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Christian Bale

Vice – Der zweite Mann

Wie ein Ochsenfrosch

| Marc Hairapetian |
Ein Gespräch mit Hollywood-Star Christian Bale über „Vice“, Versagensängste, Bauchentscheidungen und darüber, was die Macht mit einem machen kann.

Der am 30. Januar 1974 in Haverfordwest in Wales geborene Christian Bale ist Oscar-Preisträger (2011 als Bester Nebendarsteller für The Fighter) und möglicherweise ist er es erneut, wenn diese Zeilen erscheinen – diesmal allerdings als Bester Hauptdarsteller für seine grandiose Verkörperung des ehemaligen republikanischen US-Vizepräsidenten Dick Cheney in Adam McKays galliger Politsatire Vice. Für die Rolle futterte sich der Verwandlungskünstler 20 Kilo an, die er beim Gespräch in einem Berliner Luxushotel längst wieder abtrainiert hat.

 

„Vice“ ist ein intensiv-humorvolles Porträt der amerikanischen Geschichte, aber auch eine vorweggenommene Darstellung der heutigen Politik der Vereinigten Staaten. Würden Sie auch überlegen, Donald Trump zu spielen?
Christian Bale: Es ging ja in erster Linie darum, Dick Cheney, diesen unglaublichen Strippenzieher der US-Politik, der sich selbst als „Darth Vader“ bezeichnete und seine Nation in den Irak-Krieg hetzte, aber sich beim Coming Out seiner lesbischen Tochter Mary zunächst sehr einfühlsam zeigte, über ein halbes Jahrhundert zu porträtieren. Auch die Bezüge zum heutigen Weltgeschehen waren Adam McKay und mir sehr wichtig. Dick Cheney hat die Saat ausgestreut, die Donald Trump ernten konnte. Trump ist eher das Ergebnis als die Ursache der republikanischen Politik, vor allem seit der „Reagan-Revolution“ in den achtziger Jahren. Und Cheney war immer mit dabei! Ich weiß wirklich nicht, ob ich das machen und Trump spielen würde. Es gibt ja schon einige Kollegen, die das gemacht haben. Ich bin ihm mal bei Batman-Dreharbeiten im Trump Tower begegnet. Die Produzenten baten mich, ich sollte im Fahrstuhl zu ihm hochfahren, weil er uns ansonsten vielleicht rausschmeißen würde – und das habe ich dann auch getan. (Grinst) Ich kam in meinem Bruce-Wayne-Outfit mit rotem Schlips und streng zurückgekämmten Haar. Irgendwie sah ich wie Trump Jr. aus, und das fand er amüsant. Er gab sich schlagfertig, aber das ganze Gold um ihn herum war mir zu protzig.

Sie haben ja schon zahlreiche Preise erhalten. Was bedeutet da noch die Oscar-Nominierung als Bester Hauptdarsteller für „Vice“? Und hatten Sie überhaupt Zeit, die Filme der diesjährigen „Konkurrenten“ anzusehen?
Christian Bale: Ja, das habe ich in der Tat gemacht – und ich fand sie alle gut. Vorab möchte ich sagen, dass ich mich wie George C. Scott, der 1971 den Oscar für Patton ablehnte, weil er es für „unwürdig“ befand, mit anderen Schauspielern in eine Art Wettstreit zu treten, in keinerlei Konkurrenz zu Berufskollegen sehe. Preise bedeuten auch immer, dass mehr Leute in die Kinos gehen, was in heutiger Zeit, wo es andere Möglichkeiten durch das Fernsehen und Streamen im Internet gibt, gar nicht so selbstverständlich ist. Preisverleihungen sind immer auch eine Feier für das Kino selbst. Es mag nach reiner Promotion klingen, doch ich bin sehr glücklich über diesen Film und die Zusammenarbeit mit Adam McKay. Und klar, die Oscar-Nominierung als Bester Hauptdarsteller fühlt sich für mich natürlich gut an, aber ich bin nicht so von Ehrgeiz zerfressen, dass ich am Boden zerstört wäre, wenn ich die Trophäe diesmal nicht gewinnen sollte.

Wie haben Sie sich der Rolle als Dick Cheney genähert? Ist er für Sie ein menschliches Monster, das über Leichen geht? Oder würden Sie so weit gehen, ihn als „tragische Figur“zu bezeichnen, die am Ende des politischen Machtspiels alles opfert? Ist „Vice“ ein politisches Drama oder eher eine dunkle Komödie?
Christian Bale: Adam McKay, mit dem ich mich schon bei The Big Short ausgezeichnet verstand, hat mich gebeten, Dick Cheney zu spielen. Das war wie ein Geschenk für mich, weil sein Skript so exzellent geschrieben war und auch der gesamte Stab aus hervorragenden Leuten zusammengesetzt wurde. Adam sah Cheney als das Symbol fürs Fliegenfischen. Eine brillante Vision, die ich aber selbst zuerst gar nicht so wahrgenommen hatte. Ich sagte ihm: Wenn ich das mache, brauche ich eine gewisse Zeit, um mich „einzuarbeiten“ und zu „forschen“ – da ich mir über diesen Politiker selbst nicht recht im Klaren war. Es geht in dem Film auch um die Verführung und was Macht mit einem macht. Ich bin dann einfach ins kalte Wasser gesprungen. Dabei hatte ich Versagensängste. Ich dachte mir zu Beginn: Mein Gott, vielleicht kriege ich das diesmal gar nicht hin!? Das war eine gefährliche Grat-wanderung: Entweder es wird gut, oder es geht richtig daneben! Ist Cheney ein menschliches Monster oder letztlich auch eine tragische Figur? Das ist wirklich eine gute Frage. Nun, wir haben versucht, Dick Cheney zu verstehen, also auch seine politischen Motive nachzuvollziehen. Obwohl Bezüge zur heutigen Politik gegeben sind, war er in seiner Amtszeit ganz anders als jetzt Trump. Cheney hat bewiesen, dass auch im Schweigen Macht liegt, und Trump kann man das wirklich nicht nachsagen. Er genoss die wahre Macht, indem er immer etwas im Hintergrund, im Schatten stand. Vice ist ein Genre-Film, der viele Genres in sich vereinigt: das politische Drama, aber auch die schwarze Komödie, bei der einem das Lachen oftmals im Hals stecken bleibt. Adam McKay hat sich mit der phantastischen Amy Adams, die meine Frau spielt, Sam Rockwell, der George W. Bush so herrlich ungehobelt verkörpert, und mir zusammengesetzt und uns gebeten, immer die Auswirkung von Cheneys Winkelzügen auf die heutige Realität nicht außer Acht zu lassen. Müsste ich mich festlegen, würde ich sagen: Der Film ist eine Tragikomödie.

 

Adam McKay hat sich mit Amy Adams, Sam Rockwell und mir zusammengesetzt und uns gebeten, immer die
Auswirkung von Cheneys Winkelzügen auf die heutige Realität nicht außer Acht zu lassen.

 

20 Kilogramm haben Sie für „Ihren“ Dick Cheney zugenommen. Wie haben Sie sich im Körper dieses Mannes gefühlt?
Christian Bale: Ich habe mich wie ein Ochsenfrosch gefühlt. Oder vielleicht sogar wie ein Walross, das mit seiner nicht aufzuhaltenden Kraft dennoch ruhig auf einen Felsen sitzen bleibt. Eine Art menschlicher Bulldozer, der durch nichts und niemanden aufzuhalten ist, außer durch seinen eigenen Körper. Cheney hatte ja mehrere Herzinfarkte.

Wie haben Sie recherchiert?
Christian Bale: So wie Sie – fast journalistisch! Dazu muss ich sagen, dass es diesmal sehr schwierig war, weil Dick Cheney wirklich alles daran gesetzt hatte, um nur wenige Brösel zu hinterlassen für diese Geschichte. An einem Treffen mit uns hatte er kein Interesse. Zum Glück gab es hervorragende Journalisten, die viel über ihn zusammengetragen und Artikel und Bücher geschrieben haben, die wir alle gelesen haben. Darauf stützen wir uns in erster Linie. Wir beschäftigten auch selbst Journalisten mit der Hintergrundrecherche, die für uns nicht gerade „offizielle“ Interviews mit Zeitzeugen geführt haben. Adam McKay besuchte mich häufiger zuhause und wir hatten drei bis vierstündige Gespräche nur über Dick Cheney.

Meine zwei Lieblingsfilme mit Ihnen sind „The  New World“ und „The Promise“, gerade, weil Sie Ihren Leinwand-Partnerinnen viel Platz einräumen. Das ist auch bei „Vice“ mit Amy Adams der Fall. Dennoch ist dieser Film etwas ganz anderes, weil Sie hier anhand von Make-up und Gewichtszunahme als Verwandlungskünstler in Erscheinung treten. Man kennt Sie im internationalen Kino, seit Sie als kleiner Junge 1987 in Steven Spielbergs „Empire of the Sun“ mitgewirkt haben. Spätestens seit den „Batman“-Auftritten sind Sie ein großer Star, der sich die Rollen aussuchen kann. Nach welchen Kriterien gehen Sie dabei vor?
Christian Bale: Zerrissene Helden sind aufgrund ihrer Menschlichkeit, ja Verletzbarkeit, für den Zuschauer viel interessanter als eindimensionale Märchenfiguren. Es versteht sich übrigens von selbst, dass ich meinen Spiel-Partnern und -Partnerinnen, genügend Platz einräumen muss. Agieren sie gehemmt oder drücke ich sie an die Wand, kann ich auch nicht gut sein. Zu Ihren Fragen: Ich habe bei jedem Film, den ich mache, zunächst das Gefühl, dass das ein Film ist, bei dem ich gar nichts weiß. Nichts zu wissen, ist schon mal ein guter Ansatz. Da bleibt man immer positiv angespannt. Ich entscheide bei der Rollenauswahl und beim Spiel häufig nach dem Bauchgefühl, abhängig vielleicht auch davon, was ich am Morgen gefrühstückt habe. Ich habe da keine echte Methode, bis auf eine: Man sollte wissen, dass man bei jeder Rolle mindestens drei Monate obsessiv dabei sein muss, sonst wird das Ganze schnell ziemlich langweilig.

Sie bilden mit  Adam McKay ein durchschlagkräftiges künstlerisches Gespann. Was macht das Filmen mit ihm so spannend für Sie?
Christian Bale: Bei Adam reizt mich, dass er sich als Regisseur sehr verändert hat. Zuerst drehte er reine Komödien wie Anchorman – The Legend of Ron Burgundy oder Stepbrothers, doch als der Aktienmarkt zusammenbrach und es zu einer weltweiten Wirtschaftskrise kam, wurden seine Filme politisch konkreter, so schon bei unserer Zusammenarbeit an The Big Short, in dem ich den schrulligen Hedgefonds-Manager Michael Burry spielte. Er ist sehr intelligent, man lernt viel von ihm und seinen Filmen, ohne dass man merkt, dass man etwas lernt!  Außerdem machen die Dreharbeiten mit ihm immer unglaublich viel Spaß. Wir lachen uns häufig kaputt. Er schafft ein schönes Umfeld, sogar, wenn man um zwei Uhr drehen nachts drehen muss. So ist man weder müde noch schlecht gelaunt. Es gelingt ihm, die Emotionen aus einem sehr gut herauszukristallisieren. Ich muss es wissen, ich war ja als Dick Cheney jeden Tag am Drehort! Seine Komödien unterfüttert er mit vielen Fakten. Und der Spagat zum Tragischen gelingt ihm immer wieder. Man weiß nie, was als Nächstes bei ihm kommt. Er ist nicht leicht auszurechnen, ich hoffentlich auch nicht – das macht uns wohl zu einem guten Team!