Michael Glawogger erhöht in „Workingman’s Death“ das Lied der Arbeit zur Arie – auf der Suche nach den Schwerarbeitern, den letzten Stachanows dieser Welt.
Kürzlich verneinte der polnische Denker Leszek Kolakowski in einem Weltwoche-Interview vehement die Frage, ob sich, in einer Neuinterpretation von Marx, der Klassenkampf heute zwischen reicher Erster und verelendeter Dritter Welt ereigne. Schließlich könne in diesem Kontext nicht von Klassenpolarisation, geschweige denn von einem Marx‘schen Interesse an nicht-europäischen Gesellschaften gesprochen werden.
Ein dieser Tage anlaufender Dokumentarfilm scheint dennoch von einem solchen Gedanken seinen Ausgang zu nehmen. An das Ende von Workingman’s Death setzt Michael Glawogger eine stillgelegte Kohleförderanlage, die im Ruhrpott als Themenpark an Zeiten hiesiger Schwerarbeit gemahnt. Damit schließt sich jene Klammer, die der Film zu Beginn öffnet: Archivmaterial über den sowjetischen Arbeitshelden Aleksej Stachanow, einen Kohlearbeiter in den 30er Jahren im Donbass-Revier, dessen Arbeitsrekorde mit Aufmärschen, Hymnen und Denkmälern gehuldigt werden. Körperliche Arbeit, das scheint Workingman’s Death sich sowohl durch den Titel wie auch durch eine thesenhafte Einbettung selbst auferlegt haben, ist in unseren Breitengraden nur noch als historische Größe denkbar. Zwischen den beiden zeitlichen Eckpunkten muss demnach das schiere Staunen herrschen. Ist der Schwerarbeiter hierzulande nur noch als Gegenstand politischer Regelungen denkbar, dann hebt doch die letzten verbliebenen Stachanows auf den Schild! In Glawoggers globalem Bilderbogen bauschen sich Bilder von indonesischen Schwefel- und ukrainischen Kohlearbeitern auf, vom blutigen Handwerk nigerianischer Schlachter und von pakistanischen Dekonstrukteuren ausrangierter Ölplattformen. Schwerarbeit, wohin man schaut. Ihre Tätigkeiten: atemberaubend.
Bildgewalt
Glawoggers Faszination für jene – großteils – Männer wird aber vor allem auch auf einer visuellen Ebene virulent. Der Film hebt wie eine empathisch inszenierte Oper an, die das Lied der Arbeit zu vielstimmigen Arien vertont. Schleppen erwähnte Schwefelarbeiter an einem Kratersee die mit spitzen Stöcken herausgebrochenen Brocken davon, so begleitet sie der Kameramann nicht etwa ebenso keuchend, sondern mit der Steadycam. Kein Ruck ihrer Schritte setzt sich im Bild fort, nur das esoterisch anmutende Wippen der schwefelgefüllten Körbe über den Schultern betört das Auge. Im Hintergrund gelbgrüne Schwefelschwaden. Deutsche Touristen kreuzen unvermittelt den Weg, fotografieren. Glawogger schließt sein Publikum für einen Moment realitätsmäßig kurz. Klaustrophobisch hingegen die Aufnahmen aus einem Kohlebergwerk in der Ukraine, in dem Arbeiter mit Hammer und Meißel als Quasi-Selbstversorger autonom Kohle abbauen. Sie schieben ihre Körper in engste Spalten Meter für Meter vor, für die Atembewegung des Brustkorbs bleiben wenige Zentimeter Raum. Auf Mopeds und Fahrrädern karren sie einen zwischen die Beine geklemmten Sack weg, die Glorie des Helden der Arbeiter ist hier einem prekären, tagtäglichen Krisenmanagement gewichen. Nicht minder lebensgefährlich die Arbeit paschtunischer Stahlarbeiter, die in Pakistan mit Schweißgeräten riesige Stücke aus Schiffswracks brechen. Die Kamera begleitet sie multiperspektivisch, die Verbindung zwischen Arbeiter und Material, zwischen Betrachter und Bild nie aus dem Blickwinkel verlierend.
Als Bilder der Apokalypse entwirft Workingman’s Death schließlich das blutige Treiben auf einem Schlachtfeld für Kühe und Ziegen in Nigeria. Der Boden, schwarz glänzend wie ölgetränkt, übersät von Tierkörpern, dazwischen zeternde Geschäftemacher, lodernde, von Autoreifen gespeiste Feuergruben, in denen die Kadaver geröstet werden. Schließlich ein letzter Teil über das Schuften in der aufstrebenden Industrienation China, bevor das erwähnte deutsche Stahlwerk den Abgesang einleitet. Was aber vermitteln uns diese Bilder über ihre spektakulären Schauwerte hinaus? Über Arbeits- und Lebensumstände weniger, dass diese prekär als vielmehr lebensgefährlich sind; über seine Protagonisten: praktisch nichts. Dennoch bezieht Glawogger aus einer Differenz gesellschaftlicher Realitäten seine Spannung: Von einem großteils durch immaterielle Arbeitsverhältnisse geprägten Bewusstsein ausgehend bietet er der Ersten Welt Bilder der Arbeit an. Die Vermutung, dass der weltumspannende Bilderbogen zwischen historisierendem Prolog und Epilog etwa auch ein Sinnangebot – Schlagwort: Globalisierung – einschließen würde, bestätigt sich aber nicht. Die Frage, was wir mit der Subsistenz-Kohle in der Ukraine oder den nigerianischen Schlachtern zu tun haben könnten, stellt Workingman’s Death nicht.