Action-Film mit wenig Action, aber viel Gefühl: Der 91-jährige Clint Eastwood als Doctor Doolittle im Wilden Westen
„Ich glaube, ich war schon gesellschaftspolitisch links und wirtschaftspolitisch rechts, bevor das in Mode kam“, sagt Clint Eastwood im Interview, „Ich mag die libertäre Sichtweise, jeden in Ruhe zu lassen“. Der schon zu Lebzeiten legendäre Schauspieler, Regisseur und Gelegenheitskomponist war und ist gegen die Beteiligung der Vereinigten Staaten an Kriegen in überseeischen Gebieten wie Korea, Vietnam, Irak und Afghanistan. Erst unterstützte er Donald Trump im Wahlkampf, dann bezeichnete er dessen Politik als „widerwärtig“, vor allem Trumps Absicht, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten. Und so kann man auch seinen neuesten Film Cry Macho, bei dem die mittlerweile 91-jährige (Italo-)Western-Ikone immer noch fest im Sattel sitzt, als eine Versöhnung mit dem Nachbarland lesen.
Die Inhaltsangabe lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Der ehemaliger Rodeo-Star und Pferdezüchter Mike Milo (Clint Eastwood) holt 1978 für seinen Ex-Chef Howard Polk (Country-Sänger Dwight Yoakam) dessen auf die schiefe Bahn geratenen Sohn Rafo (Eduardo Minett), der, um eigenes Geld zu verdienen, mit seinem gefiederten Freund Macho an illegalen Hahnenkämpfen teilnimmt, aus Mexiko von der alkoholkranken Mutter Leta (Fernanda Urrejola) ab und bringt ihn zurück nach Texas. Doch was sich im Wortsinn zwischen den Zeilen abspielt, ist großes Kino! Der in Belen und Polvadera (beide New Mexico) gedrehte Action-Film mit wohltuend wenig Action, der auf dem 1975 von allen Filmstudios abgelehnten, dann in einen Roman umgewandelten Drehbuch von N. Richard Nash (1916–2000) basiert, ist ein im positiven Sinn altmodischer Film der kleinen Gesten mit enormer Wirkung. Er wirkt irgendwie zeitlos. Passend dazu klingelt nirgendwo ein Handy. Eastwood benutzt immer Telefonzellen, um mit seinem Auftraggeber zu sprechen.
In diesem von Ben Davis vorrangig in warmen Erdtönen fotografierten Road Movie, das irgendwo auch ein utopisches Märchen ist, stimmt die Chemie zwischen dem weisen Clint Eastwood und dem nur zu Beginn aufmüpfigen Teenager Eduardo Minett – so wie bereits 2008 zwischen ihm und Bee Vang in Gran Torino. Der einstige Dirty Harry inszeniert sich als Schauspieler so, wie er sich an seinem Lebensabend selbst sieht: als etwas widerborstigen, aber doch verständnisvollen Charmeur und Tierfreund Doctor Doolittle im Wilden Westen, der nicht nur seine eigenen Probleme lösen will. Vor allem die (Tanz-)Szenen mit seiner Reisebekanntschaft, der warmherzigen Witwe Marta (Natalia Traven), die vom Alter her seine Tochter sein könnte, gehen unter die Haut, weil sie von intimer Zärtlichkeit sind. Hut ab, alter Gringo! Mit 91 Jahren fängt das Leben erst an.