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Crossing Europe Filmfestival

Zwischen Gestern und Morgen

| Günter Pscheider |
Der albanischen Regisseurin Iris Elezi ist das heurige Crossing Europe Spotlight gewidmet. Die umtriebige Autorin, Produzentin, Filmtheoretikerin und Archivleiterin nützt ihre Carte Blanche, um einen Einblick in das vielfältige albanische Filmschaffen der Vergangenheit und Gegenwart zu bieten.

Christine Dollhofer und ihr Team schaffen es jedes Jahr, gerade die Ränder des europäischen Filmschaffens in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Nach der Türkin Yeşim Ustaoğlu und der Rumänin Ada Solomon ist wieder eine Frau in Linz präsent, die eine wichtige Rolle im nationalen Filmschaffen einnimmt, aber auch in der internationalen Filmszene gut vernetzt ist. Iris Elezi entstammte der ersten Generation, die Albanien nach dem Tod des Diktators Enver Hoxha verlassen konnte. In den USA studierte sie Filmtheorie und Produktion, aber auch Anthropologie. Nach einer Reihe von dokumentarischen Arbeiten gewann Elezi mit ihrem Spielfilmdebüt Bota, bei dem sie zusammen mit ihrem Mann Thomas Logoreci Regie führte (Crossing Europe 2015), einige Festivalpreise. Daneben unterrichtet sie auch noch Filmgeschichte und setzt sich als Mitbegründerin des Albanian Cinema Project stark für die dringend notwendige Restaurierung des albanischen Filmerbes ein. Ein Schlüsselerlebnis für ihr starkes Engagement im Archivbereich war eine Führung von holländischen Künstlern durch das Gebäude, in dem fast alle Kopien der albanischen Filmgeschichte gelagert waren: „Schon als wir durch die Eingangstür traten, nahmen wir sofort einen starken Essiggeruch wahr, und als wir im Kopienlager die Wände berührten, waren sie feucht von Kondenswasser und Schimmel. In diesem Moment habe ich beschlossen, alles dafür zu tun, damit Albaniens Filmerbe sich nicht in Essig verwandelt.“

Die albanische Filmgeschichte wurde ebenso wie die des Landes von der über 40-jährigen Herrschaft des kommunistischen Diktators Enver Hoxha geprägt. Religionen waren ebenso verboten wie ausländische Vornamen, ein stalinistisches Terrorregime mit starkem Personenkult deportierte und tötete Menschen oft nur, weil sie von jemandem denunziert wurden. Ganz im Stil der Sowjetunion, mit der Hoxha schon in den sechziger Jahren brach, um sich dem maoistischen China anzunähern, waren Filme für ihn vor allem äußerst wirksame Propaganda-Instrumente, missliebige Werke wurden von den Zensurbehörden auf Eis gelegt.

Bis in die achtziger Jahre hatte das von der Welt fast völlig abgeschlossene Land eine blühende Filmszene, mangels anderer Möglichkeiten strömte die Bevölkerung en masse in die Kinos, um stramme Propaganda oder auch auf den ersten Blick harmlose Komödien anzuschauen. Iris Elezi findet die Filme dieser Ära jedenfalls sehr faszinierend – auch als historische Dokumente einer längst vergangenen Zeit: „Auch wenn wir kein Kino der Abweichung wie in Polen, der Tschechoslowakei oder in Jugoslawien hatten, gibt es doch einige wunderbare Beispiele von Werken, die außerhalb der vorherrschenden Strömung des sozialen Realismus gedreht wurden wie z.B. die grandiose Satire Kapedani (1972), für den seine beiden Regisseure sich später verantworten mussten. Aber auch in den Propagandafilmen findet man außergewöhnliche Einblicke in vier Dekaden des Lebens unter einer totalitären Herrschaft.“

Nach Hoxhas Tod 1985 und der schrittweisen Öffnung des Landes wurden aus Geldmangel kaum noch Filme gedreht. Doch auch die wenigen in den neunziger Jahren realisierten Arbeiten sind für Iris Elezi ein wichtiger Bestandteil des Albanian Cinema Project: „Vorigen Sommer programmierte ich eine umfassende 18-wöchige Retrospektive des albanischen Kinos der neunziger Jahre auf dem Dach des alten noch von den Sowjets erbauten Palastes der Kulturen“, erzählt sie. „Im Publikum waren sehr viele junge Leute, die damals noch Babys waren und von diesen Filmen noch nie gehört hatten, weil sie nur sehr kurze Zeit im Kino liefen und dann in der Versenkung verschwanden. Die Atmosphäre bei den Screenings war elektrisch, man konnte die Energie der Leute spüren, eine Art Schock über das Unbekannte. Das ist eine der großen Gefahren in unserer Kultur, dass die Menschen unbedingt und möglichst schnell in die Zukunft gelangen wollen, sodass sie auf keinen Fall in die Vergangenheit schauen wollen. Für uns Albaner war es extrem schwierig, diese prägenden Jahre unter Hoxha aus unserem System zu bringen. Und doch: Wenn unsere jungen Künstler die nächste Generation von albanischen Filmemachern werden wollen, müssen sie verstehen, was in der Vergangenheit passiert ist. Wir müssen diese kollektive Amnesie überwinden, nur dann kann es Heilung und auch stärkere Werke geben.“

In ihrem Spielfilm Bota setzt Elezi dieses Credo elegant um. In dieser Liebesgeschichte, die hauptsächlich in einer Bar am Rande eines Sumpfes im ländlichen Albanien spielt, werden die jungen Protagonisten, die sehnsüchtig in eine hoffnungsvolle Zukunft – vielleicht sogar in einem vereinten Europa – blicken, am Ende doch mit den Geistern der Vergangenheit konfrontiert. Es war nicht leicht, für einen Debütspielfilm das nötige Geld aufzutreiben, es hat auch nicht unbedingt geholfen, dass Elezi aus dem Dokumentarfilmbereich kommt – sie realisierte u.a. die sechsteilige Dokumentarserie Under Construction über den westlichen Balkan –, und als Frau hat man auch kaum Startvorteile bei den meist männlichen Produzenten: „Ich glaube, beim Filmemachen geht es manchmal einfach darum, Hindernisse zu überwinden. Bei Bota waren sie enorm, trotz der Unterstützung einiger internationaler Development-Institutionen hatten mein Mann Thomas und ich größte Schwierigkeiten, Produzenten für das Projekt zu interessieren. Aber ich glaubte wirklich von ganzem Herzen an die Qualität des Skripts und schrieb es auch immer wieder um, während ich bereits mit den Schauspielern arbeitete, obwohl uns noch immer etwas Geld fehlte, um den Film wirklich zu machen. Erst als unser Hauptproduzent Erafilm an Bord kam, kam das Projekt wirklich ins Rollen.“

Unter erschwerten Bedingungen haben wohl alle Regisseure gearbeitet, die Iris Elezi für ihr Crossing-Europe-Programm ausgewählt hat: Xhanfise Keko war die erste Frau, die sich im auch im Kommunismus patriarchalisch geprägten Albanien als Regisseurin behauptet hat. Ihre sensiblen Werke mit jugendlichen Darstellern brauchen keinen Vergleich mit neorealistischen Klassikern zu scheuen. A Tale from the Past von Dhimitër Anagnosti versuchte, mit den Mitteln der Satire der albanischen Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, ein auch knapp nach dem Tod von Enver Hoxha gewagtes Unterfangen, wenn man bedenkt, dass der Dokumentarfilmer Viktor Stratoberdha 30 Jahre ins Gefängnis wanderte, weil er angeblich einen Witz über den Diktator gemacht hatte. Aber auch das aktuelle albanische Filmschaffen ist mit Cold November würdig vertreten: Ismet Sijarina erzählt lakonisch-ambivalent vom universalen moralischen Dilemma einer albanischen Familie zwischen Solidarität und Überlebensinstinkt am Vorabend des Balkankriegs im Kosovo.

Den perfekten Einstieg in die für Mitteleuropäer doch recht fremde Welt Tiranas bietet der sehr persönliche essayistische Dokumentarfilm Here Be Dragons des englischen Kurators Mark Cousins, der mit seiner Handkamera das Land zwischen Aufbruch in die Moderne und verfallenden kommunistischen Relikten porträtiert. Iris Elezi arbeitet mit ihrem Albanian Cinema Project ehrgeizig daran, das albanische Filmerbe nicht nur zu konservieren und damit für die Nachwelt zu retten, ein weiterer wichtiger Aspekt ihrer Bemühungen ist es auch, diese Werke durch englische Untertitelung einer internationalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Crossing-Europe-Publikum darf sich auf jeden Fall auf interessante Einblicke in ein Land freuen, das selbst bei eingefleischten Cineastinnen und Cineasten bisher Terra Incognita war.