Noch weiß man nichts Genaues über die neue Regierung, außer dass sie alle Hände voll zu tun haben wird – auch und gerade in der von Türkis-Blau sträflich vernachlässigten Kulturpolitik. Vier Fragen an vier Produzenten zur Zukunft der österreichischen Filmbranche.
Seit November vergrößern mit Apple TV und Disney+ zwei weitere potente Player das mittlerweile breite Angebot an Online-Plattformen. Für die österreichische Filmbranche bedeutet das neue Verwertungschancen, aber auch zusätzliche Konkurrenz. Die Produzenten sind sich einig, dass die nächste Regierung in dieser Phase der Transformation dringend nötige Schritte setzen muss: Sie fordern die Einführung eines Steuermodells, das Österreich international konkurrenzfähig macht; eine Mittelaufstockung des Filminstituts und eine gesetzliche Verpflichtung für den ORF, stärker in heimische Produktionen zu investieren.
Zusätzlich zu bestehenden VOD-Plattformen, Satelliten-TV, Sky und Netflix gibt es nun zwei weitere Anbieter von audiovisuellen Inhalten. Bedeutet das mehr Druck oder neue Chancen?
Alexander Dumreicher-Ivanceanu: Ich finde es grundsätzlich spannend, dass mit Plattformen wie Amazon und Netflix eine Dynamik in den Markt gekommen ist, durch die sich neue Erzählformen entwickelt haben, man könnte sagen, Mischformen zwischen Kino und Fernsehen. Dass dadurch in Europa mehr produziert wird, merkt man auch in Deutschland, wo seit etwa einem Jahr viele Filmschaffende komplett ausgebucht sind. Man spürt es auch in Österreich, weil auch hier mehr Filmschaffende für Netflix-Produktionen oder für andere Plattformen arbeiten. Andererseits rüttelt diese Entwicklung massiv den Kinomarkt durch. Weniger den Arthausbereich, aber das kommerziell orientierte Kino, weil junge Leute sich Filme eher nicht mehr im Kino ansehen. Insofern erlebe ich das sehr gespalten. Als ich bei der Viennale Mati Diops großartigen Kinofilm Atlantique gesehen habe, wo plötzlich „Netflix presents“ steht und man gar nicht weiß, ob es für dieses kinematografische Erlebnis nur eine Pro-forma-Kinoauswertung geben wird, um möglichst schnell in die Streaming-Auswertung zu kommen, dann tut mir das einfach weh.
Wie diese Entwicklungen weitergehen werden, ist unklar. Falls die Plattformen die Kontrolle über die Inhalte und die Verwertung haben werden, hätten wir einen extrem globalisierten Markt, mit Plattformen, die bestimmen, was gezeigt wird. Auch, indem sie selbst produzieren. Oder es setzen sich in diesem Kampf doch die Studios durch, die wie Disney nun zum Gegenschlag ausholen. Ein drittes Szenario wäre, dass es gelingt, das Netz auf der Streaming-Ebene demokratisch offen zu halten. Dass es also neben den globalen Playern auch starke regionale andere Anbieter gibt, egal ob Fernsehsender oder unabhängige Plattformen, und so eine globale Vereinheitlichung dieser Strukturen verhindert wird. Netflix hat das bereits erkannt und versucht in allen Ländern, wo sie präsent sind, auch regionale Filme und Serien zu produzieren, so wie auch Sky. Netflix ist aber zugleich hoch verschuldet, und wie lange sie diese Strategie des radikalen Wachstums durchhalten werden, ist unklar. Die Plattformen brauchen ja immer neue, zudem sehr diversifizierte Inhalte, sonst verlieren sie ihr Publikum an die Konkurrenz. In den USA gibt ein durchschnittlicher Mittelschicht-Haushalt über 100 Dollar pro Monat für Streaming-Dienste aus aus – da ist wenig Spielraum für weitere ungebremste Expansion.
Helmut Grasser: Ich halte es durchaus für realistisch, für eine der Plattformen zu produzieren. Wenn die Produktion groß genug ist und vom Thema her den deutschsprachigen Raum abdecken kann, dann gibt es Chancen. Wenn wir aber von einer zusätzlichen Verwertung für Kinoproduktionen sprechen, dann glaube ich nicht, dass auf diese Weise mehr Erlöse für Produzenten von einem kleinen Markt wie unserem zustande kommen. Konkret: Wir haben mit Love Machine im Kino 140.000 Zuschauer erreicht, das ist ein gutes Ergebnis, dafür bekommt man auch einen Produzentenanteil. Aber die DVD-Verkäufe sind ja ziemlich eingebrochen, und jeder, der glaubt, das über Online-Verkäufe kompensieren zu können, der täuscht sich. Die großen Plattformen lizensieren solche Produktionen eher selten, den Verleihen gelingt es kaum, außerhalb der Kinoverwertung nennenswerte Lizenzerlöse zu generieren. Ein deutscher Verleih, der eine erfolgreiche österreichische Produktion kauft, kann sich in der Regel nicht aus den Fernsehverkäufen finanzieren. Man sieht auch, warum: Die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender strahlen fast keine Kinoproduktionen mehr aus, an denen sie nicht beteiligt sind. Und für die Plattformen ist Österreich ein zu kleiner Markt. Also ich kann die Chancen nicht erkennen, für uns ist die Situation tendenziell schwieriger geworden. Auch wenn wir in den vergangenen Jahren oft Glück und die erfolgreichsten Kinofilme in Österreich hatten, waren die Lizenzerlöse in Deutschland viel schwächer als in den Nuller-Jahren.
Jakob Pochlatko: Wir haben bereits von diesen Möglichkeiten profitiert. Wir haben gemeinsam mit Wiedemann & Berg Television sehr erfolgreich für Sky die erste Staffel von Der Pass gedreht. Das ist Anfang dieses Jahres gelaufen. Mitte Jänner werden wir mit den Dreharbeiten der zweiten Staffel beginnen. Das heißt, bei uns wirkt sich das schon sehr konkret aus. Jede zusätzliche Plattform oder jedes Abspielgefäß, das Inhalte von Produzenten braucht, ist natürlich sehr willkommen.
Florian Gebhardt: Für mich ist das insofern relevant, als der gesamte Produktionsmarkt ordentlich in Bewegung gekommen ist, es gibt einfach einen größeren Bedarf an neuem, originärem Programm. Das macht es für uns spannend. Aber wir produzieren sehr viel für den ORF, auch weil er bis heute der stärkste fiktionale Content-Motor und Satirecontent-Motor in Österreich ist. Mit dem Aufkommen der VOD-Plattformen gibt es darüber hinaus zusätzliches Potenzial, was uns insofern entgegenkommt, weil unser Ziel ist, unterhaltsame, relevante Geschichten zu erzählen. Wir haben eher einen Engpass an Abnehmern als an Ideen, insofern haben wir die Möglichkeit, auch anderen Partnern unsere Ideen und Stoffe anzubieten.
Hat man als österreichischer Produzent überhaupt eine Chance, bei Netflix zu landen? Werden Sie sich für die Zukunft anders aufstellen?
Dumreicher-Ivanceanu: Aus Sicht der Amour Fou bzw. hinsichtlich der Finanzierungsfrage von Kinofilmen hat das Thema Streaming noch keine Relevanz. Die Filme, die wir in den nächsten zwei Jahren herausbringen werden, sind alle klassisch finanziert. Das heißt, über den Mix aus Filmförderungen, Lizenzvorverkäufen, Regionalfonds, Eigenmitteln usw. Für den künstlerischen Film ist das Kino als primäre Verwertungsform wichtig. Aber in weiterer Folge sind auch Streaming-Plattformen interessant, man sieht das etwa am Beispiel von Sudabeh Mortezais Joy. Der Film wurde nach seinen Festival-Erfolgen auf Netflix gestreamt und kam international dadurch relativ groß heraus. Das heißt, dass auch ein radikaler Autorinnenfilm wie Joy auf diese Art und Weise ein großes Publikum erreichen kann. Darin liegt also auch eine Chance, gerade auch in der Verwertung von Arthaus-Produktionen. Ich glaube aber eher nicht, dass das in Österreich kurzfristig Auswirkungen auf die Finanzierung von Filmen haben wird. Das ist für mich auch stimmig, weil das Österreichische Filminstitut und FISA auf einer Kinofilmförderung basieren. Die Gefahr besteht ja, dass sich große Plattformen oder Studios als Trojanische Pferde verkleiden und dann Produkte, die nur für Streamingdienste gedacht sind, als Kinofilme tarnen und durch europäische Förderungen finanziert werden. So etwas halte ich für schwierig. Im Fall von Atlantique wäre es interessant zu wissen, wie das eigentlich möglich war: Da stecken Gelder von Eurimages und anderen europäischen Förderungen drin, zugleich bestimmt Netflix die Verwertung. Ob das das Ziel von öffentlicher Filmförderung in Europa ist, sollte man schon einmal kritisch hinterfragen.
Man muss bei der Verwertung jedenfalls unterscheiden zwischen Spiel- und Dokumentarfilmen. Mein Gefühl ist, dass Dokumentarfilme durch Streaming tatsächlich stärkere Möglichkeiten für die Verwertung haben, insbesondere durch Untertitelung in verschiedenen Sprachen. In Deutschland gibt es bereits einige Produktionsfirmen, die sich auf „Autoren-Dokumentarfilme“ spezialisiert haben und größere serielle Produktionen für Plattformen entwickeln. Das ist doch eine interessante Entwicklung.
Dass wir die Amour Fou deswegen aber strategisch anders aufstellen, ist nicht geplant; wir werden sicherlich keine erweiterte Service-Produktion für plattformgesteuerte Serieninhalte. Was ich mir aber gut vorstellen kann, ist, dass es zu einer Zusammenarbeit bei einzelnen Projekten kommt, auch mit Netflix. Da sind wir offen.
Pochlatko: Man hat auch als österreichischer Produzent absolut eine Chance, auf Netflix zu kommen. Falls die Plattformen eine neue Art sind, Inhalte zu konsumieren, werden trotzdem Geschäftsbeziehungen auf die gleiche Weise wie bisher entstehen, immer noch durch den persönlichen Kontakt. Und da habe ich das Gefühl, dass speziell auch österreichische Inhalte im Rahmen des deutschsprachigen Raumes durchaus auf Interesse stoßen. Ich hoffe sehr, dass es auch einmal rein österreichische Produktionen auf den Plattformen geben wird. Aber auch schon unsere Koproduktion Der Pass war sehr österreichisch gefärbt, wir hätten nicht erwartet, dass das auch bei den Redaktionen so willkommen ist. Da war zu sehen, dass Österreich aufgrund des großen kreativen Potenzials schon einen Stellenwert hat. Das passt natürlich gut zum Mantra der Plattformen, dass man regionale Inhalte auf globale Art darstellen sollte.
Wir werden aber nicht aufgrund der zusätzlichen Programmanbieter unsere Ausrichtung verändern, das ist eher so, weil ich schon viele Agenden im Unternehmen übernommen habe und aus anderen Lebenswelten schöpfe als mein Vater. Möglicherweise bin ich näher dran, wie man bei den Plattformen einen Nerv trifft, weil sie großteils doch eine jüngere Zielgruppe adressieren.
Gebhardt: Dass das möglich ist, hat gerade die Satel Film mit der Serie Freud (für ORF und Netflix produziert, Anm.) bewiesen. Ich glaube, es ist immer möglich, sofern man eine passende, relevante Geschichte hat, die originär erzählt und spannend genug ist, um ein weltweites Publikum zu erreichen. Auch wir arbeiten an Projekten, die auch für den VOD-Bereich gedacht sind. Das Spannende daran ist, dass man Nischenprogramm herstellen kann, das zugleich an die ganze Welt adressiert ist. Das kann ein regionaler Sender kaum leisten, weil man da zu wenig Publikum für die Quote erreichen würde. VOD-Plattformen sind aber kein Ersatz für das regionale Fernsehen, sie sind ein Add-on, um weitere Geschichten zu erzählen.
Gerade in solchen Umbruchsphasen kommt öffentlich-rechtlichen Sendern eine besondere Rolle zu. Sehen Sie den ORF weiterhin als verlässlichen Partner? Oder sehen Sie dort vielmehr dringenden Adaptierungsbedarf?
Dumreicher-Ivanceanu: Ich hoffe, dass die neue Regierung, wie auch immer sie sich zusammensetzen wird, sich zu hundert Prozent zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekennt. Da geht es um die Frage der Meinungsfreiheit, um kritischen Journalismus, um Geschichten aus der Lebenswelt der Menschen, um Sprache, um Kunst, um Kultur. Aber natürlich unter der Prämisse, dass der ORF auch sich selbst zur österreichischen und europäischen Kultur, zum Film, zur Musik, bekennt, das muss man immer wieder einfordern. Natürlich wünsche ich mir, dass der ORF, der in den vergangenen Jahren Schwierigkeiten hatte, die Produktionsbudgets stärkt, und zwar aus zwei Gründen: Es sollen österreichische und europäische Inhalte im ORF stark vertreten sein, und Budgetkürzungen haben Auswirkungen auf alle in der Filmwirtschaft. Man kann nicht mit gleichbleibenden, aufgrund der Kostenentwicklung de facto sinkenden Budgets immer höhere Qualitätserwartungen erfüllen. Es gibt eine Aufbruchsstimmung im Streaming- und auch im Fernsehbereich, und man sollte schauen, dass man international mithalten kann. Also, man muss den ORF stärken, aber dieser muss auch die österreichische Filmbranche stärken.
Grasser: Der ORF hätte, ich betone, hätte in Zeiten wie diesen eine wichtige Rolle für die Produzenten. Wenn man aber bei der Fiction ein Drittel einspart, kann er diese Rolle nicht erfüllen. Dazu hat er auch noch ein Quotenproblem. Aus meiner Sicht wird der ORF derzeit seiner Verantwortung nicht gerecht. Der ORF hat schon länger ein Strukturproblem, das weiß man. Von einer Milliarde Jahresumsatz fließen rund 350 Millionen in das gesamte Programm von Fiction bis zu den Nachrichten. Da fragt man sich zu Recht, wo das restliche Geld hingeht. Der ORF erhält doppelt so viel Gebührengeld, wie er für das gesamte Programm ausgibt, also die Werbeeinnahmen nicht eingerechnet. Ich sehe nicht, dass dieses Strukturproblem besser geworden ist, sondern eher schlechter. Dabei setzen zur gleichen Zeit die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender massiv auf Fiction, die geben richtig viel Geld aus. Damit punkten sie auch. Und sie schätzen mittlerweile auch das Programm, das wir in Österreich produzieren. Die österreichische Sprachfärbung ist dabei gar nicht mehr so ein Problem, vielleicht sogar schon ein Vorteil. Für Deutschland zu produzieren, setzt aber logischerweise voraus, dass auch der ORF bei der Produktion dabei ist. Und da bleiben derzeit leider wirklich viele Chancen liegen. Ein neues Rundfunkgesetz mit einer Verpflichtung des ORF, eine Mindestsumme in österreichische Produktionen zu investieren, wäre also dringend nötig. Ich denke: Wer Gebühren zahlt, soll dafür auch etwas bekommen.
Pochlatko: Der ORF ist nach wie vor ein sehr verlässlicher Partner und Hauptpartner der epo Film. Allerdings gibt es aus meiner Sicht schon Anpassungsbedarf. Wenn man sich ansieht, wie verschwindend der Anteil von fiktionalem Budget gemessen am Gesamtbudget ist, sollte man sich dringend Strategien überlegen. Junges Publikum, das sich mittlerweile stark bei Plattformen wiederfindet, kann man als ORF nur mit entsprechenden Inhalten halten oder zurückholen. Es wäre deshalb wichtig, ein ordentliches Budget mit jüngeren, mutigen Inhalten zur Verfügung zu stellen, und durchaus etwas zu riskieren. Das ist ganz, ganz wichtig, um überhaupt gegen diese Plattformen bestehen zu können. In den Redaktionen wird dieser Bedarf schon erkannt, aber tatsächlich geht die Bewegung eher Richtung Abschlanken, und Geld wird von der Fiction zu anderen Formaten abgezogen.
Gebhardt: Im ORF befindet man sich in einem Transformationsprozess. Mit dem Aufkommen der digitalen Plattformen hat sich auch das Seherverhalten verändert. Das ist ein Bereich, in dem der ORF Adaptierungsbedarf hat. Zum einen ist der Gesetzgeber gefordert, um die notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen. Zum anderen würde das dann auch eine andere Form der Produktion ermöglichen. Ich würde schon sagen, dass der ORF nach wie vor ein verlässlicher Partner ist, und das muss er auch in Zukunft bleiben. Ohne einen starken nationalen Bewegtbild-Content-Partner wird man sich auch international schwer tun. Was die Diskussion über die Budgetausgaben des ORF betrifft, das kann ich nicht beurteilen. Aber grundsätzlich finde ich es richtig, dass man ein Auge auf das Herz des Senders wirft, nämlich die Content-Produktion, weil das die Grundberechtigung ist, dass es diesen Sender überhaupt gibt. Was die Altersstruktur des Publikums betrifft: Wichtig wäre, dass man zusätzlich ein starkes non-lineares Angebot aufbaut und neue Produktionsformen findet, mit denen man auch ein junges Publikum ansprechen kann. Dafür braucht man neue Wege. Ich sehe zwar Bewegung, aber die Rahmenbedingungen sind noch nicht vorhanden. Konkret wäre eine Frage: Was darf ich als ORF für den Onlinebereich überhaupt herstellen. Die Antwort: de facto kaum etwas, das nicht zuvor linear ausgestrahlt wurde. Man sollte deshalb darüber nachdenken, den ORF nicht nur als Fernseh- und Radiosender zu verstehen, sondern generell als österreichischen Content-Generator, der relevanten Content herstellt und auf allen medialen Plattformen seinem Publikum zur Verfügung stellt. Dann würde sich auch in der Art der Verwertung einiges ändern. Einschränkungen aus Wettbewerbsgründen sehe ich nicht zielführend, außer man möchte den Sender umbringen.
Das Österreichische Filminstitut verfügt über ein jährliches Budget von 20 Millionen Euro, der Betrag wurde aber seit 2013 nicht erhöht. Braucht Österreich zusätzlich ein Steuermodell, um die Branche stärker zu kapitalisieren?
Dumreicher-Ivanceanu: Wir haben tolle Filmemacherinnen und Filmemacher, der Erfolg des österreichischen Kinos in den vergangenen 20 Jahren bringt aber mit sich, dass die Budgets wachsen, weil die Projekte komplexer werden, während zugleich neue Talente nachwachsen. Daraus ergibt sich ein Dilemma: Wollen wir die Filme der renommierten Filmemacher finanzieren, wird sich eine langfristige Förderung des Nachwuchses nicht ausgehen. Wir brauchen den Autorinnenfilm, der international denkt, genauso wie den kommerziellen Film für ein österreichisches Publikum, das alles kann sich aber mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr ausgehen. Wichtig für ein kleines Land wie Österreich wäre es zudem, dass wir auch international produzieren. Die Zahl internationaler Koproduktionen ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen, was damit zu tun hat, dass wir uns auf heimische Talente konzentrieren. Das ist sicherlich eine nachvollziehbare Entscheidung, aber die internationale Vernetzung hat darunter gelitten. Die Lösung liegt in einem ersten Schritt in einer sofortigen Aufstockung der Mittel für das ÖFI, den RTR und für den Innovativen Film im BKA. Dabei sollten wir die Stärkung des Nachwuchses, die Umsetzung der Geschlechter-Gerechtigkeit in der Filmbranche sowie die Vielfalt und Diversität in der Branche und in den Filmen selbst ins Zentrum der Strategie stellen. Und in einem zweiten Schritt in der Umsetzung eines Steuermodells, wobei ich dafür eintrete, dass wir in Österreich das erste Grüne Steuermodell für Film weltweit umsetzen. Ein innovatives „Green Tax Incentive“ wäre ein starkes Signal für nachhaltiges Produzieren, das eine Dynamik in Österreich und international auslösen würde.
Grasser: Eigentlich waren unsere Gespräche mit der vorigen Regierung schon sehr weit, dann kam uns das Ibiza-Video dazwischen. Ein Steuermodell war bereits im Mai im Rahmen einer Steuerreform im Ministerrat beschlossen. Das hätte uns wirklich konkurrenzfähig gemacht. Die Idee eines Steuermodells ist ja auch schlüssig: Ein Zahnarzt oder eine Gesellschaft, die Gewinne macht, erhält einen großen Vorteil, wenn sie in einen Film investiert, natürlich unter bestimmen Auflagen. Im Gegenzug verzichtet der Staat auf Steuereinnahmen. Was das bewirkt, kann man in Belgien sehen, wo das Steuermodell einen Boom zur Folge hatte. Da konnten zahlreiche Produktionen aus Frankreich angezogen werden. So hätten auch wir größere Produktionen aus Deutschland angezogen, oder auch mit Deutschland gemeinsam realisiert. Das würde auch die direkte Förderungsabhängigkeit vermindern, die ich langfristig für nicht sehr klug halte. Das Steuermodell wäre für die unterschiedlichsten Formen offen gewesen: für Plattformen, für Fernsehstationen und Kinofilme. Damit hätten wir tatsächlich weit größere Chancen, für Plattformen zu produzieren. Damit würden wir konkurrenzfähig werden, weil wir bei den Löhnen mit den Tschechen und Ungarn nicht konkurrieren können.
Pochlatko: Ein Steuermodell halte ich dringend für die Attraktivierung des Filmstandorts notwendig. Bei den meisten unserer Nachbarländer gibt es das schon, wir haben bei internationalen Koproduktionen einen echten Wettbewerbsnachteil. Dass das Steuermodell eine absolute Win-win-Situation ist, wurde ja schon mehrfach belegt. Und auch das Filminstitut, das wirklich gute Arbeit macht, braucht eine Budgeterhöhung. Produktionen werden von Jahr zu Jahr teurer, durch die Kollektivverträge, die Dienstleister, die Kosten bewegen sich linear nach oben. Bei den Produktionsfirmen wird es dadurch enger, was zugleich heißt: Man hat weniger Möglichkeiten, in Entwicklungen, insbesondere riskante, mutige Entwicklungen zu investieren.
Gebhardt: Das derzeit besprochene Steuermodell, das sich für Kino und Fernsehen gleichermaßen öffnen würde, fände ich sehr relevant. Wir haben einen riesigen Incentive-Nachteil gegenüber anderen Ländern. Abgesehen von der Qualität der Filmschaffenden und den tollen Landschaften Österreichs fehlt uns ein Argument, hierherzukommen. Da müssen wir nachziehen, wenn wir weiter eine florierende Produktionswirtschaft halten wollen.