrolle in The Constant Gardener (Der ewige Gärtner, 2006) bis hin zu Mick Jacksons kürzlich erschienenen Gerichtsdrama Denial (Verleugnung 2016), in dem sie als die jüdische Historikerin Deborah E. Lipstadt von dem Holocaustleugner David Irving wegen Verleumdung angeklagt wird, nachdem sie ihn in der Öffentlichkeit einen Lügner nannte. Es war eine wahre Geschichte und ein Stoff, der Weisz am Herzen lag, ähnlich wie Naomi Aldermans Roman „Disobedience“ um eine unbeschwerte New Yorker Investmentbankerin, die nach dem Tod ihres strenggläubigen Rabbi-Vaters in die Enge ihrer britischen Heimat zurückkehrt, zu dem die heute 47-jährige Schauspielerin vor einigen Jahren die Filmrechte erwarb. Das Drama, entstanden unter der Regie von Sebastián Lelio und mit Weisz selbst in der Hauptrolle sowie als Produzentin im Einsatz, befindet sich derzeit noch in Postproduktion, aber schon die literarische Vorlage lässt darauf schließen, dass es sich auch bei Ronit Krushka, so der Name der Protagonistin, um eine jener ambivalenten, mitunter schwer zu fassenden Figuren handelt, mit denen sich Weisz im Laufe der Jahre einen Namen gemacht hat.
My Cousin Rachel ist in der Hinsicht so etwas wie die Spitze des Eisbergs, zumal das ganze Herz des Films an der Unergründlichkeit seiner Titelfigur hängt. Denn Rachels zwielichtiges Wesen erlaubt es Weisz nicht nur, ihr bemerkenswertes Repertoire an rätselhaften Blicken und Gesten in beinahe jeder Szene komplett auszuspielen, sondern zwingt sie regelrecht dazu, den Film selbst, inklusive Regisseur und Ko-Star Sam Claflin (The Hunger Games), sowie die Zuschauer permanent an der Nase herum zu führen. Die Handlung setzt damit ein, dass der Waise Philip (Claflin) sich rückblickend an seine Kindheit erinnert, die er auf dem Gut seines gutmütigen Cousins Ambrose verbracht hat. Als Ambrose im Alter aus Gesundheitsgründen den Winter in Italien verbringen muss, trifft er dort auf eine weitere entfernte Cousine namens Rachel (Weisz), mit der er Hals über Kopf die Ringe tauscht, bevor er kurz darauf angeblich an den Folgen eines Gehirntumors verstirbt. Die letzten Briefe, die den mittlerweile erwachsenen Philip zu Hause in England erreichen, deuten jedoch darauf hin, dass Ambrose in Wirklichkeit von seiner hinterlistigen Ehefrau vergiftet wurde in der klaren Absicht, sich an dem ausstehenden Erbe zu bereichern, woraufhin Philip wild entschlossen ist, ihr bei der erstbesten Gelegenheit ebenfalls den Gar aus zu machen. Doch als Rachel schließlich in dem Haus ihres verstorbenen Gatten eintrifft, kann auch Philip sich der Schönheit, Wärme und Gewieftheit seiner Cousine nicht erwehren und es dauert nicht lang, bis sie auch auf dem Gut das Sagen übernimmt.
Frau Weisz, die große Frage lautet natürlich: Ist Rachel eine Mörderin, oder ist sie es nicht? Was denken Sie?
Rachel Weisz: Ich musste mich entscheiden, um die Rolle spielen zu können. Aber Roger wollte nicht, dass ich ihm verrate, auf welcher Seite ich stehe – ob ich sie für schuldig hielt oder nicht. Und ich fürchte, Sie werden mich auch jetzt nicht dazu bringen, es auszuplaudern. Es ist ein Geheimnis, das ich mit ins Grab nehmen werde.
Sie hatten also von vornherein ein klares Bild von ihr?
Rachel Weisz: Ja, man kann so eine Rolle nicht zweideutig spielen. Ich denke, die Zuschauer würden das merken. Ich musste also wissen, ob mein Tee tatsächlich vergiftet war oder einfach nur bittere Medizin. Solche zwielichtigen Entscheidungen lassen sich nicht umspielen, sondern da kommt es in erster Linie auf die richtige Regie an.
Wieviel von Rachel Weisz steckt in der Rachel, die wir auf der Leinwand sehen?
Rachel Weisz: Das Buch stammt aus den fünfziger Jahren, auch wenn die Geschichte, die darin erzählt wird, gute hundert Jahre früher in der Mitte des 19. Jahrhunderts spielt. Trotzdem ist Rachel sehr modern, für die Zeit, in der sie lebt. Zum Beispiel ist sie davon überzeugt ist, dass es keine Sünde ist, auch außerhalb der Ehe Spaß am Sex zu haben, oder dass man sich als unabhängige Frau mit einem Job als Lehrerin über Wasser halten kann. Und vor allem, dass man sich nicht von einem Mann in Besitz nehmen lassen muss, nur weil man mit ihm verheiratet ist. Ich denke, das alles macht sie zu einer Person, mit der sich Frauen von heute relativ leicht identifizieren können, egal in welcher Zeit die Handlung angelegt ist.
Haben Sie sich in Bezug auf Ihre Darstellung streng an die Literaturvorlage gehalten?
Rachel Weisz: Ja, ich denke, die Figuren sind sich recht ähnlich. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass ich das gleiche Bild von Rachel haben muss wie sie. Ich habe eher das Gefühl, dass jeder, der ihr begegnet, anders über sie denkt. So hat Daphne du Maurier die Figur angelegt, und das ist auch der Grundtenor in unserer Version der Geschichte. Rachel ist ein großes Mysterium, im Buch wie im Film.
Sie ist eine starke Frau, die gerne manipuliert…
Rachel Weisz: Ich habe mit dem Wort „stark“ immer meine Probleme. Und manipuliert sie tatsächlich, oder ist sie nicht vielleicht einfach nur ein weiteres unschuldiges Opfer der Misogynie, des Frauenhasses, und der Unverständlichkeit gegenüber dem anderen Geschlecht, die im 19. Jahrhundert vorherrschten. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich denke, sie ist eine unheimlich interessante Frau, sie ist menschlich, sie ist kompliziert. Sie kann warmherzig sein, und auch temperamentvoll. Sie hat von allem etwas, und das macht sie in erster Linie zu einer Person, wie du und ich.
Trotzdem ist bei ihr zu einem gewissen Grad auch Manipulation im Spiel.
Rachel Weisz: Ich weiß nicht … sie flirtet. Und immerhin trifft sie auf einen Mann, der genauso aussieht wie ihr verstorbener Gatte. Wer würde da nicht flirten? Erst recht, wenn es um einen so attraktiven Mann wie Sam geht. Ist das wirklich Manipulation?
Warum sträuben Sie sich so gegen den Begriff?
Rachel Weisz: Manipulation ist ein abschätziges Wort, mit dem automatisch eine Wertung verbunden ist. Daran führt kein Weg vorbei. Haben manche Frauen Qualitäten, die sie im Leben weiter bringen können? Natürlich. Manchmal hilft schon ein bisschen Höflichkeit, um das zu bekommen, was wir wollen. Manchmal ist es Diplomatie. Nehmen sie zum Beispiel Trump und Macron: Sie geben sich vor laufenden Kameras freundschaftlich die Hand, dabei würden sie sich in Wirklichkeit am liebsten an den Hals gehen. Was ich damit sagen will, ist, dass wir alle manipulieren, um an die Dinge zu kommen, die wir wollen. Nur wenn es um Frauen geht, klingt das immer gleich so, als wäre das etwas Sträfliches.
Sie haben sich in Ihrer Kariere vornehmlich auf Frauenrollen konzentriert, die sehr komplex sind und meist schwer zu fassen. Rachel ist in der Hinsicht keine Ausnahme.
Rachel Weisz: Ja, aber es geht ja nicht um Rachel allein. Was ich so faszinierend finde, ist, dass das Ganze ein großes Spiel ist. Rachel spielt mit dem Regisseur, und der Film wiederum spielt mit dem Publikum. Selbst die Beziehung zwischen Rachel und Philip ist von vornherein als Rätsel aufgebaut. Dabei war es manchmal richtig schwer für meine Figur, Philip nicht permanent nur an der Nase herum zu führen, weil er so herrlich naive ist und ihm seine Gedanken stets sofort ins Gesicht geschrieben stehen. Wie in der Szene, wo sich Rachel und Philip zum ersten Mal begegnen und sie einen etwas schlüpfrigen Witz über Tante Phoebe macht. Er fragt, woran sie in ihrer Hochzeitsnacht gestorben sei, und Rachel meint daraufhin nur: Schock. Dabei weiß sie ganz genau, dass er damit nicht umgehen kann und sofort puderrot wird. Sie haben mich vorhin gefragt, was mich mit Rachel verbindet, und ich denke, das ist eine Sache, die wir gemeinsam haben: Auch ich genieße es manchmal, Leute auf diese scherzhafte Art und Weise zu necken.
Wonach suchen Sie, wenn Sie sich für eine Rolle entscheiden?
Rachel Weisz: Sam hat dafür eine hervorragende Erklärung gehabt. Für ihn sind es drei entscheidende Faktoren: Regisseur, Besetzung und Drehbuch. Wenn zwei davon erfüllt sind, kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Für mich persönlich kommt es darauf an, dass die Rolle, die ich spiele, zum Drehbuch passt und dass außerdem ein guter Regisseur dahinter steht, dann bin ich dabei. Und was Rachel angeht, musste ich da nicht zweimal überlegen.
Angesichts der Zwielichtigkeit Ihrer Figur, geht es im Film immer wieder auch um Vertrauen. Was muss ein Regisseur für Sie haben, dass Sie sich bei ihm oder ihr in sicheren Händen fühlen?
Rachel Weisz: Vertrauen ist das A und O, besonders wenn es um einen Film geht, der so sehr von der Möglichkeit des Betrugs lebt, von Manipulation, von Intrigen, und von Paranoia. Da ist es extrem wichtig, dass man seinem Regisseur vertrauen kann, auch weil die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren so intensiv ist. Und das Gleiche gilt übrigens auch für Sam, auch ihm musste ich hundertprozentig vertrauen können, als Mensch und als Schauspieler. Nur dann kann man sich tatsächlich auf diesen gefährlichen Reigen einlassen, und in der Hinsicht war Sam der perfekte Tanzpartner.
Sie meinten am Anfang unseres Gesprächs, das Roger nicht wissen wollte, wie Sie sich im Hinblick auf Rachels Schuldigkeit entschieden hatten. Ist das für die Zusammenarbeit im Grunde nicht hinderlich, wenn die ganze Zeit so ein großes Geheimnis im Raum steht?
Rachel Weisz: Ich denke, im Laufe der Jahre entwickelt man einen ganz guten Instinkt dafür, ob ein Regisseur tatsächlich versteht, was seine Schauspieler vor der Kamera tun oder nicht. Es gibt Regisseure, die sind Meister des Visuellen. Die wissen genau, wie und wo sie die Kamera platzieren müssen, um die perfekte Einstellung zu bekommen, aber das heißt noch lange nicht, dass sie auch wissen, wie sie am besten mit ihren Schauspielern umgehen. Roger dagegen ist jemand, der vom Theater kommt. Er ist das, was man einen Schauspieler-Regisseur nennt. Er kann vom einen Moment zum nächsten dirigieren, und er kann einen dazu bringen, dass man in ein und derselben Szene verschiedene Emotionen, unterschiedliche Höhen und Tiefen erreicht. Er arbeitet extrem genau und er ist interessiert an dem, was seine Schauspieler tun. Das ist, wie gesagt, nicht immer so.
Philip ist im Film wie besessen von Rachel. Geht Ihnen das als Schauspielerin mit der Figur, die Sie spielen, manchmal so ähnlich?
Rachel Weisz: Schauspielerei ist eine Art Obsession. Man muss von dem, was man erzählt, irgendwie schon besessen sein, wenn es richtig gut werden soll. Es ist, als wäre man besessen von etwas, das nicht wahr ist, wie von einem zwanghaften Traum. Manche Geschichten haben in der Hinsicht einen stärkeren Einfluss als andere. Gleichzeitig muss man aber auch in der Lage sein, am Ende des Drehtags abschalten zu können. Sam und ich, wir sind beide Eltern, das heißt, wenn wir nach Hause kommen, muss die Arbeit draußen vor der Tür bleiben. Mit anderen Worten: Man muss lernen, in diese Zwanghaftigkeit ein- und gleichzeitig auch immer wieder aus ihr auftauchen zu können. Das ist nicht einfach und eine Kunst für sich, die nicht jeder beherrscht.