Zum Kinostart: Das Regieduo Daniel Hoesl und Julia Niemann im Interview zu seiner mörderisch-glanzvollen Satire „Veni Vidi Vici“.
Von vielen verehrt, von vielen verfilmt, vielleicht von zu wenigen verachtet: die sogenannten Superreichen. Im neuen Spielfilm von Daniel Hoesl und Julia Niemann, die in verschiedenen Konstellationen seit gut zehn Jahren gemeinsam Filme machen, die tief und ungewöhnlich ins Rückenmark des Kapitalismus und der Milliardärskultur bohren, folgen wir Familie Maynard: Amon Maynard ist mächtiger Investor, seine Frau Viktoria Top-Juristin, der Erfolgsweg der, gelinde ausgedrückt, selbstbewussten Tochter Paula somit vorgezeichnet. Amon ist derart gut mit Politik und Gesetz vernetzt, dass er hobbymäßig tödliche Verbrechen verüben kann, ohne dafür mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Tatsächlich ärgert ihn, neben dem Ausbleiben einer Schwangerschaft seiner Frau, zunehmend nur eines: Dass niemand es schafft, ihn zur Strecke zu bringen. Immer nervenaufreibender reichen sich in Veni Vidi Vici so das Absurde und das Mörderische die Hände zu einem schaurig-schönen Tanz. Ein Gespräch über Filmvorbilder, trügerischen Hochglanz und produktiven Ärger.
Das Genre der Reichensatire hat Hochkonjunktur. Ihre Version sticht durch eine besondere Fragestellung heraus: Wie schon in anderer Ausprägung in „WinWin“ (2016) sind die treibenden Kräfte der Handlung in „Veni Vidi Vici“ ein superreicher Mann und seine Familie, die, diesmal sehr drastisch, schwer illegal handeln – wobei er, Amon Maynard, mit Fortdauer alles dafür zu tun scheint, endlich erwischt und für seine Taten belangt zu werden. Wie kommen sie zu dieser Prämisse und was macht sie so bedeutsam?
Daniel Hoesl: Zum einen liegt dem eine langjährige Recherche zugrunde, zum anderen hat das damit zu tun, dass wir beide Arbeiterkinder sind. Wobei das Wissen darum, dass es viele „Gleiche“ gibt und eben jene, die vor dem Gesetz „gleicher“ sind als der Rest, gar nicht so viel Recherche erfordert. Dieses Wissen liegt sozusagen auf der Straße, es ist Alltagswissen. Unser Antrieb ist es jedoch, sich nicht damit abzufinden. Denn das kann und will ich nicht.
Julia Niemann: Und das psychologische Phänomen des Gestoppt-werden-Wollens finden wir einfach sehr interessant. Milliardäre haben scheinbar grenzenlose Macht, und alles, was sie anfassen, wird zu Gold. Wenn sie etwas richtig Hässliches am Kunstmarkt kaufen, wird es plötzlich äußerst wert- und geschmackvoll. Wenn sie eine Lüge erzählen, wird das die Wahrheit. Wenn sie ein Unrecht begehen, sorgen ihre Anwälte dafür, dass es Recht wird und vielleicht sogar Gesetz. Angesichts dieser schier unendlichen Potenz liegt es psychologisch, glaube ich, nahe, dass diese Leute nach einer Art Begrenzung suchen – denn nur dann spürt man sich. Nur wenn sie irgendwo an eine Grenze stößt, kann man seine echte „Größe“ wirklich fühlen. Das ist jedenfalls das, womit Amon Maynard spielt. Und dann gab es da ja noch dieses Film-Vorbild …
Das vollständige Interview lesen Sie in unserer Printausgabe 09/24
D.H.: Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger von Elio Petri („Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto“, Oscar für den besten fremdsprachigen Film 1971, Anm.). Mir ist es – da ich selbst eine gewisse „sympathy for the devil“, also für die „Übermächtigen“ und Superreichen habe – immer wichtig, in den Raum zu stellen, dass wir diese Haltung dechiffrieren müssen. Wir, die wir so viele sind, hätten es als Masse in der Hand, diese Verhältnisse zu verändern. Im Kino und auch in der Literatur bin ich dementsprechend immer auf der Suche nach Geschichten, in denen es um dieses Thema geht.
J.N.: In Petris Film geht es um einen Polizeichef in Rom, der seine Geliebte umbringt und dann die Mordermittlungen dazu aufnimmt – und gewissermaßen herausfindet, dass er es nicht gewesen sein kann. Denn alle Kollegen geben ihm zu verstehen, dass er ja selbstredend als Täter nicht infrage kommt. Schlussendlich deshalb, weil es ein Widerspruch wäre, wenn der „Kopf“ von Recht und Ordnung gleichzeitig ein Schuldiger wäre. Das ist bei uns in Veni Vidi Viciganz ähnlich. Amon ist „too big to fail“.
Sie recherchieren schon lange in der Welt des großen Geldes, unter anderem entstanden Ideen für „Veni Vidi Vici“ bereits im Recherche-Prozess für „WinWin“. Sie sprachen davon, dass es durchaus große Bereitschaft vonseiten etwa Milliardären gibt, aus ihrem Leben zu erzählen. Das ist dem gerade Besprochenen nicht so unähnlich: Wenn man sich nicht angreifbar wähnt, kann man ruhig alles ausplaudern.
D.H.: Im Privaten ist es eigentlich sehr einfach. So wie bei allen Jägern, Sammlern und Fischern, die immer gern damit prahlen, welch große Fische sie beispielsweise aus dem Wasser ziehen. Wenn es um Journalismus geht, dann passiert das natürlich nicht. Aber wenn wir ein Vertrauensverhältnis zu Protagonisten aus diesem Milieu aufbauen können, dann erzählen sie uns Dinge, wie andere Leute es am Stammtisch tun. „Hinausgehen“ darf das klarerweise nicht, doch wir gehen eben nicht journalistisch auf die Recherche, sondern als Filmschaffende. Aus diesen verschiedenen Geschichten verschiedener Menschen kreieren wir dann eine Melange – beziehungsweise destillieren wir sie eher zu einem Caffè corretto.
J.N.: Ich erinnere immer an Donald Trump, der öffentlich gesagt hat, er könnte am helllichten Tag auf der Fifth Avenue jemanden erschießen und würde trotzdem gewählt werden. Also, manche Leute formulieren so etwas auch ganz offensiv.
Vor allem hinsichtlich der visuellen Darstellung der Maynards und ihres Zuhauses, ihres Lebensstils, aber auch durchgehend in der Bildgestaltung ist die Inszenierung betont schön, brillant, ganz glatt. Das scheint auch als Strategie dafür nützlich, das Publikum mit dieser Schönheit zu betören, woraufhin es immer wieder „stolpert“, sich ertappt fühlt – schließlich will man diese wirklich sehr bösen Menschen und ihre Handlungen doch eigentlich verachtenswert finden. Andererseits wird auch dargestellt, wie Außenstehende, die Widersacher der Maynards, in dieser „cleanen“ Welt nichts ausrichten können.
D.H.: Zunächst ist das Glatte und das Gekerbte ja eine Idee, die von Gilles Deleuze und Félix Guattari kommt, und Deleuzes Philosophie war es, die mich überhaupt erst zum Kino gebracht hat. Genauer seine Kino-Bücher, ohne sie hätte ich mich gar nicht für Kino zu interessieren begonnen. Hier in diesem Fall stellt das Glatte für jene, die seine Konventionen nicht kennen, weil sie aus einem anderen Milieu stammen, auch einen gefährlichen Boden dar, auf dem sie schließlich unweigerlich ausrutschen. Außerdem ist das Glatte oft das Simulacrum, das Vorbild, das viele Leute sich ersehnen – und das uns auch blendet. Milliardäre und Superreiche nützen das natürlich, sie können es sich schließlich leisten, dass alles dermaßen toll aussieht. Diese Ästhetik unterstreicht zudem das paradoxe Element, das eine solche Satire ausmacht, weil wir uns damit natürlich auch selbst in die Falle gehen.
J.N.: Die Idee dahinter kommt sicher auch aus unserer Recherche, wo wir dieses „Stolpern“ selbst oft erleben. Weil die Welt der Reichen häufig einfach sehr schön ist. Da kann man zu Platon zurückgehen, wonach wir als Menschen es quasi in uns haben, dass das Schöne das Gute ist und das Lebenswerte, und es eben auch moralische Schönheit bedeutet. Ich glaube, dass die Menschen deswegen viel eher jene hassen, die vermeintlich „unter“ ihnen stehen – Obdachlose, Geflüchtete, die Nicht-so-Schönen ì –, als die, deren Leben sie bewundern und vielleicht selbst begehren. Das Schöne adelt die Taten der Reichen: Es scheint, dass sie ja etwas richtig gemacht haben müssten, dass sie sich ihren Reichtum verdient hätten. Jedenfalls wollten wir einen Film machen, der hell ist, luzide, vielleicht wie eine Skulptur von Jeff Koons, so glänzend, dass man sich darin wiederum selbst im Spiegelbild erkennt.
D.H.: Unser Kameramann Gerald Kerkletz würde vielleicht sagen, dass wir die Welt in Licht und Schatten unterteilt und den Schatten dann einfach weggelassen haben. Wir haben nur gedreht, wenn es sonnig war. Das war eine große Herausforderung, wobei ironischerweise der Klimawandel geholfen hat: Wir hatten kaum Regen und es ist ein sehr sonniger Film geworden.
Diese „cleane“ Optik macht auch vor den Gewaltakten nicht Halt. Wieso fiel bei der Frage danach, in welcher Form die Hauptfiguren ihr Über-dem-Gesetz-Stehen ausreizen, die Wahl gerade auf eine kaltblütige Mordserie?
D.H.: Auf mich wirken Morde in Filmen immer dann am stärksten, wenn sie im Off stattfinden. Denn mich schreckt „Gore“ weniger als Ungewissheit, auch als die Ungewissheit bezüglich des Gewissens von Gut und Böse. Diese trifft dann nämlich wiederum mein eigenes Gewissen umso mehr.
J.N.: Und im weitesten Sinne entspricht das einfach dem Fakt, dass Milliardäre „morden“: Nehmen wir Nicolas Berggruen als Beispiel, der damals Karstadt für einen Euro gekauft hat und entgegen seinen Versprechungen zig Arbeitsplätze abgebaut hat, während er selbst sich bereicherte. In solchen Fällen verlieren mitunter Tausende von Menschen ihre Existenz, was wiederum – ich spekuliere natürlich nur – zu allem möglichen führen kann, zu Alkoholabhängigkeit, zu Selbstmorden ì
D.H.: Zu Perspektivlosigkeit. Da werden Leben zerstört.
J.N.: Aber natürlich passiert dieser „Mord“ nicht in Armlänge, er ist nicht blutig, nicht unmittelbar, der Milliardär weiß überhaupt nichts von dem, was er anrichtet. Es gibt keinen Kontakt. Vergleichbar vielleicht mit einem Knopfdruck, der irgendwo weit entfernt eine Bombe hochgehen lässt, nur noch „sauberer“.
D.H.: Man schmückt sich sogar damit. Gerade erst vor kurzem habe ich gelesen, dass die Firma Dyson in Großbritannien ein Viertel der Stellen kürzen will, begründet mit „entrepreneurial spirit“. Der Aktienkurs ist gleich gestiegen, weil die Kosten ja potenziell sinken. Zum Stichwort „entrepreneurial spirit“ fällt mir wieder Joseph Schumpeter ein, der in Österreichisch geborene Theoretiker, der Begriffe wie eben diesen „Unternehmergeist“ oder auch „creative destruction“ geprägt hat, die bis heute einflussreich in der Wirtschaft sind. Toll, dass die österreichische Wirtschaftsphilosophie so einen wesentlichen Beitrag zum Kapitalismus geleistet hat.
Was also tun … Einerseits könnte man den Film sehr pessimistisch lesen, weil jene zwei Individuen, die dem Treiben der Maynards ein Ende bereiten wollen, fatal scheitern. Oder bedeutet das nur, dass man eben als Einzelperson nichts ausrichten kann, sondern wenn, dann im Kollektiv?
J.N.: Konkrete politische Maßnahmen wollen wir mit dem Film nicht fordern, ich glaube gar nicht, dass ein Film das gut leisten kann. Aber wenn ich an die Fülle an Filmen zum Thema Superreiche denke, die anfangs erwähnt wurden, glaube ich, dass man aus den meisten davon mit einem guten Gefühl rausgeht. Weil das „Kill the rich“-Narrativ bedient wird. Und unser Film zeigt genau das Gegenteil: „The rich kill you.“ Da wird man den Kinosaal nur bedingt zufriedengestellt verlassen, wir wollen vielmehr, dass die Menschen wütend werden. Ich glaube, dass negative Gefühle wie Wut oder auch Neid in weiterer Folge produktiv werden können, weil sie zur Handlung anregen, weil man aus dem Schlamassel herauskommen will.
D.H.: Diese „Kill the rich“-Filme sind eben Märchen, denn es ist andersherum. Nur zu jammern reicht aber trotzdem nicht. Wir machen diese Filme, damit das Thema im Diskurs, im Gespräch bleibt, mehr kann man mit Film nicht erreichen.
J.N.: Viele Leute, die selbst nie etwas erben werden, geschweige denn jemals Millionäre oder gar Milliardäre werden, sperren sich gegen eine Reichen- oder Erbschaftssteuer. Auf jene, die zu viel haben, die ihnen etwas wegnehmen, weil sie etwa keine oder viel zu wenige Steuern zahlen, haben sie überhaupt keinen Hass. Wohl aber auf Leute, die ihrer Meinung nach in der „sozialen Hängematte“ liegen. Es gibt sie ja, die Wut in der Welt, aber sie richtet sich gegen die falschen Personen.
D.H.: Umgekehrt gibt es immer noch etwas wie die „Freizeit Revue“, in der allerlei Stars und Adelige verehrt werden. Mit anderer Haltung könnte das ja ein wirklich revolutionäres Blatt sein, das hinausruft: „Schaut euch an, was diese Prinzen wieder aufführen! So leben sie, da und dort wohnen sie, lassen wir ihnen das nicht mehr durchgehen!“
Im Film ist die Frage danach, wie das alles weitergehen soll, an Fragen der Familie geknüpft: Es ist Amon Maynard sehr wichtig, mit seiner zweiten Frau ein Kind zu zeugen. Der Tochter aus einer früheren Ehe, Paula, kommt jedoch mittels Voice-over die Rolle der Erzählerin zu, die verdeutlicht: Die Skrupellosigkeit der Unantastbaren wird weitervererbt.
J.N.: Das Voice-over für Paula habe ich erst im Schnittprozess geschrieben, Daniel hatte den Film aber eigentlich immer schon als Familien- und Coming-of-Age-Film angelegt. Es geht diesen Menschen um „legacy“, um ein Vermächtnis. Den Hedonismus suchen die Superreichen gar nicht so sehr, mehr die Weiterführung ihrer Linie, sie wollen fest in die Geschichte eingehen. Auf der anderen Seite bedeutet das natürlich, dass die Geschichte der Maynards dieser Welt immer so weitergehen wird, wenn wir nichts dagegen tun. Wir haben Paula diese Stimme gegeben, um einen Einblick in die Weltsicht von jungen Menschen zu schaffen, die in so einer besonderen Position sind.
D.H.: Und was sie sagt und denkt, ist unerträglich. Es regt nachhaltig auf, so etwas zu hören. Dieses Gefühl davon, dass etwas einfach nicht sein darf, hallt nach. Beispielsweise habe ich das nach Michael Hanekes Funny Games so erlebt. Wir haben einen Film gemacht, von dem wir wollen, dass er dem Publikum aufstößt, sodass sich die Leute vielleicht fragen, was sie tun können. Es gibt ja hunderte, tausende Möglichkeiten, sich zu engagieren – auch abseits davon, völligen Konsumverzicht oder Ähnliches zu propagieren.
J.N.: Beim Miteinander-Sprechen fängt es an.
D.H.: Versuchen, andere Leute zu überzeugen, dabei die eigene Familie miteinbeziehen. Nicht mehr einfach nichts sagen, sondern Kontra geben. Und schlussendlich eine Multitude werden.
J.N.: Und unser Beitrag dazu ist diesmal der Versuch, die Wut der Menschen in die richtige Richtung zu lenken.