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1968: Sex & Drugs & Politics

Halluzinieren auf dem Friedhof

| Morticia Zschiesche |
Zwischen groovy und evil: LSD im Film der 1960er Jahre.

Am 19. April 1943 fuhr der Schweizer Chemiker Albert Hofmann nach Einnahme einer Substanz namens Lysergsäurediethylamid (kurz LSD genannt) mit dem Fahrrad von seinem Labor nach Hause und erlebte dabei zum ersten Mal die psychoaktive Wirkung dieser Droge. Seitdem gilt unter Anhängern dieser „Bicycle Day“ als Jahrestag der Entdeckung von LSD, der sich 2018 zum 75. Mal jährt. Er ist ein willkommener Anlass für einen kleinen Rückblick auf den Einfluss der Droge auf den Film, hat sich doch – vor allem in den USA – ein ganz eigenes, wenn auch kurzlebiges Subgenre, der „LSD-Film“, herausgebildet.

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Seinen Höhepunkt feierte der LSD-Film um 1968, in Form vieler Retrospektiven und Neuproduktionen lebte er in den 1990er Jahren kurz wieder auf. Zu unterscheiden sind dabei vor allem zwei Linien: Zum einen entstanden durch das Experimentieren mit der Droge zahlreiche Filme, die vor allem den LSD-Konsum ihrer Zuschauer im Blick hatten und dazu auf besonders anregende visuelle und auditive Motive setzten, um die bewusstseinserweiternde Wirkung von LSD auszuschöpfen. Dieses Genre des „Headfilms“ hat berühmte Vorbilder, die Ende der 1960er Jahre von jugendlichen Drogenkonsumenten wiederentdeckt wurden – wie das Musical The Wizard of Oz (1939) von Victor Fleming oder Disneys-Zeichentrickfilme Fantasia (1940) und Alice in Wonderland (1951). An diese metaphorisch-musikalischen Trips schlossen zum Beispiel die Experimentalfilme der Beatles Magical Mystery Tour (1967) und Yellow Submarine (1968) oder die Satire Head (1968) mit den Monkees und Jack Nicholson als Drehbuchautor und Produzent sowie zahlreiche Avantgarde-Filme dieser Zeit an. Film wurde damit selbst zur Droge und spielte dabei immer wieder mit Insider-Codes wie „Lucy in the Sky with Diamonds“, um seine spezielle Klientel zu erreichen.

In diesem Text soll nun jedoch auf die andere Linie fokussiert werden: insbesondere auf Filme, die einerseits für ein breiteres Publikum gemacht wurden und dabei zum anderen (auch) inhaltlich den steigenden Konsum von LSD durch junge Menschen explizit thematisierten. Vom Drama über Musical bis hin zu Parodie, Horrorfilm und Pseudo-Dokumentarfilm sind diese Art von LSD-Filmen allesamt angesiedelt in antibürgerlichen Milieus, changieren unentschlossen zwischen Drogenverherrlichung, freier Liebe und Hedonismus auf der einen Seite und Warnung vor Horrortrips und Todesrausch auf der anderen. Damit polarisierten sie seinerzeit die konservative Öffentlichkeit.

Reise ins Bewusstsein

Hervorzuheben aus der Fülle der LSD-Filme sind vor allem drei Produktionen, an deren Entstehung auch wieder Jack Nicholson einen wesentlichen Anteil hatte. Der dem großen Publikum damals noch unbekannte Schauspieler, selbst bekennender LSD-Konsument, arbeitete bereits seit Ende der 1950er Jahre mit dem erfolgreichen B-Movie-Regisseur und ebenfalls LSD-erfahrenen Roger Corman zusammen. Für ihn schrieb Nicholson das Drehbuch zu The Trip, das 1967 mit Peter Fonda und Bruce Dern in den Hauptrollen verfilmt wurde. Sie gehörten auch privat zu seinem Umfeld und pflegten wie Nicholson ihr Image der attraktiven Anti-Helden mit Rocker-Filmen wie Cormans The Wild Angels (1966) oder Hells Angels on Wheels (1967) von Richard Rush. The Trip ist New Hollywoods Antwort auf die zunehmend gleichgültige Haltung der jüngeren Generation auf den traditionellen Hollywood-Studiofilm und wurde auf der Höhe des „summer of love“ gerade bei dieser zu einem großen Erfolg, auch in finanzieller Hinsicht. Es ist die Geschichte des Werbefilm-Regisseurs Paul Groves (Peter Fonda), die seinen ersten Trip beschreibt und dabei wie eine dezidierte Anleitung zum LSD-Konsum anmutet. Begleitet von seinem Freund John (Bruce Dern) halluziniert Paul zwischen Ekstase und Paranoia von seiner Frau (Susan Strasberg), die sich scheiden lassen will, geht mit einem gottesähnlichen Advokaten (Dennis Hopper) ins Gericht und hat ausschweifenden Sex (mit Salli Sachse). Filmästhetisch gehört dieser Film zu den spektakulärsten LSD-Filmen, da es ihm zumindest partiell gelingt, mit treibenden Jazz-Rhythmen von The Electric Flag, schnellen und noch schnelleren Schnittfolgen, innovativen Farbfilter- und Prisma-Effekten und ungewöhnlichen Settings eine Reise ins Unbewusste gekonnt auf die Leinwand zu bringen. Peter Fondas getriebene Jagd unter den Neon-Reklamen des Sunset Boulevards gehört unzweifelhaft zu den Höhepunkten des Genres.

Auf eine wenngleich recht dünne Narration setzt dagegen Psych-Out (1968) von Richard Rush in sehr ähnlicher Besetzung. Ausgerechnet die gehörlose Ausreißerin Jenny (Susan Strasberg), die ihren durchgedrehten Hippie-Bruder „The Seeker“ Steve (Bruce Dern) sucht, wird hier in den Sündenpfuhl des Musikers Stoney (Jack Nicholson) und des Gurus Dave (Dean Stockwell) im Haight-Ashbury-Bezirk von San Francisco eingeführt. Es ist ein psychedelischer Dschungel aus bunten Coffee-Shops, wilden WGs, freier Liebe und exzessivem LSD- und STP-Konsum, jenen halluzinogenen Drogen, für die der Bezirk bekannt war. Die an vielen Stellen fast dokumentarisch anmutende Milieu-Studie traut sich, durch die Reh-Augen der Audrey Hepburn-gleichen Susan Strasberg von der Faszination und zugleich Dysfunktion dieses gesellschaftlichen Gegenentwurfs zu erzählen, ohne am Ende eine Lösung bereitzustellen.

Konsequenterweise führten diese erfolgreichen Annäherungen an das jugendliche Publikum 1969 zum großen Erfolg von Easy Rider, mit dem sich die Freunde Dennis Hopper, Peter Fonda und Jack Nicholson selbst ein Denkmal setzten. Mit der Kamera von László Kovács, der bereits für Psych-Out fotografierte, und der Musik von Steppenwolf, Jimi Hendrix oder den Byrds gehört Easy Rider nicht im engeren Sinn zu den LSD-Filmen. Doch eine Schlüssel-Szene auf dem Friedhof, in der Fonda und Hopper mit zwei Gespielinnen Alkohol und LSD zu sich nehmen, enthält die so typischen Haupt-Ingredienzen: Im kleinen Tod des orgiastischen Drogen-Exzesses nimmt er das finale Ableben der Filmhelden vorweg – weniger groovy und doch denkwürdig in der Inszenierung.

be more, sense more, love more

Im Gegensatz zu diesen um authentische Darstellung bemühten Filmen der „Neuen Welle“ blieb die kurze Antwort des Mainstream-Kinos ein verzerrter Blick von außen, eine bloße „slide show“, die zwar mit Sympathie auf die junge Gegenkultur blickt, aber auch wenig Differenzierung zulässt. Der Hollywood-Veteran Otto Preminger hatte sich 1955 mit The Man with the Golden Arm schon einmal durchaus eindrücklich mit dem Thema Drogen auseinandergesetzt. Seine hysterische Parodie Skidoo (1968) erzählt nun von dem ehemaligen Auftragskiller „Tough“ Tony Banks (Jackie Gleason) und dem Mord an einem Kronzeugen, zu dem Banks gezwungen werden soll. Bei seiner Flucht von der Gefängnisinsel Alcatraz kommen schließlich sämtliche Insassen und Wärter ungewollt in den Genuss eines kollektiven LSD-Trips, wonach Banks dem Morden abschwört. Der Film ließ seinerzeit Kritik wie Publikum ratlos zurück. Heute gilt er jedoch als skurriles Phänomen des Film-Happenings und Genre-Mix, der Musical, Gangster-Komödie und Hippie-Drama vereint und fand im Museum of Modern Art in New York ein Revival. Skidoo lebt vor allem von seiner merkwürdigen Besetzung mit noch Unbekannten und bereits gestandenen Schauspielgrößen, Gesangstars wie Frankie Avalon und Carol Channing sowie Kultfiguren wie Groucho Marx oder dem Underground-Star Donjale Luna. Letztere war das erste farbige Vogue-Cover-Model, lebte mit Klaus Kinski zusammen und starb früh an einer Überdosis Heroin.

Preminger selbst soll durch den Drogenpapst Timothy Leary mit LSD in Kontakt gekommen sein. Leary stand denn auch Pate für die Hauptfigur des Dr. Barnett (Richard Todd) als Guru in The Love Ins (1967) von Arthur Dreyfuss. Unentschlossen zwischen Farce und Satire lässt dieser Film den Psychiater Barnett zum Anführer der jungen Hippies aufsteigen. Wie Leary 1967 vor 30.000 Hippies im Golden Gate Park in San Francisco sein Credo „turn on, tune in, cop out“ skandierte, verführt hier Dr. Barnett die Masse mit den Worten „be more, sense more, love more“. Auch dies führt zu nichts Gutem: am Ende wird der Guru von einem Rivalen niedergeschossen, aber sofort durch den nächsten Anführer ersetzt. Den Horror-Trip, auf den Patricia (Susan Oliver) als Alice im Wunderland gerät, gehört immerhin zu einer sehenswerten Szene in einer ansonsten kein Klischee auslassenden Produktion eines im wahrsten Sinn alten Hollywood, das versucht hip zu wirken. Wie nah diese Fiktion an der Wirklichkeit trotzdem war, zeigten ein Jahr später das echte Attentat auf Rudi Dutschke in Berlin oder die gewaltsamen „Kent State Shootings“ an der Universität Kent in Ohio von 1970, bei denen vier Studenten erschossen wurden.

Die Angst vor Menschenverführern und gewalttätigen Massenaufständen wurde auch im zeitgleich entstandenen Exploitation-Film Wild in the Streets (1968) von Barry Shear verarbeitet. Es ist eine Dystopie um den Aufstieg eines jungen Musikers zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, gespielt von Christopher Jones, dem Ehemann von Susan Strasberg, der James Dean auffällig ähnelt. Auf Geheiß des neuen, jungen Präsidenten werden am Ende alle Bürger, die älter als 35 Jahre sind, in KZ-artige Lager gebracht und unter Dauer-LSD-Einfluss gesetzt. Für die innovative Montagetechnik wurde der Film übrigens mit dem Oscar prämiert.

Die 20 Jahre von Sodom

Auch der Horrorfilm bediente sich der Droge allzu gern als Leitmotiv. Als erster LSD-Film überhaupt gilt dabei The Tingler (1959) von William Castle, in dem Vincent Price als Pathologe Dr. Chapin entdeckt, dass ein Parasit im menschlichen Rückgrat lebt, der sich zu ellenlanger Größe auswächst, wenn jemand seine Angst nicht durch Schreien kompensieren kann. Mit Hilfe von LSD versucht er sich selbst so zu ängstigen, dass er den „Tingler“ in sich sehen kann, doch er sieht ihn erst später in einer taubstummen Stummfilm-Kino-Besitzerin (Judith Evelyn), die von ihrem Mann zu Tode erschreckt wurde. Es ist eine großartige Hommage an ein Kino, das alle Sinne berührt und am Ende nicht tot zu kriegen ist. Das Animalische im Menschen wird auch im Horrorfilm I Drink Your Blood (1970) von David Durston geweckt, für den wiederum Charles Manson und seine Bande Vorbild waren. Eine Gruppe satanischer Hippies, die hier ihre LSD-Trips zwischen munteren Ratten-Kolonien in Abrisshäusern einwirft, kriegt Tollwut und mutiert zu kontaminierenden, mordenden Zombies, die ordentlich Schaum schlagen, bevor sie sich selbst abschlachten. Dagegen kommt die Erkenntnis des brasilianischen Films der Horror-Ikone Jose Mojica Marins alias Coffin Joe, O Ritual dos Sádicos (1970), schon fast drogenfrei daher: Das Tier im Menschen steckt in jedem und kann durch bloße Placebos geweckt werden. Die Szenerie allerdings, die der Film dafür entwirft, nimmt an manchen Stellen Pasolinis 120 Tage von Sodom (1975) vorweg und brachte ihm eine fast 20-jährige Zensur ein – wie übrigens auch I Drink Your Blood, der zu seiner Veröffentlichung im Jahr 1970 um zahlreiche Szenen gekürzt wurde und erst 2004 im „Director‘s Cut“ auf DVD erschien.

Auch ohne ganz auf Horrorfilm getrimmt zu sein, setzen LSD-Filme fast durchweg Elemente des Genres ein. Nämlich wenn es darum geht, den typischen Horrortrip darzustellen: Menschen fliegen aus Fenstern, werfen sich vor Autos, geraten in imaginäre Feuer, bringen andere im Rausch um, bleiben auf dem Trip hängen oder haben sogar dann Flashbacks, wenn man ihnen nur destilliertes Wasser injiziert. Phallusartige Messer, Holzpflöcke und Schraubenzieher oder umgewidmete Mordinstrumente wie Stricke oder Schlachtermesser dienen im Rausch zum Töten, so dass nach exzessives Liebesspielen auch immer viel Blut spritzen kann. Vor Drogen-Konsum wird nicht umsonst gewarnt – und das ausführlich und explizit im LSD-Film, ob durch begleitende Off-Kommentare in den Pseudo-Dokumentationen Hallucination Generation (1967) von Edward Mann oder Alice in Acidland (1969) von Donn Greer, in einleitenden Kommentaren wie in The Weird World of LSD (1967) von Robert Ground oder Cormans The Trip oder auch durch Rahmenhandlungen, in denen sich Ärzte von gefallenen Mädchen und anderen Drogenopfern erzählen wie in Lila / Mantis in Lace (1968) von William Rotsler oder in O Ritual dos Sádicos.

LSD: Love Sex Drug

Ob Hollywood-, Horror- oder (S)Exploitation-Film: LSD-Filme verbindet ein ganzes Setting an weiteren genretypischen Darstellungen. Auffällig ist natürlich der Trip selbst, der überall in ähnlichem Musik- und Bildvokabular inszeniert wird. So werden am liebsten Farbfilter und Projektionen über Gesichter und Körper gelegt bzw. Szenen mit experimentellen elektronischen oder Sitar-Klängen und schneller Beat- oder Jazz-Musik untermalt. Es finden sich immer wieder Elemente aus Surrealismus, Expressionismus und Horrorfilm, kombiniert mit Kostümen und Kulissen aus dem Theaterfundus, deren verstörende Wirkung durch verschobene Bildachsen, lange Schatten, Stop-/Slow-Motion und schnelle Schnitte verstärkt wird. Dabei wechseln reale Drehorte wie Straßen, Wohnungen, Bars oder Waschsalons zu surrealen Räumen, meist unter der Erde, in Lagerräumen oder gruftartigen Gebilden, die das Unbewusste, aber auch die Hölle symbolisieren sollen. Interessanterweise steht bis auf The Trip weniger das individuelle Erleben von LSD im Vordergrund, sondern vielmehr seine Effekte auf die Gesellschaft. So dient LSD auch mal zur Bekehrung von Verbrechern wie in Skidoo oder wird zum Anti-Aging wie in Wild in the Streets eingesetzt.

Auch wenn gerade im LSD-Film eine Generation im Umbruch gezeigt wird, bleibt das tradierte Männerbild erhalten. Neu ist nur, dass die jungen Frauen sich noch schneller ausziehen und unter LSD-Einfluss zu wilden Nymphomaninnen werden – LSD als Alibi für noch mehr „sex on screen“. Die Zusammensetzung der Hippie-Darsteller ist so gut wie immer multiethnisch, allerdings werden sie meist als Außenseiter dargestellt, als Gammler, Gogo-Girls, Junkies oder Lesben. Sie treten immer in Gruppen auf und oftmals als tumbe, triebgesteuerte Wesen. Ärzte, Psychiater, Polizisten sind entweder Antreiber, die ihre wehrlosen Opfer nach Pillen-Partys zu Verbrechern oder willenlosen Sex-Opfern werden lassen oder heben als Beobachter den mahnenden Finger. Gottesähnliche Figuren und eine auffällige christliche Todessymbolik begleiten diese (pseudo-)moralische Implikation.

Positiv ist jedoch – und das ist nach mehr als 50 Jahren das besondere Verdienst des LSD-Films dieser Zeit –, dass alle Produktionen eine besondere Lust am filmischen Experiment verbindet. Legendär sind die Elektroschocks an den Kinosesseln, mit denen The Tingler in den Kinos zu einem ganzkörperlichen Erlebnis werden sollte. Aufwändig komponiert wurde der gesungene Abspann von Skidoo, der alle Mitwirkenden im Song aufzählt. Experimentelle Schnittfolgen und Bildmontagen von The Trip oder Wild in the Streets könnten auch aus einem modernen Musikvideo stammen. Und die Mischung von Schwarzweiß-Film mit Farbfilm für besondere ästhetische Effekte wie in The Wizard of Oz, The Tingler, Alice in Acidland, Hallucination Generation oder O Ritual dos Sádicos findet sich bis heute in Filmen wie z.B. Spielbergs Schindler’s List (1994) oder Sin City (2005) von Rodriguez/Miller/Tarantino. LSD hat der Filmgeschichte also letztlich mehr genutzt als geschadet und uns einen ganzen Reigen schriller Werke hinterlassen, die ihr ungewohnter Blick auf die Gegenkultur der 1968er-Generation vereint.