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Wolves at the Door

| Jörg Schiffauer |

In einer Nacht wie jeder anderen

Am Morgen des 9. August 1969 wurde in einer mondänen Villa am Cielo Drive in Los Angeles ein Verbrechen entdeckt, dass noch lange für weltweites Aufsehen sorgen sollte. Fünf Menschen waren im Lauf der vergangenen Nacht in dem Anwesen auf ermordet worden, mit einer Brutalität, die sogar die herbeigerufenen Polizeibeamten erschütterte. Dass einige der Opfer zur Prominenz der Stadt zählten, wie Sharon Tate, Schauspielerin mit Starpotenzial und Ehefrau des Regisseurs Roman Polanski – der nur deshalb in dieser Nacht nicht anwesend war, weil er sich zu Dreharbeiten in Europa aufhielt – oder Abigail Folger, Erbin des gleichnamigen Kaffeekonzerns, sorgte noch für zusätzliche Schlagzeilen. Doch so grausam diese Taten auch waren, so sinnlos erschienen sie gleichzeitig, trotz Spekulationen in unterschiedliche Richtungen war einfach kein Motiv zu erkennen. Erst Wochen später identifizierte man die wegen anderer Delikte festgenommen Mitglieder einer Art von Kommune, eher zufällig als die Täter, doch das Rätselraten über die Gründe für die Mordtaten ging weiter. Die Angehörigen dieser Gruppe, der so genannten „Family“, die sich um ihren charismatischen Anführer Charles Manson geschart hatten, erschienen auf den ersten Blick wie typische Kinder der Love-and-Peace-Generation und so gar nicht wie blutrünstige Mörder. Erst dem zuständigen Staatsanwalt Vincent Bugliosi gelang es, sich in die abstruse Gedankenwelt des soziopathischen Charles Manson hineinzuversetzen und das Motiv für die Untaten – Manson gedachte durch diese Morde in der konfrontativen Stimmung der späten sechziger Jahre Unruhen auszulösen, im daraus folgenden Chaos sollte die „Family“ als führende Kraft hervorgehen – aufzudecken. Dass die Auswahl der Opfer ziemlich willkürlich erfolgte, verstärkte nur noch das Entsetzen.

Charles Manson und seine „Familie“ waren im Lauf der Jahrzehnte Gegenstand umfangreicher Erörterungen fiktionaler und dokumentarischer Natur, mit Wolves at the Door wird nun ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Von der Vorgeschichte – vor allem wie Manson es schaffen konnte, eigentlich harmlose junge Menschen, die in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche nur die Orientierung verloren hatten, so zu manipulieren, dass sie ohne zu zögern, seine irrsinnigen Mordpläne umsetzten –, den Ermittlungen oder der spektakulären Gerichtsverhandlung erfährt man dabei nichts. Wolves at the Door richtet den Fokus primär auf die Schreckensnacht vom 8. auf den 9. August und das mittels einer ziemlich ungewöhnlichen Perspektive, konzentriert sich die Inszenierung doch ausschließlich auf die Opfer. Sharon Tate, Abigail Folger, der Prominentenfriseur Jay Sebring und Wojciech Frykowski, ein Freund Polanskis, – im Film sprechen sich die Protagonisten nur mit Vornamen an, die realen Vorbilder sind jedoch überdeutlich erkennbar – kommen an jenem Abend nach einem Restaurantbesuch in besagtem Anwesen am Cielo Drive an, um noch ein wenig weiterzufeiern (das fünfte Opfer war ein zufällig anwesender junger Mann, der beim Wegfahren den Manson-Anhängern in die Hände fiel).

Regisseur John F. Leonetti, der sich bislang als Kameramann von einschlägigen Genrestücken wie Insidious und The Conjuring einen Namen machen konnte, setzt das zunächst als „period piece“, das – unterlegt von für die Ära prägenden Songs wie etwa „Crimson and Clover“ – den vorherrschenden Zeitgeist widerspiegelt, in Szene. Vor allem die unbeschwerte Atmosphäre der Flower-Power-Ära wird betont – die nach dieser Nacht nie mehr dieselbe sein sollte. So verläuft der Abend auch entspannt mit Plaudereien, Drinks, anderen für diese Zeit typischen Stimulanzien und Liebeleien. Keiner der Protagonisten kann auch nur den Hauch einer Ahnung haben, dass ihrem unbeschwerten Leben sehr bald eine dramatische Wendung widerfahren wird. Die erscheint in Leonettis Inszenierung wie eine plötzliche Laune der Götter in einer griechischen Tragödie, die das Glück ihrer irdischen Günstlinge abrupt mit aller Wucht ins Gegenteil verkehren. Folgerichtig bleiben die Mitglieder der Manson-Family hier schemenhafte, fast mystische Gestalten, deren Gesichter oft im Halbdunkel unkenntlich bleiben. Wie geisterhafte Erscheinungen nähern sie sich dem Ort, der zum blutigen Tatort werden soll, huschen ein wenig wie Schattenwesen unbemerkt um das Haus herum, um dann unvermittelt und mit archaischer Wucht in einem Akt blanken Terrors über ihre Opfer herzufallen. In kaum mehr als schlanken siebzig Filmminuten verdichtet John Leonettis Inszenierung jenes ebenso bekannte wie berüchtigte Verbrechen auf seine grausame Essenz, changiert dabei nicht ungeschickt zwischen ästhetisierender Verfremdung und bewährten Genre-Mustern eines Home-Invasion-Movies. Auch wenn das Konzept nicht immer ganz aufgeht, erweist sich Wolves at the Door als Versuch einem oftmals strapazierten Sujet eine unkonventionelle und dadurch durchaus spannende Facette abzugewinnen.

 

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