Trauriges Amerika: Richard Linklaters Episodenfilm „Fast Food Nation“ ist mehr als bloß eine Kampfansage gegen Big Burger.
Am Anfang scheint alles ganz einfach: Richard Linklaters Fast Food Nation beginnt mit dem Blick auf das Serviertablett eines Schnellrestaurants, dann kommt ein langsamer Zoom ins fette Fleischherz eines Burgers. Ein deutlicheres Bild für die anstehende Mission scheint kaum möglich: Linklaters Spielfilm basiert auf Eric Schlossers gleichnamigem Sachbuch-Bestseller (auf Deutsch: Die Fast Food-Gesellschaft), dessen programmatischer Untertitel „The Dark Side of the All-American Meal“ lautet und der sich kritisch mit den drastischen Auswüchsen der globalen Fast-Food-Erfolgsgeschichte befasst: von den Gesundheitsrisiken auf der Verbraucherseite bis zur Wirtschaftsmacht der einschlägigen Konzerne, die der Massen-Industrialisierung der Lebensmittelproduktion ebenso Vorschub geleistet haben wie der institutionalisierten Ausbeutung von illegalen Einwanderern (in den Fabriken) und Teenagern (McJob).
Scheiße fressen
Bei Linklater heißt der Junk-Food-Konzern Mickey’s („Home of the Big One“), und auch wenn anfangs in der Vorstandssitzung die Konkurrenz beim Namen genannt wird – der Präsident ärgert sich, dass Teletubbies-Merchandising in den Händen von Burger King und McDonald’s bleiben wird –, ist schnell klar, dass der Name eigentlich egal ist: Fast Food ist hier eine Metapher für das Leben in den USA und (s)eine bittere Realität. Der Tonfall des Films verspricht zunächst eine Satire: Greg Kinnear spielt einen frohgemuten Marketing-Manager, dem der Auftrag zufällt, die etwas unbefriedigenden Labortests der offiziell so sauberen und familienfreundlichen Mickey’s-Produkte genauer zu untersuchen. Intern formuliert man es unumwunden: Er soll herausfinden, „wie die Scheiße in die Burger kommt“.
Sein Weg führt durch die Fast-Food-Küchen und die Labors, wo jene Zusatzstoffe hergestellt werden, die für den kontrollierten Geschmack der oft buchstäblich aus tausenden verschiedenen Rindern (samt ihrer Hormone und Gedärme) zusammengepressten Industrie-Fleischlaibchen sorgen, dann weiter nach Colorado, zur größten Fleischfabrik des Landes. Dabei findet er heraus, dass das System noch viel mehr Scheiße produziert, als die, nach der er sucht. Aber, wie ihm der örtliche Mickey’s-Funktionär (Bruce Willis in einem fulminanten, unangekündigten Kurzauftritt) mit zynischem Pragmatismus versichert, während er zufrieden „Fat Tire“-Burger mampft: Wir alle müssen manchmal Scheiße fressen. So lange die Kochtemperatur stimmt, ist das kein Problem.
Dann passiert etwas Unerwartetes: Kinnears Manager, der bis dahin wie der designierte Identifikationsträger schien, nimmt sich einen vernünftigen Ratschlag seines grinsenden Gegen-übers zu Herzen – es würde ihn den Job kosten, die ganze Sache an die große Glocke zu hängen. Nach einem Telefonat mit seiner Frau gibt er auf und verschwindet – ziemlich genau in der Mitte – einfach aus dem Film.
Auseinander treiben
In den Vordergrund treten damit die zwei anderen zentralen Handlungsfäden, entlang derer die Drehbuchautoren Linklater und Schlosser das Enthüllungsbuch in ein Episodendrama übersetzen. Der eine erzählt, mit semidokumentarischen Arbeitsbildern, von illegalen Immigranten aus Mexiko, die sich als Billiglohnkräfte in der Fleischfabrik verdingen: Sie nehmen Drogen, um den Lärm und den Gestank auszuhalten, das erhöht auch das Unfallrisiko der (natürlich) Unversicherten. Der andere Erzählstrang schildert, wie eine unzufriedene Fast-Food-Verkäuferin (Ashley Johnson) zur engagierten Öko-Aktivistin wird. Als sie schließlich mit ihren Gesinnungsgenossen die Worte in die Tat umsetzen und eine zusammengepferchte Rinderherde aus ihrem „Gefangenenlager“ befreien will, scheitert das Unternehmen auf komische Weise: Die Kühe machen keine Anstalten, sich durch das Loch im Zaun – oder überhaupt – zu bewegen. Einer folgert, dass man wohl eine Rute mitbringen hätte müssen, um die Tiere auseinander zu treiben.
Für einen Moment hängt da auch die etwas zu simple Metapher in der Luft, dass die Kühe für uns alle stehen: Fast Food Nation schließt das zwar nicht aus, aber widerspricht dem in seiner Bauweise, die bei näherer Betrachtung erstaunlich gewagt ist – alles treibt auseinander, ist schon längst auseinander getrieben. Das führt zu einer bemerkenswert anti-dramatischen Form. (Langweilig ist der Film aber nicht: das Spannende und die Spannungen haben im Linklater-Werk ohnehin selten mit dramaturgischen Konventionen zu tun.) „Why do the bad guys always win?“, fragt ganz naiv die Aktivistin. In Linklaters Film werden als Grund, warum so viele Leute über die Scheiße im Burger Bescheid wissen und doch nichts dagegen tun, Entfernungen sichtbar – sei es zwischen verschiedenen Ebenen der Konzernhierarchie oder verschiedenen Klassen. (Ironischerweise sind alle nur im Verzehr von Junk Food geeint, nur dass manche dafür sparen müssen.) Auch der Fluss von Information und Kommunikation ist gestört, und Fast Food Nation erzählt vom Leben in den Schlupflöchern, die sich zwischen den Welten auftun: Als Film über Rückschläge und das Fehlen von Lösungen ist er erst recht eine Ausnahmeerscheinung, besonders im US-Kino. Die Methoden eines Empörungsfilms im Gefolge von Michael Moore, den man angesichts des Themas erwarten könnte, verweigert Linklater: Er liefert keine einfachen Schuldzuweisungen und keinen befreienden emotionalen Schlagabtausch (als Tragikomödie bewegt sich der Film klar weg von der Komödie, er ist ein sehr trauriges Porträt der USA), nur das Wissen um die Option, etwas zu tun.
Gleichzeitig liefert Fast Food Nation als Episodenfilm die willkommene Antithese zur schicksalsergebenen globalen Gleichzeitigkeit und dem zwanghaften Bedeutungs-Crash, für den das Genre im gegenwärtigen Kino-Babel bevorzugt herhalten muss. Den synthetischen Verbindungen dieser Weltschmerz-Mixtapes wird bei Linklater eine wirklichkeitsnahe, tatsächlich beunruhigende Zufälligkeit entgegengehalten, verstärkt durch die ständige Betonung des Alltäglichen und einer absichtlich wahllosen Gleichwertigkeit der Geschehnisse. Das Konzept ist geradezu radikal, die Detailumsetzung nicht immer frei von Schwächen, auch wegen der enormen Menge an typischen Konflikten und Verhaltensweisen, die auf Filmlänge gerafft worden sind: Die Absichten sind manchmal zu durchschaubar, und manche Dialoge geraten dünn und didaktisch. Die Dinge werden darüber aber öfters verblüffend verzwickt: Der packende Willis-Monolog ist überzeugender als das meiste an Engagement-Datenflut. In Opposition zu den Schnellschuss-Slogans und Schwarzweiß-Kategorien der meisten heutigen „Debatten“, ob in Kino, Politik oder Medien, schlägt Linklaters Film vor, müsse man zuerst einmal darüber nachdenken, was man tun kann.
Science-Fiction
Linklater hat 2006 einen zweiten Film veröffentlicht, die erste kongeniale Adaption eines Romans von Science-Fiction-Genie Philip K. Dick: A Scanner Darkly erzählt in wabernder Rotoskop-Animation von Realitätsverlust und Überwachungsstaat. Der gleichnamige Roman, eine Aufarbeitung von Dicks eigenen Drogen-Erfahrungen in der Nixon-Ära, erschien 1977, seine Paranoia ist aber in der Zeit des Patriot Act gegenwärtiger und triftiger denn je – wie Fast Food Nation ist A Scanner Darkly bei aller Komik der wahnwitzigen Stoner-Debatten zwischen Robert Downey jr., Woody Harrelson und Keanu Reeves ein letztlich sehr tragischer Film.
Seine diabolische Dialektik bezieht sich nicht nur aufs hermetische Junkie-Leben – der von Reeves gespielte Undercover-Cop wird beauftragt, sich anonym selbst zu überwachen, und weil sein Gehirn durch den Missbrauch von „Substance D“ längst gespalten ist, fällt ihm das nicht einmal auf. Letztlich erweist sich das ganze (kapitalistische) System als darauf ausgerichtet, Abhängigkeit zu produzieren. Es ist kein weiter gedanklicher Sprung von der Drogen-Farm in der Dick-Verfilmung zu den Produktionsstätten in der Schlosser-Adaption und zu ihren synthetischen Geschmacksverstärkern. (Dazu passt auch, dass Schlosser in Interviews immer wieder betont, dass Fast Food in der Werbung dem Beispiel von Tabak gefolgt ist und sich nach dem Wegfall der weißen Oberschicht aggressiv an Arme, Junge und Menschen in Entwicklungsländern wendet; und dass das ungesunde Essen nicht zuletzt durch Nahrungsmittelsubventionen billig ist.)
Und Kinnears Manager besucht in Fast Food Nation bei seiner Recherche auch einen alteingesessenen Rancher (Kris Kristofferson), dessen Besitz infolge der Massenzucht-Entwicklungen bedroht ist: Der lacht über die Idee eines sauberen Burgers, das Arbeitstempo des Fließband-Zeitplans gemäß Lobby-abgesegneter Preispolitik-Absprachen erlaube nicht, alle Kühe auszuweiden. „It’s about this machine taking over the country“, sagt der Rancher, „it’s like science-fiction.“ Die Zukunft ist jetzt, sie ist beschissen, und am Scanner der Öffentlichkeit ist es finster.