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Goran Rebic

Interview

Zwischen den Stühlen

| Günter Pscheider |
Goran Rebić im Gespräch über seine Wurzeln in Wien-Margareten und in Jugoslawien, seine Rebellion gegen Axel Corti und fatale Kettenreaktionen.

Bei manchen Regisseuren nimmt man es kaum wahr, wenn sie 15 Jahre lang keinen Film gedreht haben, bei anderen fällt es vielleicht auf, aber man quittiert ihre Abwesenheit höchstens mit einem Achselzucken, und bei einigen wenigen fragt man sich leicht wehmütig, was aus ihnen geworden ist und wünscht sich eine Fortsetzung ihrer Karriere. Zur dritten Kategorie zählt zweifellos Goran Rebic´, der zwischen 1992 und 2003 einige der interessantesten Arbeiten im österreichischen Kino schuf. Sowohl bei den Dokumentarfilmen Am Rande der Welt und The Punishment als auch bei den Spielfilmen Jugofilm und Donau, Dunaj, Duna, Dunav, Dunarea fällt sofort die große Sensibilität auf, mit der er schwierige Themen wie Migration, Sprachlosigkeit oder die Folgen des Jugoslawien-Krieges in bestechende Bilder packt. Ein Gespräch mit dem leidenschaftlichen Filmemacher und Kinogeher enthüllt das ohnehin Vermutete: Er kommt von der Arbeit am Film nicht los, und so besteht vielleicht Hoffnung, dass es eines Tages doch wieder einen Goran-Rebic´-Film geben wird.

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Wie sind Sie eigentlich zum Film gekommen?
Goran Rebić: Ich bin in Wien-Margareten aufgewachsen, zwischen dem Schlössl-Kino, wo ich regelmäßig alle Kindervorstellungen besuchte, unter anderem die deutschsprachigen Winnetou-Filme, in denen jugoslawische Schauspieler und Statisten in der überwältigenden Karstlandschaft der blauglitzernden Plitvicer Seen das stolze Indianervolk verkörperten; und auf der anderen Seite dem Filmcasino, das damals noch das Kulturzentrum der jugoslawischen Gastarbeiter beherbergte, wo ich neben langweiligen, heimatlichen Folkloreveranstaltungen auch die höchst aufwendigen Partisanenepen mit Hollywoodstars wie Orson Welles, Richard Burton oder Yul Brynner sah, in denen Jugoslawen gegen Deutsche und Österreicher aufopfernd für die Freiheit starben. Als klassifiziertes Gastarbeiterkind und zugleich Gymnasiast an einer der besten Schulen im Wien der Nachkriegszeit hatte ich das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sein. Dieser soziale und kulturelle Zwiespalt hat mich stark geprägt. Filme zu machen, erschien mir als eine Möglichkeit, diese gegensätzlichen Welten in mir künstlerisch zu verbinden.

Auf welchen Ihrer Filme sind Sie am meisten stolz?
Goran Rebić: Gekommen bin ich der Arbeit wegen war mein erster Film, den ich auf Super-8 gedreht habe. Darin erzählt mein Vater mit einem Koffer in der Hand über seine ersten Schritte als junger Migrant in Österreich, bevor meine Mutter und ich (einjährig) nachgezogen sind. Eine Mischung aus Dokumentarfilm und Roadmovie, in dem Vater ein paar seiner Erfahrungen selbst nachspielt. Mit dem Film wurde ich an der Wiener Filmakademie aufgenommen, wo ich meine wesentlichen filmischen Auseinandersetzungen und auch Gefährten und Gefährtinnen gefunden habe. Heute sehe ich in diesem Kurzfilm nicht nur meine filmische Handschrift angelegt, sondern auch den Versuch, erstmals meine Zugehörigkeit öffentlich zu verhandeln. Inspiriert war ich damals von Mehdi Charefs Tee im Harem des Archimedes, dem ersten Film aus der Pariser Banlieue, der die Migrationsthematik auf die Leinwand brachte. Mein Super-8-Film ist eines der wenigen Dokumente dieser Art in Österreich geblieben.

Was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen in Ihrer Filmkarriere?
Goran Rebić: Nach fünf Jahren Studium an der Filmakademie beharrte Axel Corti, bei dem ich letztlich Regie studierte, darauf, dass ich einen erklärenden Kommentar über meinen Dokumentarfilm Am Rande der Welt lege, den ich gerade in der unabhängig gewordenen Sowjetrepublik Georgien gedreht hatte. Eine Unmöglichkeit für mich. Die Bilder sollten für sich sprechen, ich wehrte mich stolz und verließ die Schule. Aus heutiger Sicht hätte ich das Voice Over selbst gesprochen und den Austausch mit meinem rigorosen Lehrer fortgesetzt. Dieser Meister-Lehrling-Dialog hat mir gefehlt, das holte ich später in meinen Begegnungen mit Dušan Makavejev nach. Ich bin früh und oft ins kalte Wasser gesprungen und hätte mir gerne Ratschläge geholt über all jene Dinge, die man nicht an der Schule lernt. Wenn ich retrospektiv noch einen Wunsch frei hätte, würde ich alle meine vorschnellen Absagen zu anderen Projekten zurücknehmen. Ob ein Stück am Theater zu inszenieren, einen Krimi fürs Fernsehen zu drehen, oder Geschichten von anderen Drehbuchautoren zu realisieren, all das lehnte ich ab, um nur nicht von den eigenen Sachen abgelenkt zu werden.

Was sind die Gründe dafür, dass Sie nach Donau… schon längere Zeit keinen Kinofilm mehr realisiert haben?
Goran Rebić:
Außer an einer Liebesgeschichte im Iran und einem Kriegsdrama in Serbien habe ich viele Jahre von Berlin aus an einer internationalen Koproduktion gearbeitet. Der geplante Film hieß Francuski und erzählte von einem der vielen europäischen Kommunistenkinder, das ohne Eltern in Stalins Straflagern überlebt und dann als erwachsener Gefangener versucht, mit allen Mitteln von der Insel Sachalin zu fliehen. Das Projekt hat mehrere Finanzierungsstrukturen durchlaufen, deutsch-russisch-polnisch-französisch-georgisch-österreichisch, am Ende ist alles in einer völlig unerwarteten Kettenreaktion zusammengebrochen, alle gewährten Herstellungsgelder wurden zurückgezahlt. Auch wenn ich mehrere Projekte hatte und es verschiedene Dynamiken und Zeitfenster dafür gab, stand ich irgendwann allein da, wie nach einer lauten Symphonie mit disso-nantem Schlusssatz.

Was haben Sie in der Zeit gemacht?
Goran Rebić: Ich habe Tabula rasa gemacht, mir eine lange Auszeit genommen und dachte zunächst, ich muss etwas ganz anderes machen. Ich wurde Vater und verbrachte meine Zeit mit Büchern und Filmen in der Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg – zwei Jahre schaute ich mir ausschließlich Filme der italienischen Kinematografie an, beschäftigte mich mit der Zeit zwischen den Weltkriegen und las die Werke der Holocaust-Literatur – und trotzdem, mit dem Schreiben und Entwickeln neuer Filmideen konnte ich nicht ganz aufhören. Nachdem ich lange Zeit das Glück hatte, regelmäßig Filme drehen zu können, habe ich dann über längere Zeit Filme praktisch nur geschrieben. Es scheint, mein Filmemachen verläuft wie eine Kugel, die keine gerade Linie zieht, sondern kreisförmig von Hügel zu Hügel rollt, dabei aber immer mehr an Geschwindigkeit und Kraft für das eigentliche Ziel gewinnt.

Womit sind Sie gerade beschäftigt? Gibt es noch Verbindungen zum Filmgeschäft, planen Sie neue Projekte?
Goran Rebić: Ich lebe jetzt wieder in Wien, unweit vom Kino meiner Kindheit in Margareten und arbeite an einem Essayfilm über Biografie und Geschichte zwischen Österreich und Serbien, Vergangenheit und Gegenwart. Mein Vater hat darin wie schon einmal eine initiale Rolle gespielt bis zu seinem Tod vor ein paar Monaten. Gleichzeitig treibe ich die ehemals aufs Eis gelegte Sachalin-Geschichte erneut vorwärts, die mich nicht loslässt. Daneben gibt es andere Projekte, die noch Zeit brauchen, um zu reifen.