Sebastião Salgado ist ein Meister der Fotoreportage. Wim Wenders widmet ihm die sehr persönliche Hommage „The Salt of the Earth“. Ein Gespräch.
Mit Pina hat Wim Wenders sich dreidimensional beschwingt in die Herzen von Presse und Publikum getanzt. Nun wiederholt er den Triumph mit einem weiteren Künstler-Dokumentarfilm, diesmal über den meisterhaften Fotografen Sebastião Salgado. Bei der Premiere in Cannes wurde der Film frenetisch gefeiert wie kaum ein zweiter. Mit Salgados Sohn Juliano als Ko-Regisseur findet Wenders einen sehr persönlichen Zugang zu diesem Maestro der Fotografie. Dass der charismatische Charakterkopf aus Brasilien seine bewegenden Werke selbst launig kommentiert, macht den besonderen Reiz dieser großartigen Hommage aus. Weltbekannt wurde Sebastião Salgado 1986, mit einer Bildreportage über die Goldschürfer in der Mine von Serra Pelada: Zehntausende Menschen wuseln wie Ameisen unter widrigsten Umständen über eine surreal anmutende Kraterlandschaft auf der Suche nach dem glücksbringenden Klumpen Gold. Der Fotograf ist mitten in diesem Chaos dabei, ihm gelingen atemberaubende Bilder, die um die Welt gehen. „Man hörte keinen Lärm, nur Stimmen dieser Menschen“, berichtet er über seine Erfahrungen.
Das Wort „Fotograf“ stamme aus dem Griechischen und bedeute Schreiben mit Licht und Schatten, erklärt Wenders aus dem Off im filmischen Vorwort. Dort erzählt er auch, wie er vor zwei Jahrzehnten in einer Galerie auf das Schaffen des ihm bis dahin unbekannten Salgado aufmerksam wurde. Das Porträt einer blinden Tuareg-Frau habe ihn derart beeindruckt, dass es bis heute über seinem Schreibtisch hänge. Nach dieser aparten Einführung der persönlichen Art nimmt der Regisseur sich klugerweise zurück und überlässt die Bühne fortan ganz dem Fotografen. Auch dessen Sohn kommt immer wieder zu Wort. Als Kind hatte Juliano nur wenig vom Vater, der häufig und lange unterwegs war. Als er ihn später mit der Filmkamera zu Expeditionen begleitet, geraten diese Trips zugleich zur Annäherung zwischen Vater und Sohn.
Um auf der Leinwand eine möglichst direkte Verbindung des Fotografen zu seinen Bildern zu erzeugen, hat Wenders für die Interview-Aufnahmen eine eigene Technologie ausgetüftelt.
Salgado wird über einen Spiegel mit der Kamera aufgenommen. Zugleich sieht er jene Fotos, über die er erzählt, auf einem Teleprompter vor sich. Der Zuschauer sieht als Ergebnis beides: Die Fotografie und den charismatischen Erzähler, der ihn gleichsam direkt anspricht. Als Glücksfall erweist sich das rhetorische Talent des 70-jährigen Brasilianers, der so unterhaltsam wie nachdenklich und kurzweilig seine Werke kommentiert, mit denen er der Menschheit seit über 30 Jahren einen Spiegel ihrer Abgründe vorhält. Eindrucksvoller als auf der großen Kino-leinwand wird man diese Bilder in keiner Ausstellung zu sehen bekommen.
Bei der Präsentation von The Salt of the Earth in Cannes haben Sie von Bescheidenheit gesprochen. Meint das die Methode, mit der Sie hier vorgegangen sind?
Man muss sich selbst im Hintergrund halten, wenn man Dokumentationen über Künstler macht, egal ob es Musiker in Kuba sind oder eine Choreografin in Wuppertal. Als Regisseur spielt man da nur die zweite Geige und übt sich besser in Bescheidenheit. Es wäre unsinnig, einen extravaganten Film drehen zu wollen, im Falle von Sebastião Salgado, über Bilder von solch elementarer Schönheit.
Wie zeigt man Porträts in bewegten Bildern?
Es ist keine so leichte Aufgabe, diese fotografischen Aufnahmen filmisch zum Leben zu erwecken, darüber habe ich lange gegrübelt. Glücklichweise ist Sebastião Salgado ein großartiger Geschichtenerzähler, und so konnten wir seine eindrucksvollen Erzählungen über die Bilder zum Kern des Films werden lassen.
Im Unterschied zu gängigen Dokumentationen spricht Salgado direkt zu den Zuschauern, zugleich sieht man die Bilder, über die er erzählt.
Dafür haben wir eine neue Technik entwickelt, bzw. eine alte „zweckentfremdet“. Wir haben seine Fotos auf einen Teleprompter projiziert, also auf einen halbdurchlässigen Spiegel vor der Kamera, und Salgado dann so gefilmt, wie eben jeder Fernsehsprecher aufgenommen wird, durch diesen Spiegel hindurch. Er hat nur seine Bilder gesehen und darüber gesprochen. Die Kamera und ich als Fragensteller waren für ihn unsichtbar. Als Ergebnis sieht der Zuschauer nur die Fotos sowie den erzählenden Fotografen, der direkt in die Kamera schaut.
Was ist für Sie das Faszinierende an diesem Künstler?
Mich hat beeindruckt, wie rigoros Salgado Entscheidungen getroffen hat. Mit 30 Jahren hatte er eine brillante Karriere bei der Weltbank vor sich. Doch dann beschloss er Knall auf Fall Fotograf zu werden, weil Zahlen und Bilanzen eben nicht seiner Vorstellung eines erfüllten Lebens entsprachen. 30 Jahre später änderte er erneut grundlegend seine Karriere. Er hatte so viel Elend und Tod fotografiert, dass er nicht mehr weiter wusste. Er wusste nur, er wollte nicht als zynischer Fotoreporter enden. Und dann hat er angefangen, die Schönheit unseres Planeten zu zeigen, wie kein anderer vor ihm.
Wonach haben Sie die Auswahl der gezeigten Bilder getroffen? Hatte Salgado dabei ein Mitspracherecht?
Sebastião war an der Auswahl der Bilder nicht direkt beteiligt. Wir haben uns lange und intensiv unterhalten und über jedes Bild geredet, viele Tage lang. Aber schließlich bestand die Aufgabe dieses Films darin, einer so umfangreichen Karriere in 100 Minuten gerecht zu werden. Anderthalb Jahre lang haben Juliano Ribeiro Salgado und ich für den Schnitt gebraucht!
Kann man beim Anblick solcher Bilder auf die Idee kommen, Fotos sind mächtiger als Filme?
Das war bisweilen so. Andererseits war Salgado auch immer ein Geschichtenerzähler mit seiner Fotografie. Der Großteil seiner Arbeiten besteht aus Bildserien, in denen er mit vielen Fotos ganz komplexe Storys erzählt. Für mich ist Salgado deshalb ein sehr cinematografischer Fotograf.
Hätten Sie Sebastião Salgado nicht gerne einmal auf einer seiner Expeditionen begleitet?
Ich wäre gerne mit ihm nach Sibirien gereist, leider wurde ich sehr krank und lag im Krankenhaus, als er zu dieser Expedition aufgebrochen ist. Zum Glück konnte ich ihn bei etlichen anderen Reise begleiten, wir waren mehrfach gemeinsam in Brasilien.
Wie Salgado arbeiten auch Sie mittlerweile mit Digitalkameras – trauern Sie dem Film nicht nach?
Unser Film entstand komplett digital, das stimmt. Seit Jahren sind meine Filme digital gedreht. Bei 3D geht das auch gar nicht anders. Aber als Fotograf bleibe ich dem Filmmaterial treu. Da bin ich der letzte Mohikaner. Bei Sebastião ist das anders, ihm erlaubt diese Technik bei langen Reisen eine größere Unabhängigkeit. Er bleibt seinen altmodischen Methoden jedoch treu. Er besitzt keinen Computer und reist stattdessen mit einem Koffer voller Speicherchips, die er aber wie herkömmliche Filmrollen behandelt. Erst nach seiner Rückkehr lädt ein Assistent diese Bilder herunter. Sebastião trifft dann seine Auswahl und lässt davon wieder Negative machen.
Der künstlerische Respekt dürfte auf Gegenseitigkeit beruhen. Sind Sie durch die Arbeit zu Freunden geworden?
Wir wurden vor allem durch unsere Leidenschaft für Fußball zu Freunden! Wir haben viele Spiele gemeinsam angesehen. Sebastião ist kein großer Kinofan, er hat auch nur einige meiner Filme gesehen. Sein ganzes Leben dreht sich um die Fotografie, Filme haben in seiner Welt nur wenig Platz.
Muss man sich das so vorstellen, dass Sie gemeinsam ins Stadion gingen?
Bislang haben wir uns nur Spiele zu Hause angesehen. Sebastião hat einen Beamer und eine große Leinwand. Bei mir steht auch kein Fernseher. Ich nutze meinen Beamer ausschließlich, um Filme zu sehen. Oder eben Fußball.
In Cannes gab es zum 30-jährigen Jubiläum Ihres Films Paris, Texas eine Wiederaufführung. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Goldene Palme von damals?
Mir fiel bei diesem Jubiläum etwas ein, was ich lange vergessen hatte. Harry Dean Stanton war damals enorm nervös. Er spielte erstmals eine romantische Hauptrolle – und das mit Mitte fünfzig. Er fühlte sich zu alt und nicht gutaussehend genug. Vor Cannes und dem ganzen Rummel hatte er unglaubliche Angst. Ich sagte: „Nimm dir einen Assistenten mit, andere Leute haben eine ganze Armada dabei.“ Wenig später erzählte er mir, er habe einen jungen Schauspieler gefunden, dem er vertraue und den er mitnehmen wolle. Tatsächlich hat sich dieser Typ in Cannes unglaublich liebevoll um ihn gekümmert. Erst kürzlich fiel es mir wieder ein: Sein charmanter Helfer von damals hieß Sean Penn.
Ken Loach hat in Cannes seinen Rückzug vom Film bekanntgegeben. Wie steht es bei Ihnen mit den Renten-Plänen, wollen Sie mit 100 Jahren noch hinter der Kamera stehen wie Ihr Kollege Manoel de Oliveira?
Ich bin ein bekennender Workaholic. Meine Arbeit und mein Leben habe ich nie trennen können. Ich verstehe nicht, warum Menschen zum Aufhören gezwungen werden. Für meinen Vater war das eine Katastrophe. Als Chirurg durfte er mit 65 Jahren nicht mehr operieren, obwohl er in bester Form war. Ohne seine Arbeit fühlte er sich, als hätte man den Stecker gezogen. Für mich ist das Rentnerdasein keine Option: Sie werden also leider noch länger mit mir zu tun haben!