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The Crazies

Horror-Remakes

Alpträume und Schauergeschichten

| Jörg Schiffauer |

Remakes von Horrorfilmen aus den Siebziger und Achtziger Jahren sind in Hollywood en vogue, „The Crazies“ ist das aktuelle Beispiel für diesen Trend. Zeit, sich auf die Spuren der Originale zu machen.

Als Roger Ebert 1972 den Debütfilm eines Regisseurs namens Wes Craven rezensierte, sparte der Kritikerpapst nicht mit Lob: „Last House on the Left is a tough, bitter little sleeper of a movie that’s about four times as good as you’d expect. There is a moment of such sheer and unexpected terror that it beats anything in the heart-in-the-mouth line since Alan Arkin jumped out of the darkness at Audrey Hepburn in Wait Until Dark.” Eberts Enthusiasmus galt allerdings nicht irgendeiner Talentprobe eines jungen Filmemachers, sondern einem Film, der jahrelang heftig umstritten bleiben sollte. Besagter The Last House on the Left war nämlicher einer der ersten Vertreter jenes neuen amerikanischen Horrorkinos, das in den Siebziger Jahren für Furore  – und Kontroversen – sorgte und dessen Einflüsse die Populärkultur nachhaltig prägen sollten. Zwei Mädchen fallen einer Bande aus dem Gefängnis entflohener Verbrecher in die Hände, die die beiden in einen Wald verschleppen, um sie dort zu quälen, zu vergewaltigen und schließlich zu ermorden. Auf ihrer Flucht gelangt die Bande in das Haus der Eltern eines ihrer Opfer, ohne vorerst zu ahnen, wo sie sich befinden. Als diese jedoch herausfinden, was ihrer Tochter zugestoßen ist, üben sie an den Tätern auf besonders grausame Art blutige Rache. Was den Plot angeht erscheint The Last House on the Left wie der gewohnte Rache-Thriller, doch Cravens kleiner, rauer Film (das Budget betrug gerade einmal 90.000 Dollar) erzielt seine Schockwirkung nicht mittels konventioneller Spannungsbögen, sondern primär durch eine wuchtige, explizite Gewaltdarstellung – welche noch dazu eine verstörende sadistische Komponente aufweist – die man in dieser drastischen Form im Kino nicht vorzufinden gewohnt war. „What does come through in Last House on the Left is a powerful narrative, told so directly and strongly that the audience (mostly in the mood for just another good old exploitation film) was rocked back on its psychic heels”, merkte Roger Ebert treffend an, um damit gleich die Quintessenz des US-amerikanischen Horrorfilms der Siebziger Jahre auf den Punkt zu bringen.

Purer Schrecken

Denn Last House… war nur der Auftakt, in den nächsten Jahren sollten die führenden Köpfe des US-amerikanischen Horrorfilms mit wegweisenden Arbeiten wie The Crazies (George A. Romero, 1973), The Texas Chainsaw Massacre (Tobe Hooper, 1974) und The Hills Have Eyes (Wes Craven, 1977) dieser Linie konsequent treu bleiben. Ihre nachhaltige Schockwirkung, die weit über gängige Genre-Produktionen hinausreichte, erzielten diese Filme jedoch nicht nur durch ihre drastischen Gewaltsequenzen, sondern durch die Verknüpfung ihrer jeweiligen Schreckensszenarien mit einem zeitgenössischen, realen Umfeld. Die Regisseure des neuen US-Horrors entzogen dem Zuschauer die Möglichkeit der Distanzierung mittels Genre-Konventionen oder der Flucht in phantastische Welten. Ihre Filme waren mitten in den Vereinigten Staaten der Gegenwart angesiedelt, die Opfer des Horrors entsprachen jenen durchschnittlichen Typen, die dem Zuschauer an jeder Straßenecke begegnen hätten können. Zudem hatten diese Filme durch ihre grobkörnigen, streckenweise mit der Handkamera aufgenommenen Bildern, ein semidokumentarisches Aussehen, das die Unmittelbarkeit des Schreckens noch verstärkte. Hatte George Romero bei Night of the Living Dead (1968) das Grauen durch eine expressionistisch anmutende Schwarzweiß-Fotografie noch ein klein wenig abgemildert – obwohl auch Romeros Zombies nichts mehr mit den mythologischen Gestalten des klassischen Horrorfilms gemeinsam haben und eine wesentlich handfestere Form des Schreckens hervorrufen –, verzichteten Filme wie The Last House on the Left und The Texas Chainsaw Massacre auf einen solchen Filter und konfrontierten den Zuschauer mit einer bislang nicht gesehenen blanken Form des Schreckens, der einem Terroranschlag auf die Nerven des Publikums gleich kam. Es blieb jedoch George A. Romero vorbehalten, mit Dawn of the Dead (1978), einem derartig drastisch in Szene gesetzten Horrorfilm, Zuschauerschichten zu erschließen, die weit über die übliche Fangemeinde und Aficionados hinausgingen. Ansonsten ernteten die jungen, wilden Regisseure – die treffend auch als „Fauves“ bezeichnet wurden, in Anlehnung an eine von Henri Matisse angeführte Gruppe französischer Maler – durchaus Kritikerlob, dem Mainstream blieben ihre Arbeiten schon aufgrund ihrer Radikalität und Kompromisslosigkeit weitgehend fremd. Trotz der Anerkennung in Fachkreisen mussten sich Romero, Craven & Co. über viele Jahre auch mit dem Schmuddelimage bloßer oberflächlicher Gewaltverherrlichung herumschlagen, was zur Folge hatte, dass ihre Filme vor allem auf diversen Video-Editionen in grauenhaft geschnittenen Fassungen veröffentlicht wurden, und etwa in Deutschland jahrzehntelang auf dem Index standen.

… und dann kam Michael Bay

Es mag daher nicht verwundern, dass die Protagonisten des neuen amerikanischen Horrorkinos mit der Hinwendung zu konventionelleren Sujets schon bald größere ökonomische Erfolge erzielten konnten. Sean S. Cunningham, Produzent von The Last House on the Left schuf mit Friday the 13th (1980) eine Ikone des Slasherfilms, Wes Craven inszenierte mit A Nightmare on Elm Street den ersten Film der äußerst erfolgreichen Reihe um den unheimlichen Freddy Krueger, John Carpenter erzielte mit dem ultimativen Klassiker des Slasherfilms, Halloween (1978), einen der größten Überraschungserfolge überhaupt. Zweifellos waren auch in diesen Arbeiten noch etliche Elemente und Stilmittel des neuen amerikanischen Horrorkinos vorhanden, doch der Rückzug hinter Genre-Konventionen, mythische Gestalten und phantastische Welten war unübersehbar.

Nicht nur für die Fangemeinde war es daher einigermaßen überraschend, dass ausgerechnet Michael Bay 2003 als Mastermind hinter dem Remake von The Texas Chainsaw Massacre stand, hatte der doch bis dahin als Produzent massenkompatible Blockbuster wie Armageddon und Pearl Harbor betreut. Dass sich Michael Bay mit The Texas Chainsaw Massacre ausgerechnet eines der radikalsten Filme aus der legendären Horror-Ära annahm, schien ein wenig paradox zu sein. Doch Bays Rechnung ging zumindest kommerziell auf, das Remake – die Regie überließ er dem auf Musikvideos spezialisierten Marcus Nispel – spielte mehr als 80 Millionen Dollar ein. Woraufhin Michael Bay ganz offensichtlich Blut geleckt hatte: In den nächsten Jahren produzierte er mit The Amityville Horror (2005) und The Hitcher (2007) die Neuauflagen zweier Horrorthriller aus den Achtziger Jahren sowie das Prequel The Texas Chainsaw Massacre: The Beginning (2006), um in jüngster Vergangenheit mit Friday the 13th (2009) und A Nightmare on Elm Street die Remakes von Klassikern des US-Horrorkinos auf den Markt zu bringen. Hollywood hatte offenbar endgültig Gefallen an dieser Ära gefunden, sind doch mittlerweile die Neufassungen von Schlüsselwerken wie The Hills Have Eyes (2006) samt einem Sequel sowie The Last House on the Left (2009) in den Kinos gelaufen, Zack Snyder, einer der interessanteren neuen Regisseure Hollywoods, hat sich an Dawn of the Dead (2004) versucht, Rob Zombie versündigte sich hingegen mit seiner lächerlichen Version von Halloween (2007) an Carpenters Klassiker.

Einmal abgesehen von den unterschiedlichen Qualitäten all dieser Remakes, erstaunt es doch, dass sich Hollywood mit der Wiederaufbereitung von Genrewerken – die wegen ihrer Radikalität durchaus kontroversiell aufgenommen wurden – das Erschließen breiterer Publikumsschichten und den nur damit zu erzielenden ökonomischen Erfolg verspricht. Dass etliche dieser Remakes allein in den USA je 50 Millionen Dollar plus einspielten, spricht dafür, dass man damit im Mainstream angekommen ist. Es würde zunächst einmal zu kurz greifen, den Rückgriff auf die Arbeiten des neuen US-amerikanischen Horrorkinos auf gesellschaftspolitische Kongruenzen zurückführen zu wollen. Zweifellos lässt sich das Entstehen jenes drastischen US-Horrorkinos in den Siebziger Jahren eng mit der politischen Situation in den Vereinigten Staaten in dieser Zeit verknüpfen. Der gesellschaftliche Umbruch, der seit den Sechziger Jahren stattfand, hatte zu einer zunehmend konfrontativen innenpolitischen Situation geführt. Der Vietnam-Krieg, blutig niedergeschlagene Studentenproteste, Afro-Amerikaner, die vehement ihre Bürgerrechte einforderten, oder Watergate waren nur einige der brisanten Themen, die tiefe, unüberbrückbare Gräben quer durch die US-amerikanische Bevölkerung gerissen hatten. Die Gegenkultur wurde von konservativen Kreisen zusehends nur mehr als Bedrohung wahrgenommen, deren Vertreter trauten umgekehrt der Staatsmacht – die nicht davor zurückschreckte, an der Kent State Universität auf demonstrierende Studenten schießen zu lassen, was vier von ihnen das Leben kosten sollte – so ziemlich jede Schweinerei zu. Die Filme des neuen amerikanischen Horrorkinos spiegelten diese von Angst, Gewalt und latenter Aggression geprägte Grundstimmung kongenial wider – hinter jeder Straßenecke konnten psychopathische Killer lauern (The Last House on the Left), das ländliche Amerika war nicht mehr die Heimat freundlicher Menschen, sondern von degenerierten Serienmördern mit einem Hang zum Kannibalismus (The Texas Chainsaw Massacre). Der amerikanische Traum war schlagartig zum Alptraum mutiert, und Filmemacher wie Romero, Craven und Hooper trugen dem in ihren frühen Arbeiten ausgiebig Rechnung. Ihre Filme waren in ihrer wilden Direktheit sowohl ästhetisch als auch inhaltlich ein Frontalangriff auf sämtliche bürgerliche Wertvorstellungen: ganz gleich ob Staatsgewalt, Familie oder traditionelle Moralvorstellungen, nichts blieb dabei vor dem Horror verschont.

Die Wahl von George W. Bush zum Präsidenten der Vereinigten Staaten und in weiterer Folge der Irak-Krieg haben zwar ebenfalls Risse in der US-amerikanischen Gesellschaft hinterlassen, doch beschränkten sich die daraus entstehenden Konflikte primär auf den politischen Diskurs und waren deshalb nicht mit der „Us Versus Them“-Stimmung zu Beginn der Siebziger Jahre vergleichbar. Dem gegenwärtigen politischen Zeitgeist ist die Flut von Remakes also ganz offensichtlich nicht geschuldet, diese gesellschaftskritische Dimension ist dann den Neubearbeitungen auch völlig abhanden gekommen. Schlüssiger dürfte da schon die Annahme sein, dass sich Michael Bay und seine Produzentenkollegen ganz einfach den populärkulturellen Status, über den die Schlüsselwerke des neuen amerikanischen Horrorkinos verfügen und der weit über die Rezeption der Originale hinausreicht, zunutze gemacht haben. Der Zuspruch des Publikums legt den Schluss nahe, dass sich die Aktivierung des kollektiven Popkulturgedächtnisses ökonomisch durchaus gelohnt hat. Was die Filmästhetik angeht, ging der Kulturtransfer jedoch weit weniger reibungslos vonstatten.

Fehlende Abgründe

George A. Romeros The Crazies ist das aktuellste Beispiel für diese Welle von Neuverfilmungen, und anhand dieses Schlüsselwerks des neuen amerikanischen Horrorfilms lassen sich die Schwachstellen dieser Remakes geradezu exemplarisch aufzeigen. Romeros The Crazies handelt von einer Kleinstadt, in der plötzlich auf zunächst unerklärliche Art und Weise harmlose Bürger ein extrem aggressives Verhalten an den Tag legen und selbst vor Mord nicht zurückschrecken. Eine Spezialtruppe der US-Army riegelt bald darauf die Stadt ab und liefert die Erklärung für diese einschneidenden Maßnahmen: Nach einem Flugzeugabsturz hat ein biologischer Kampfstoff das Trinkwasser verseucht, die mit dem freigesetzten Virus Infizierten mutieren zu unkontrollierbaren Wüterichen. Niemand darf die Region verlassen, bis ein Gegenmittel gefunden ist. Doch die Versuche der Army, die Bevölkerung in der örtliche Schule zu internieren, verlaufen anders als geplant: Die verunsicherten und verängstigten Bürger setzen sich gegen die Zwangsmaßnahmen zur Wehr und unvermittelt sehen sich die Soldaten in einen Guerillakrieg verwickelt, in dessen Verlauf schon bald nicht mehr klar ist, wer gegen die Internierung rebelliert oder schlicht aufgrund der fortschreitenden Infektion zur Waffe greift.

Romeros Inszenierung weist die für das amerikanische Horrorkino der Siebziger Jahre typischen Qualitäten auf: Der gewohnte Alltag verwandelt sich unversehens in blankes Grauen, aus dem es kein Entkommen gibt, mit drastischen, semi-dokumentarisch anmutenden Bildern erscheint der Horror erschreckend real. Breck Eisners gleichnamige Neuverfilmung orientiert sich inhaltlich weitgehend am Original, mit einem wesentlichen dramaturgischen Unterschied: Seine Inszenierung konzentriert sich auf eine kleine Gruppe, die aus der Sperrzone zu fliehen versucht und sich dabei gegen die Soldaten und aggressive Infizierte behaupten muss. Romeros Film dagegen behält einen größeren Fokus bei, er zeigt neben den Fluchtversuchen auch die Perspektive der Soldaten, die schon bald wenig Verständnis für einen gefährlichen Einsatz haben, der sie noch dazu zwingt, gegen die eigene Bevölkerung vorgehen zu müssen. Verunsicherung und Zweifel greifen innerhalb der Truppe um sich, auch für die Soldaten wird der Einsatz zu einem Horror-Trip, aus dem es kein Entrinnen gibt. Breck Eisners limitierte Perspektive reduziert den Stoff auf ein recht konventionelles Verfolgungsjagd-Szenario, das zwar durchaus seine spannenden Momente hat, dem aber die verstörende Abgründigkeit des Originals weitgehend fehlt.

Womit sich das Kernproblem aller Remakes aber auch schon auf den Punkt bringen lässt. Was den Splatter-Faktor angeht, stehen die Neuverfilmungen den Vorbildern um nichts nach – im Fall von The Hills Have Eyes etwa übertrifft die explizite Gewaltdarstellung das Original um Längen – doch da haben sich die Rezeptionsgewohnheiten in den letzten Jahren ohnehin recht drastisch verschoben. Eine derartige Zuspitzung  führt letztlich nur dazu, dass dem Zuschauer die Flucht in die Distanzierung durch den Satz „It’s only a movie“ leichter gelingt. Was den durchwegs entlang vertrauter Genre-Konventionen in Szene gesetzten Remakes jedoch abgeht, ist jene sinistre Bösartigkeit und der abgrundtiefe Pessimismus der Originale, die dem dort verbreiteten Schrecken die Wucht einer Naturgewalt verleihen, der man einfach nicht entkommen kann. Die Filme des neuen amerikanischen Horrorkinos sind Alpträume, die den Zuschauer nachhaltig verfolgen, ihre Remakes dagegen bloß Schauergeschichten, die niemandem schlaflose Nächte verursachen.

 

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