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Gran Torino

Gran Torino

Der alte Mann und die Hmong

| Ralph Umard |

Clint Eastwood rückt in Gran Torino“ wieder den Typus des unnahbaren Einzelgängers in den Mittelpunkt seines neuen Films.

Mit meist miesepetriger Miene hockt der betagte Rentner auf der Veranda vor seinem Haus in einem Vorort von Detroit und trinkt Bier. Neben ihm Daisy, seit dem Tode der Ehefrau seine einzige Ansprechpartnerin – ein Hund. Für seine zwei erwachsenen Söhne und ihre verwöhnten Sprösslinge, die auf den Tod des Alten warten, um zu erben, hat der Witwer bloß Verachtung übrig. Den letzten Wunsch seiner frommen Frau, er solle wenigstens einmal zur Beichte gehen, missachtet er auch: Wenn er etwas beichten wolle, würde er es allenfalls Daisy gestehen. Wirkliche Freude empfindet Walt Kowalski nur noch beim Anblick seines  auf Hochglanz polierten Gran Torino, Baujahr 1972. Ein halbes Jahrhundert war Walt Monteur am Fließband bei Ford, als die Autoindustrie in Detroit noch boomte. Nun ist er als altmodischer Menschentyp selber ein Auslaufmodell, ein Oldtimer wie der Gran Torino, dessen Lenksäule Walt seinerzeit eigenhändig eingebaut hatte. Er ist nah am Ende der Straße, die ins Nirgendwo führt. Doch als jemand versucht, sein vierrädriges Schmuckstück zu stehlen, gerät der Korea-Kriegsveteran noch einmal richtig in Fahrt: Mit dem Gewehr in der Hand vertreibt er eine randalierende Jugendgang aus seinem Viertel und wird von den Nachbarn als Held gefeiert. Nach dem episodenhaften Ausstattungsstück Changeling ist Clint Eastwood als Regisseur und Hauptdarsteller der Tragikomödie Gran Torino wieder ein fabelhafter Film aus einem Guss gelungen, leichthändig-locker inszeniert mit der gleichen Stammcrew wie bei der vorherigen Produktion. Erstaunlich die ungebrochene Spielfreude des Kinoveterans: Die Darstellung des Walt wird als eine der humorvollsten in seiner Laufbahn als Schauspieler im Gedächtnis bleiben. In mehrerlei Weise ist sie Eastwood wie auf den Leib geschrieben, nicht nur hinsichtlich des Alters. Wie Walt ist Eastwood selber ein versierter Handwerker und kein prätentiöser Intellektueller mit dem Anspruch, elitäre Filmkunst zu kreieren. Ein bodenständiger Fachmann, der seinem Metier ein Leben lang treu bleibt und aufgeht in seiner Arbeit, die ihm Selbstwertgefühl vermittelt. Ein Wertkonservativer, der gerne Bier trinkt, sich um neue Moden nicht schert und Effekthascherei ablehnt. Als Walt seinen Wagen einem jungen Nachbarn vermacht, muss der versprechen, das Auto nicht zu tunen oder grell zu bemalen, es soll so bleiben, wie es ist.

Einzelgänger

Die Rolle des Walt steht am Ende einer Reihe vergleichbarer Charaktere, die Clint Eastwood in seiner langen Karriere verkörpert hat und die er hier sehr selbstironisch, mit Gespür für die richtige Mischung aus Ernst und Komik, einmal mehr variiert. Walt ist ein chauvinistischer, starrsinniger, engstirniger Eigenbrötler, der im Ernstfall eher mit Schusswaffen als mit Worten kommuniziert. So wird er zu Beginn auch weniger verbal, sondern mehr durch seine Mimik, Gestik und die Gestaltung seines Lebensraums charakterisiert. Zuerst redet er gar nicht, sondern tut sein Missfallen über das Bauchnabel-Piercing seiner Enkeltochter durch ein gereiztes Knurren kund. Auch später knurrt und grunzt er immer wieder, er brummelt oft mehr als dass er spricht, was eine stimmige Synchronisation des Films erschwert – genau wie die vielen deftigen Schimpfkanonaden und rassistischen Slangworte für verschiedene ethnische Gruppen: Chinks (Asiaten), Spades (Schwarze), Honkies (Weiße), Spics (Latinos), Micks (Iren), oder Dagos (Spanier, Italiener, Griechen).

Walts bescheidenes Eigenheim ist im Gegensatz zu den heruntergekommenen Nachbarhäusern tadellos gestrichen, der Vorgarten perfekt getrimmt, die Werkstatt bestens sortiert und akkurat aufgeräumt. Über der Veranda weht die amerikanische Flagge. Walt hasst es, wenn jemand uneingeladen seinen Rasen betritt, und als ein Rowdy einen Gartenzwerg zerstört, holt der alte Kämpe schnurstracks seinen stets schussbereiten Koreakriegs-Karabiner aus der Waffenkiste und verteidigt seinen Grundbesitz. Außer Haus trägt Walt eine großkalibrige Pistole unter der Jacke, mit der er sich Respekt bei ungezogenen Halbstarken verschafft. Bei Ausflügen fährt er – für Männer  seines Schlages typisch – einen Pickup-Truck, der Gran Torino bleibt in der Garage. Walts bevorzugte Biermarke ist Pabst Blue Ribbon, was ihn ebenfalls als standesbewussten Vertreter der US-amerikanischen Arbeiterklasse charakterisiert. Walt ist ein reaktionärer Rassist, und so findet er es furchtbar, dass im Nebenhaus eine asiatische Einwandererfamilie eingezogen ist. Mit Argwohn und Abscheu beobachtet er die exotischen Nachbarn und ihre schamanistischen Zeremonien, bei denen Hühner rituell geschlachtet werden. Es handelt sich um Angehörige des im Bergland von Thailand, Laos und Vietnam verbreiteten Volksstamms der Hmong, doch in Walts Augen sind sie schlicht Schlitzaugen. Sie erinnern ihn schmerzlich an schreckliche Kriegserlebnisse in Korea, die er am liebsten vergessen würde. Der US-Patriot polnischer Abstammung will mit den Asiaten partout nichts zu tun haben, bis er sie eines Tages unfreiwillig aus einer Notlage rettet. Er wird daraufhin mit Dankesbezeugungen sowie Geschenken überhäuft, aber erst der kessen Nachbarstochter gelingt es, die Charakterpanzerung des hartherzigen Griesgrams zu durchbrechen und ihn zu einem Familienfest einzuladen, wo Walt asiatische Kochkunst kennen und schätzen lernt. Widerstrebend nimmt er sogar den schüchternen Nachbarssohn Thao unter seine Fittiche, den er zunächst spöttisch Toad (zu deutsch: Kröte) nennt und als pussyboy verhöhnt. Doch allmählich akzeptiert das alte Raubein den lernbegierigen Teenager, und am Ende rettet er ihm das Leben.

„Ich mag Filme, in denen die Figuren eine Entwicklung durchmachen“, sagt Eastwood, und ihm gelingt das Kunststück, Walts Wandel vom Fremdenfeind zum Beschützer der Asiaten psychologisch nachvollziehbar darzustellen, was nicht zuletzt auch dem vorzüglichen Drehbuch von Nick Schenk zuzuschreiben ist. Schenk verarbeitete in seinem ersten verfilmten Skript eigene Erfahrungen aus seiner Jugend, als er in einer Fabrik mit Hmongs zusammengearbeitet und ihre Kultur kennen gelernt hatte. Eastwood selber war nie im Leben ein Rassist, doch wie Walt setzt er sich mit asiatischer Kultur und Denkungsart erst im Alter auseinander. Dann aber umso gründlicher – so wie hier oder zuvor in seinem in japanischer Sprache gedrehten Kriegsfilm Letters from Iwo Jima. Auch die Hmong in Gran Torino sprechen untereinander ihre eigene Sprache und werden bis auf wenige Ausnahmen authentisch von Amateurdarstellern aus verschiedenen Stammesclans gespielt, wobei die junge Ahney Her besonders beeindruckt als charmant-dreiste Nachbarstochter, die Walt respektlos Wally nennt. Ihr gelingt es durch Hartnäckigkeit und Willenskraft, Walt für sich einzunehmen – so, wie es Hillary Swank in Million Dollar Baby schaffte, Clint Eastwood in der Walt nicht unähnlichen Rolle des grantigen und von Vorurteilen besessenen Boxtrainers umzustimmen, damit er sie als Schülerin akzeptiert.

Veteranen

Walt Kowalski ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Sergeant Highway in Heartbreak Ridge, dem es ebenfalls sehr schwer fällt, sich zu ändern, weil er ein dickschädeliger Kommisskopf ist. Doch auch er beginnt allmählich zu lernen. In Gran Torino geht Eastwood beim Spiel mit seinem bekannten Kino-Image als wortkarger, kompromissloser Einzelkämpfer, der seine Gegner mit geringschätzig verzogenem Mund und zusammengekniffen Augen mustert, bevor er sie fertig macht, manchmal bis an die Grenze zur Persiflage. Etwa wenn er wiederholt als Zeichen der Verachtung auf den Boden spuckt, bis ihm die asiatische Großmutter auf der Nachbarveranda unbeeindruckt Paroli bietet und einen ganzen Schwall braunen Speichels ausspeit. Die Darstellung eines Baustellenleiters trägt satirische Züge, und die Dialoge mit Walts italienischem Friseur haben kabarettreifen Charakter. Im Gegensatz dazu gibt es jedoch auch eine Reihe tragischer Momente wie die Szenen, wo der lungenkranke Witwer, von Hustenanfällen gequält, Blut spuckt wie einst Victor Mature als Doc Holiday in My Darling Clementine.

Es ist bewundernswert, mit welcher Lässigkeit und Stilsicherheit Eastwood seit Jahren das eigene Altern kreativ verarbeitet. Sei es nun mehr dramatisch wie in Unforgiven, seinem meisterhaften Spätwestern über alternde Revolverhelden, oder komödiantisch wie in Space Cowboys. Oder im Bewusstsein des näher rückenden Todes, wie in Gran Torino, wo der 78-jährige Star ohne Eitelkeit oder Weichzeichner sein vom Alter verwittertes, markantes Gesicht immer wieder in Großaufnahme zeigt und sogar Nacktaufnahmen in der Badewanne nicht scheut. Gran Torino beginnt mit einem Begräbnis und endet auch mit einem. Wenn man dann dennoch gut gelaunt aus dem Kino kommt, so spricht das für  Eastwoods ausgeprägten Sinn für Humor, auch wenn er im Film zur Nachbarstochter sagt: „I have been called many things, but never funny.“

Trotz einiger eingangs genannter Gemeinsamkeiten zwischen Eastwood und seiner Filmfigur Kowalski könnte der soziale Unterschied zwischen den Männern kaum größer sein. Während der steinreiche Hollywoodstar in hohem Alter und auf der Höhe seiner Kunst in aller Welt gefeiert wird, sind Menschen wie Kowalski nach jahrzehntelanger Arbeit in der Fabrik in der Regel dazu verdammt, den Rest ihres Lebens zu Hause auszusitzen und Bier zu trinken, ohne viel von der Welt gesehen zu haben. Machen Reichtum und Erfolg es einem leichter, alt zu werden und dem Tod entgegenzusehen?

„Wenn jemand Angst vor dem Tod hat, hat er auch Angst vor dem Leben. Es kommt also auf die Einstellung an, man muss einfach leben und Spaß daran haben. Man weiß ja nie, was das Schicksal mit einem vorhat, man muss einfach das Beste hoffen“, meint Eastwood  „Wenn man als einfacher Mann dem Tod ins Auge schaut und nie Erfolg gehabt hat, sagt man sich vielleicht, mein Gott, es gibt noch soviel zu erleben – während jemand, der Erfolg im Leben hatte sich sagen kann, nun, ich habe soviel erreicht, was soll‘s nun… vielleicht stirbt man dann leichter. Ich weiß es nicht. Allerdings genieße ich es, in meinem eigenen Leben ein Gewinner zu sein.“