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Zwischen den Zeilen / Doubles vies

Filmkritik

Zwischen den Zeilen / Doubles vies

| Jörg Schiffauer |
Sex, Lügen und Social Media

Olivier Assayas zählt unbestritten zu den wichtigsten Auteurs des Weltkinos, in seinen Filmen hat er Sujets aufgegriffen, die in Form und Umsetzung unterschiedlicher nicht sein könnten. Das Spektrum umfasst etwa die Louis-Feuillade-Paraphrase Irma Vep, den dystopischen Thriller Demonlover, das Drama um Drogenabhängigkeit Clean, das streckenweise dokudramatisch anmutende Biopic Carlos über den titelgebenden Terroristen, das 68er-Period-Piece Après mai oder den Mystery-Thriller Personal Shopper. Angesichts dieser Vielschichtigkeiten ist es keine große Überraschung, dass Assayas mit seiner aktuellen Regiearbeit wiederum ein neues Kapitel aufgeschlagen hat.

Doubles vies versammelt einen Reigen, dessen Protagonisten als Vertreter jenes liberal-bürgerlich-intellektuellen Milieus prototypisch für einen prägenden Teil der französischen Gesellschaft sind. Im Zentrum stehen dabei der Verleger Alain (Guillaume Canet), der sich dazu durchringt, den neuen Roman des Schriftstellers Léonard Spiegel (Vincent Macaigne), mit dem ihn eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, abzulehnen. Léonard hat eine Affäre mit Alains Frau Selena (Juliette Binoche), einer Theaterschauspielerin, die jedoch in einer erfolgreichen Fernsehserie als Polizistin berühmt geworden ist. Léonards Frau Valérie (Nora Hamzawi), Beraterin eines sozialdemokratischen Politikers, beginnt die amourösen Umtriebigkeiten ihres Mannes ebenso zu erahnen, wie Selena das Techtelmechtel Alains mit Laure (Christa Théret), die er als Digitalisierungsexpertin für seinen Verlag engagiert hat.

Berufliche und private Verflechtungen führen diese und zahlreiche andere Charaktere in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder zusammen. Dabei wird geplaudert, diskutiert und philosophiert, das gepflegte Gespräch mittels geschliffener Dialoge wird zum zentralen Element von Doubles vies. Immer wieder drehen sich die Unterhaltungen um die fortschreitende Digitalisierung und soziale Medien samt deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Olivier Assayas gelingt dabei eine ebenso präzise wie ironisch unterfütterte Beobachtung jenes urbanen, intellektuellen Milieus der Grande Nation, dessen ganz eigener Lebensstil durch besagte Umbrüche ebenfalls auf dem Prüfstand zu stehen scheint. Assayas versteht es, seinen Filmen abseits prätentiöser Manierismen eine eigene, unaufdringliche Handschrift zu verleihen, was ihm auch im Fall von Doubles vies gelingt. Doch bei aller Souveränität, mit der Assayas den Dialog-dominierten Plot mit Verve in Szene setzt, schleicht sich doch zeitweilig eine Portion Selbstverliebtheit ein, die das Ganze ein wenig als postmodernen Jahrmarkt der Eitelkeiten erscheinen lässt.