Danny Boyle im Gespräch über „Yesterday“, über Humor im Film und im Leben und über Jürgen Klopps Status in Liverpool.
Mister Boyle, wer in den sechziger oder siebziger Jahren aufwuchs, musste sich oft entscheiden: Beatles oder Stones? Stand diese Frage für Ihren Film auch zur Debatte?
Danny Boyle: Die Stones sind düsterer als die Beatles, das hätte zur optimistischen Stimmung unseres Films nicht gepasst. Die Beatles zelebrieren das Leben und die Liebe, gleichzeitig gibt es in den Texten auch diese melancholische Komponente der poetischen Art – das würde man bei den Stones nicht finden.
Wie haben Sie die Beatles damals erlebt?
Danny Boyle: Beim Durchbruch der Beatles war ich sieben Jahre alt. Wenn unsere Eltern die Songs auf dem Plattenspieler spielten, habe ich oben im Kinderzimmer mit meiner Zwillingsschwester die Beatles nachgemacht. Wie alle Mädchen damals war sie völlig in Paul verknallt und hat dessen Part übernommen. Ich war natürlich John Lennon. Und unserer vierjährigen Schwester überließen wir den Rest der Band. Später war ich allerdings nie der ganz große Fan, mich haben mehr David Bowie und Led Zeppelin begeistert. Da weiß ich von jeder Platte, wo und wann ich sie gekauft habe.
Welchen gesellschaftlichen Stellenwert haben die Beatles für Sie?
Danny Boyle: Die Beatles haben die Welt verändert. Sie sagten, wir gehen nicht in eure Armee. Wir machen nicht die Jobs, die ihr uns vorschreibt. Wir leben lieber unser eigenes Leben, mit Liebe und Vergnügen. Die Beatles waren regelrecht besessen von der Idee des Friedens.
Wie sah die Zusammenarbeit mit den noch lebenden Beatles aus?
Danny Boyle: Paul McCartney und Ringo Starr mochten die Idee des Films und sahen keine Gefahr darin. Viel mehr Sorgen macht ihnen, wenn ihre Musik auf den Webseiten irgendwelcher Politiker auftaucht. Nachdem sie ihre Zustimmung gaben, konnten wir mit den Rechteinhabern über das Geld verhandeln.
Was sagen sie zum fertigen Film?
Danny Boyle: Wir bekamen sehr schöne Briefe von Ringo und Olivia, der Witwe George Harrisons. Das sind private Schreiben, nicht als öffentliche Unterstützung gedacht – aber beide zeigten sich vom Film sehr berührt. Paul hat den Film noch nicht gesehen, aber er mag den Trailer. Ihn hatten wir auch gefragt, ob wir „Yesterday“ als Titel verwenden dürften. Worauf er amüsiert antwortete: „Ja, aber vielleicht solltet ihr den Film lieber „Scrambled Eggs“ nennen“. Schließlich sei das der ursprüngliche Titel gewesen. Als Paul eines Morgens mit der Melodie aufwachte, sang er sie zunächst mit „Scrambled Eggs“.
Wie haben Sie den Newcomer Himesh Patel für die Hauptrolle gefunden?
Danny Boyle: Wir haben etliche Kandidaten getroffen, die mehr Gesangstalent hatten als Himesh. Aber als er „Back in the USSR“ vorspielte, wusste ich, dass das unser Mann ist. Es war so, als hätte ich diesen Song noch niemals zuvor gehört. Er spielte ihn einerseits mit sehr viel Respekt, ging andererseits aber sehr frei damit um. Es war nicht irgendeine Karaoke-Version, die versucht, besonders originell zu sein. Es fühlte sich an, als ob der Song irgendwie erneuert wurde. Himesh gab uns das Gefühl, dass die Lieder nur für ihn geschrieben wurden. Zudem besitzt er diese leichte Melancholie, die mir gut gefiel.
Auf das übliche Playback verzichten Sie und lassen Ihren Helden live singen. Wo liegen die Vorteile?
Danny Boyle: Wenn Himesh live singt und spielt, unterstreicht das seine Wahrhaftigkeit. Bei Musikfilmen wird gern auf den möglichst perfekten Ton gesetzt, aber Playback bringt mich um. Wer würde einen Dialog per Playback einspielen? Die Zuschauer sollten immer das Gefühl haben, dass sich das Gezeigte genau in diesem Moment abspielt.
Wie kam Ed Sheeran in Ihren Film?
Danny Boyle: Die Geschichte von unserem Jack ist verblüffenderweise ja sehr ähnlich zu jener von Ed Sheeran. Auch Ed ist ein Singer-Songwriter, der in Suffolk durch kleine Pubs tingelte und lange unbekannt war. Und plötzlich erlebt er gleichsam über Nacht diesen kometenhaften Aufstieg. Wie Jack heiratet Ed ebenfalls seine Jugendfreundin. Es fühlte sich einfach richtig an, Ed im Film zu haben – und zwar ganz genau so, wie er ist.
War „Yesterday“ der Ersatz für Ihren „James Bond“-Film, der nicht zustande kam?
Danny Boyle: Nein, Yesterday entstand bereits vor Bond. Während der Dreharbeiten begannen wir mit der Entwicklung des neuen 007. Leider stellte sich dann heraus, dass die Bond-Produzenten unser Drehbuch nicht mochten. Bei einem solch großen Projekt bedarf es einer gewissen Harmonie, sonst ist es nicht möglich.
„Stop in the name of money“ sagt die profitgierige Managerin im Film einmal. Spiegelt das Ihre einstigen Hollywood-Erfahrungen mit „The Beach“ wider?
Danny Boyle: Es gibt einige wenige Regisseure in Hollywood, die brillant mit Geld umgehen können, ohne dabei Kompromisse zu machen und die ihrer persönlichen Vision folgen. Allen voran Christopher Nolan, dessen Filme ganz einzigartig sind, in jedem seiner Werke steckt 100 Prozent Nolan. Von Ridley Scott lässt sich dasselbe behaupten.
Nach acht Oscars für „Slumdog Millionaire“ sowie einer Reihe von Filmen mit Kultstatus: Muss man sich da als Regisseur noch etwas beweisen oder wähnt man sich ganz entspannt in völliger Freiheit?
Danny Boyle: Man fängt bei jedem Film von Neuem an und hofft, dass man beim nächsten Projekt wieder mit am Tisch sitzen darf und arbeiten kann. Regisseur zu sein ist ein großes Privileg, weil man die Möglichkeiten hat, sich auszudrücken und zu verwirklichen. Das ist bei den meisten Jobs nicht der Fall. Dieses Privileg der Arbeit bleibt, ganz unabhängig, ob man Preise bekommt oder nicht.
Sie haben neben Komödien auch Horrorfilme und Science-Fiction gedreht. Macht es mehr Spaß, das Publikum zu erschrecken oder zum Lachen zu bringen?
Danny Boyle: Das Vergnügen ist für mich ziemlich ähnlich. Wobei ich mir meine Arbeit nur fürs Kino vorstellen kann, wo die Zuschauer gemeinsam dieses Gefühl von Angst, Freude oder Lachen erleben – im Fernsehen wüsste ich offen gestanden nicht, wie ich solche Reaktionen je erreichen könnte.
In „Yesterday“ kennt die Menschheit nicht nur keine Beatles mehr, auch Coca-Cola oder Harry Potter sind aus dem Bewusstsein verschwunden. Braucht man für solche Späße eine Genehmigung?
Danny Boyle: Wie haben nie nach einer Erlaubnis gefragt. Nur bei Pepsi mussten wir nachfragen, weil wir das Produkt im Film verwenden. Pepsi hätte Einspruch erheben können, wenn sie Sorgen um ihr Image gehabt hätten. Bei Dingen, die nur erwähnt werden, haben wir nicht nachgefragt. Auf das Gesicht von Joanne K. Rowling bin ich gespannt, wenn sie im Film erfährt, dass es Harry Potter nie gegeben hat! (Lacht.) Man sollte ihre Reaktion filmen, wenn sie im Kino sitzt.
Welche Rolle spielt Humor in Ihrem Leben?
Danny Boyle: Humor der selbstironischen Art finde ich unglaublich wichtig, so wie Ed Sheeran das im Film praktiziert. Man sollte über sich selbst lachen können – aber auch über andere. Ermüdend gerät das allerdings für jene, die diesen Humor nicht verstehen. Ich hatte einmal ein Beziehung mit einer Frau, die aus einem völlig anderen Kulturkreis stammte. Die hat meinen Humor nie verstanden und fand ihn sehr anstrengend. Je nördlicher man in Großbritannien ankommt, desto derber ist der Humor. Liverpool ist gnadenlos, du weißt noch nicht einmal, wenn die Leute dich hochnehmen.
Das sollten Sie Jürgen Klopp erzählen …
Danny Boyle: Jede Wette, dass Jürgen Klopp in Liverpool von den Menschen ständig verarscht wird – aber sie lieben ihn natürlich auch, er ist für sie ein Heiliger.