Danny Boyle präsentiert mit „Yesterday“ eine alternative Realität, in der die (Pop)-Welt ohne Beatles auskommen muss.
Der Weg zum Erfolg ist oft ein besonders mühseliger. Eine oft strapazierte Binsenweisheit, die man insbesondere Menschen, die sich in der Kunst versuchen, gern an den Kopf wirft. Dass es sich dabei um mehr als ein Körnchen Wahrheit handelt, muss Jack Malik (Himesh Patel) auf reichlich schmerzhafte Weise erfahren. Der junge Mann, der nicht mehr allzu weit von seinem dreißigsten Geburtstag entfernt ist, versucht alles, um eine Karriere als als Singer-Songwriter in Gang zu bringen. Keine Bühne ist ihm zu klein, um seine selbst komponierten Songs zu intonieren, aber trotz all seines Enthusiasmus bleibt die Resonanz – vorsichtig formuliert – überschaubar. Doch eines schönen Tages gelingt Ellie (Lily James), mit der Jack seit ihrer gemeinsamen Schulzeit eine enge Freundschaft verbindet und die neben ihrem eigentlichen Beruf als Lehrerin als seine Managerin fungiert, der vermeintlich große Coup – sie organisiert ihm einen Auftritt im Rahmen des renommierten Latitude-Musikfestivals. Doch die große Chance gerät zum Desaster. Jack muss auf einer mickrigen Nebenbühne in einem Zelt aufspielen, in das sich abgesehen von Ellie und ein paar anderen Bekannten kaum jemand verirrt. Nach dem Konzert zieht Jack eine ernüchternde Bilanz über seine bisherige Laufbahn: Obwohl er seiner Leidenschaft für die Musik alles untergeordnet hat, gelingt es ihm nicht, irgendjemanden für seine Songs zu begeistern. Um genügend Zeit für sein musikalisches Schaffen aufbringen zu können, hat er eine mögliche Lehrtätigkeit hintangestellt, hält sich stattdessen mit einem Aushilfsjob in einem Supermarkt finanziell über Wasser, was zur Folge hat, dass Jack immer noch im Haus seiner Eltern wohnen muss. Der missglückte Auftritt beim Latitude-Festival soll deshalb überhaupt sein letzter gewesen sein, wie er resignierend seiner Freundin Ellie verkündet. Trotz ihrer Versuche, ihm Mut zuzusprechen, bleibt er bei seinem Entschluss, die Laufbahn als Musiker endgültig ad acta zu legen. Als sich Jack an diesem Abend mit seinem Motorroller auf den Weg nach Hause macht, ereignet sich ein globaler Stromausfall, der die gesamte Welt für zwölf Sekunden in völlige Dunkelheit versinken lässt. Was neben allen anderen Auswirkungen für Jack besonders fatale Folgen hat, übersieht er doch mangels Straßenbeleuchtung einen Autobus und landet nach einem heftigen Zusammenprall einigermaßen ramponiert im Krankenhaus.
Danny Boyles Inszenierungen sind unprätentiös, ohne jemals ins konturlose Mittelmaß unterhaltungs-industrieller Konventionalität abzudriften
Als er wieder entlassen wird, überreichen Ellie und ein befreundetes Pärchen Jack als Ersatz für seine bei dem Unfall zu Bruch gegangene Gitarre ein neues Instrument, das er mit einem Klassiker der Pop-Geschichte einweiht – „Yesterday“. Die Reaktionen sind jedoch einigermaßen verblüffend, als seine Freunde ihm zu diesem wunderbaren Song gratulieren und wissen wollen, wann Jack den komponiert habe. Die Hartnäckigkeit, mit der alle darauf bestehen, noch nie etwas von einer Band namens „The Beatles“ gehört zu haben, hält Jack zunächst für einen fein orchestrierten Practical Joke auf seine Kosten, doch als er dann doch im Internet recherchiert, muss er das Unglaubliche schließlich akzeptieren – in der Welt nach dem Stromausfall existieren die Fab Four und ihre Musik nicht mehr. Nachdem er den ersten Schock überwunden hat, kommt Jack die nahe liegende Idee, die Welterfolge der Beatles als seine eigenen Kompositionen auszugeben, um so der Welt ein bedeutendes Stück Popkultur wiederzugeben – und seine eigene Karriere endlich doch noch in Schwung zu bringen. Und tatsächlich wird nach kurzer Zeit sogar Superstar Ed Sheeran auf den bislang völlig unbekannten Sänger aufmerksam und ermöglicht Jack, im Vorprogramm bei einem seiner Konzerte aufzutreten. Bald schon entfalten die Songs der Beatles ihre magische Wirkung, eine Managerin, die alle Winkelzüge im Showbusiness kennt – Kate McKinnon spielt diesen Charakter als herrlich mephistophelische Figur –, nimmt Jack unter ihre Fittiche, womit seinem kometenhaften Aufstieg nichts mehr im Weg zu stehen scheint.
Alternative Realitäten zählen naturgemäß zu beliebten narrativen Sujets, sind doch den damit verbundenen Gedankenspielen à la „Was wäre, wenn“ kaum Grenzen gesetzt. Nun mögen die Veränderungen, die Danny Boyle (Interview) in Yesterday präsentiert, im großen Weltenplan eine eher untergeordnete Rolle spielen, für das popkulturelle Universum bedeutet die Nicht-Existenz der Beatles jedoch eine Katastrophe von geradezu epischem Ausmaß. Um diese originelle Grundidee setzt Boyle auf einen heiteren, melancholischen Grundton, dabei changiert seine Inszenierung geschickt zwischen schwungvoller Komödie samt einigen romantischen Elementen und liebevoller Hommage an eine der glanzvollsten Epochen der Popgeschichte.
Yesterday erweist sich dabei als präzise Arbeit eines Regisseurs, der – und das soll keinesfalls als nur irgendeine Art von Geringschätzung missverstanden werden – sein Handwerk wirklich versteht. Im Verlauf seiner Karriere hat Danny Boyle immer schon höchst unterschiedliche Themen und Genres in Angriff genommen, sein Œuvre umfasst dabei die schwarzhumorige Milieustudie Trainspotting, das Aussteigerdrama The Beach, Endzeithorror in 28 Days Later, den Sci-Fi-Thriller Sunshine, das mit acht Oscars ausgezeichnete Drama Slumdog Millionaire, das weitgehend auf ein Single-Character-Movie reduzierte Überlebensdrama 127 Hours oder das Biopic Steve Jobs. Boyle versteht es, solche Sujets versiert und durchaus breitenwirksam aufzubereiten, um dabei jedoch auch bis zu einem gewissen Grad eine eigene Handschrift zu etablieren. Seine Inszenierungen sind unprätentiös, ohne jemals ins konturlose Mittelmaß unterhaltungsindustrieller Konventionalität abzudriften.
Und wie die Mehrzahl seiner Regiearbeiten funktioniert auch Yesterday zunächst als stringente Erzählung – dafür garantiert schon das Drehbuch von Richard Curtis, der bereits für die Skripts von Publikumserfolgen wie Four Weddings and a Funeral, Notting Hill oder Steven Spielbergs Drama War Horse verantwortlich zeichnete – tadellos, um aber auch durchaus kritische Themen wie künstlerische Integrität oder die Schattenseiten der Unterhaltungsindustrie moderner Prägung anzureißen. Dabei hätte es – besonders im Schlussdrittel geht Yesterday ein wenig zu sehr in Richtung Feelgood-Movie – durchaus ein wenig kantiger zugehen können. Der Reverenz an eine der größten Bands der Popgeschichte wäre dies mit Sicherheit nicht abträglich gewesen. Dass Yesterday jedoch nicht nur ein Fall für popkulturelle Nostalgiker bleibt, ist auch dem fein agierenden Ensemble geschuldet, bei dem Danny Boyle mit dem bislang weitgehend unbekannten Himesh Patel in der Hauptrolle Mut zum Risiko bewies, das sich sichtbar gelohnt hat.